Maximilian Mondel

Die Anbetung der Könige


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Vans, der übrigens keine Mondo-Animali-Uniform trägt, schöpft diesbezüglich also sicher keinen Verdacht«, erklärte Vice Brigadiere Bertini via Funk: »Und wir sind ungefähr fünf Autos hinter dem Fahrzeug und warten auf einen günstigen Zeitpunkt. Mag sein, dass uns der Fahrer gesehen hat, muss aber nicht sein. Nach der Ausfahrt nach Pistoia werden wir aller Voraussicht nach zuschlagen, also in rund drei bis fünf Minuten.«

      »Sehr gut«, lobte Lezzerini: »Wenn Sie das Fahrzeug gestoppt haben und der Fahrer in Gewahrsam ist, stellen Sie sicher, dass niemand im Laderaum ist. Aber betreten Sie den Van unter keinen Umständen und fassen Sie um Gottes willen nichts an. Es handelt sich um ein Kunstwerk von sehr hohem Wert. Und halten Sie uns bitte über alle Entwicklungen auf dem Laufenden.«

      Das Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale, eine Sektion im italienischen Kulturministerium zum Schutz des nationalen Kulturerbes, hatte sich seit seiner Gründung im Jahr 1969 nicht nur national, sondern auch international einen Namen gemacht, etwa bei der Ausbildung von Polizei- und Zollbeamten in Ländern, die eine ähnliche Institution aufbauen wollten. Erst kürzlich hatte Lezzerini einen Vortrag über die Arbeit des TPC vor albanischen Kollegen gehalten. Vordringlichste Aufgabe des TPC war es, illegal exportierte oder in ausländischen privaten Sammlungen und Museen befindliche italienische Kulturgüter nach Italien zurückzuführen sowie die illegale Ausfuhr von italienischen Kulturgütern aus Italien zu verhindern.

      Eineinhalb Kilometer nach der Autobahnausfahrt nach Pistoia erfolgte schließlich der Zugriff der Autobahnpolizei: Die Zivilstreife drosselte auf der vierspurigen Autobahn unmittelbar vor dem Mondo-Animali-Van die Geschwindigkeit. Das Einsatzfahrzeug der Autobahnpolizei hatte sich rechts neben dem Van eingereiht, um dem Lieferwagen den Weg zu versperren. Blaulicht und Sirene waren mittlerweile eingeschaltet. Die drei Fahrzeuge wurden immer langsamer und kamen schließlich komplett zum Stillstand. Plötzlich öffnete sich die Fahrertür, ein Mann im Jogginganzug sprang aus dem Wagen. Fast zeitgleich wurde die Beifahrertür aufgerissen, und ein bärtiger Mann in Shorts und T-Shirt setzte zur Flucht an. Der Mann im Jogginganzug rannte in Fahrtrichtung davon und wurde wenige Meter nach seinem Ausstieg von einem Beamten der Zivilstreife zu Boden gerissen. Der Bärtige lief gegen die Fahrtrichtung und kletterte flink über die Mittelleitschienen. Lautes Hupen und quietschende Reifen begleiteten den Flüchtenden, während er sich Fahrspur um Fahrspur auf die andere Seite der Autobahn vorkämpfte. Vice Brigadiere Giuliano Bertini von der Autobahnpolizei hatte die Verfolgung aufgenommen, musste aber aufpassen, nicht überfahren zu werden, während er den Flüchtenden im Auge behielt. In der nächsten Sekunde stieg auf dem Pannenstreifen der A11 Richtung Florenz ein beherzter Autofahrer aus einem Toyota Van aus und stellte sich dem Flüchtenden entgegen. Er vermochte ihn zwar nicht zu stoppen, aber doch so weit abzulenken, dass Bertini sich auf den Mann stürzen konnte.

      Wenige Minuten später saßen die beiden Verdächtigen bereits in Handschellen im Polizeiauto, und vier Polizeibeamte – zwei in Zivil, zwei in Uniform – postierten sich mit gezückten Dienstwaffen vor der Tür zum Lieferraum des Vans. Vorsichtig öffnete einer der Polizisten die Tür. Der Van war, abgesehen von ein paar Befestigungsgurten und zwei Wolldecken, leer. Nach einer kurzen Schrecksekunde funkte Bertini die Kollegen vom TPC an.

      »Die gute Nachricht ist, dass wir den Van gestoppt und die zwei Insassen verhaftet haben. Die schlechte Nachricht ist, dass sich in dem Van kein Gemälde befindet. Bis sie hier sind, knöpfen wir uns mal die zwei Burschen aus dem Van vor. Wir haben den Van übrigens nur geöffnet und hineingeschaut, aber sonst nichts angefasst. Das überlassen wir den Kunstprofis.«

      Lezzerini atmete tief durch.

      »Trotzdem, gute Arbeit. Ich glaube, wir sehen schon den Rückstau, den ihr verursacht. Wir fahren am Pannenstreifen zu euch vor.«

      Beim Fahrer und beim Beifahrer des Mondo-Animali-Vans handelte es sich, wie sich schnell herausstellte, um zwei Autostopper, die auf Höhe der Autobahnraststation Firenze Nord einen Mondo-Animali-Mitarbeiter dabei beobachtet hatten, wie er den Lieferwagen abgestellt, ein großes Paket entnommen, dieses in einen weißen Van umgeladen und den Autoschlüssel schließlich in einen Mülleimer versenkt hatte. Mit dem Gemäldediebstahl hatten sie, wie es aussah, nichts zu tun. Sie hatten wohl bloß die Gunst der Stunde genutzt, die Schlüssel aus dem Mülleimer geholt, und wollten eine Spritztour in Richtung Mittelmeer unternehmen. Wie der weiße und fensterlose Van, mit dem der Mondo-Animali-Mann weitergefahren war, genau ausgesehen hatte, konnten die beiden nicht sagen. Weder die Marke noch das Modell und schon gar nicht das Kennzeichen hatten sie sich gemerkt.

      »Und was konnten die zwei über den Mann sagen?«, wollte Lezzerini wissen.

      »Nichts, was wir nicht auch schon wissen: Recht groß, Mondo-Animali-Kluft, Schnauzbart, Wuschelkopf«, antwortete Bertini.

      »Große Hilfe sind uns die zwei also nicht. Außerdem haben sie eventuelle Spuren in der Fahrerkabine verwischt«, knurrte Lezzerini. »Wir lassen jetzt mal den Mondo-Animali-Van abschleppen und von der Spurensicherung untersuchen. Die zwei Typen gehören Ihnen. Wenn wir sie noch einmal vernehmen müssen, wende ich mich an Sie. Halten Sie die beiden also ein paar Tage fest. Jetzt sollten wir hier aber keine Zeit mehr verschwenden. Schließlich hat der Kunsträuber ohnehin schon einen Vorsprung von mehreren Stunden.«

      ANGST VOR ALLEINGÄNGEN

      Nachdem ihm von Brigadiere Donati mitgeteilt worden war, dass die Autobahnpolizei den Lieferwagen von Mondo Animali leer vorgefunden hatte, widmete sich OPD-Direktor Maurizio Collocini erstmals dem Gedanken an eine Presseerklärung. Collocini war bewusst, dass nun eine Heerschar an Wichtigtuern auf kommunaler, regionaler und staatlicher Ebene auf den Plan treten würde. Ihm graute vor den politischen Würdenträgern, die sich in einem Fall wie dem vorliegenden in den Vordergrund spielen und ihre mehr als entbehrlichen Meinungen von sich geben würden. Besonders ekelte ihn vor den Assistenten und Aktenträgern, die fast noch unsympathischer waren als die eigentlichen Politiker. Er hasste diese Nichtsnutze, die das Unglück anderer weidlich ausnutzten, um ihre Profilierungssucht zu befriedigen. Gemeinsam mit dem kaufmännischen Leiter Massimo Poletti und seinem Sekretär Cesare Rizzoli tüftelte Collocini nun seit 30 Minuten an einer geeigneten Kommunikationsstrategie.

      »Wir müssen Capitano Dal Fiesco und Capitano Lezzerini davon überzeugen, dass von den Begleitumständen des Diebstahls so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit dringt. Man hört und liest doch immer von ›ermittlungstaktischen Gründen‹, deretwegen man auf keine Details eingehen könne«, schlug Poletti vor. »Und vor allem müssen wir die anderen Beteiligten darauf einschwören: die gesamte Belegschaft, den Schlangenexperten Bianchi, Uffizien-Direktor Ferro, die Leute von Mondo Animali sowie die Dame von der AEIOU. Es geht jetzt um Schadensbegrenzung auf der ganzen Linie.«

      Cesare Rizzoli, der zuvor im Büro von Collocini die Visitenkarten aller handelnden Personen eingesammelt hatte, schrieb dienstbeflissen mit und gelobte seinem Vorgesetzten, die notwendigen Schritte zu tun.

      »Als Ersten holen Sie mir bitte Capitano Dal Fiesco ans Telefon«, gab Collocini seinem Assistenten mit auf den Weg.

      Eine Viertelstunde später fand sich das Direktorenduo Collocini und Poletti wieder in der hell erleuchteten Restaurationswerkstätte des Opificio delle Pietre Dure ein. Capitano Dal Fiesco hatte Collocini im Telefongespräch versichert, dass es auch im Interesse der Polizei war, »den Ball so flach wie möglich zu halten«, wie er sich ausgedrückt hatte.

      »Weder dem OPD noch den Uffizien und schon gar nicht den ermittelnden Behörden ist gedient, wenn die Institutionen der Lächerlichkeit preisgegeben werden«, hatte Direttore Collocini gegenüber dem Capitano betont. »Genauso wünsche ich mir von Ihnen, dass es zu keinerlei Alleingängen kommt. Und wollen wir gemeinsam hoffen, dass auch Signora Frattini nicht die Pferde durchgehen. Ich kenne sie nicht, aber bei einem Diebstahl dieser Größenordnung kann es schon mal sein, dass der eine oder andere in den ­Medien ganz groß rauskommen will, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

      Capitano Dal Fiesco verstand zwar, was Collocini meinte, teilte dessen Meinung allerdings nicht. »Ich glaube, im Fall von Signora Frattini können Sie einigermaßen unbesorgt sein. Aber ich gebe Ihnen recht: Man kann nie vorsichtig genug sein. Ich werde sie beobachten.«

      »Cesare,