Maximilian Mondel

Die Anbetung der Könige


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Hinsehen annehmen konnte, das Original hänge ebendort. Kurz darauf war die Restaurationswerkstätte wieder menschenleer, Di Pasquali hatte den Ort des Geschehens verlassen und sich mit dem in der Kunststoffbox verstauten Gemälde in die Putzkammer zurückgezogen.

      Fiore hatte im allerletzten Moment die Portiersloge erreicht und schaltete jetzt den neuerlichen Alarm ab, der von einem Bewegungsmelder im zweiten Stock ausgelöst worden war. Eine Sekunde lang überlegte er, den Chef der Portiertruppe anzurufen, entschied sich dann aber dagegen. Er würde die Sache selbst in Ordnung bringen und sich nicht von einer Babyschlange aus dem Konzept bringen lassen. Bruzzo mochte keine nächtlichen Störungen, und der Gedanke an Bruzzos mögliche Sticheleien über seine Jagd nach der Boa bestärkte Fiore außerdem darin, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Die Kopie des Lieferscheins von Mondo Animali war schnell zur Hand, und Fiore schnappte sich den Telefonhörer. Wie erwartet, hob bei Mondo Animali niemand ab, schließlich war es 45 Minuten vor Mitternacht. Eine freundliche Frauenstimme forderte den Anrufer auf, eine Nachricht zu hinterlassen. Fiore schilderte das Problem in wenigen Worten, betonte die Bedrohlichkeit der Lage und bat dringend um ehestbaldigen Rückruf.

      Seinen Plan von einem Schläfchen hatte er für diese Nacht längst begraben. Der Bericht der Ereignisse für die Unternehmensleitung und Bruzzo war zwar bereits fertig, aber es stand ihm noch ein letzter halbstündiger Rundgang bevor. Doch der brachte keine neuen Erkenntnisse. Sollen sich doch die Kollegen am Tag mit der blöden Schlange auseinandersetzen, dachte sich Fiore, der nun, gegen Ende seines Dienstes, angesichts des Schlafmangels deutlich müder war als sonst. Während aus dem Transistorradio Frankie Valli mit »Oh, What A Night« erklang, wünschte sich Fiore nur mehr eines: sein kuscheliges, warmes Bett.

      DER SCHLANGE AUF DER SPUR

      Aber die Leute von Mondo Animali sind doch schon im Haus, oder?«, meinte Stefano Gasperini, Fiores Kollege vom Tagdienst, nachdem der ­Nachtportier die Ereignisse des Vortages und der Nachtstunden in den buntesten Farben geschildert hatte.

      »Wie kommst du denn darauf?«, entgegnete Fiore verwirrt.

      »Weil ein Lieferwagen von Mondo Animali gleich um die Ecke steht«, erklärte der muskelbepackte 39-Jährige mit Vollglatze.

      Der nun schon etwas übernächtigte Fiore atmete einmal tief durch und ging kurz nach draußen. An der Häuserecke links vom Opificio delle Pietre Dure sah Fiore tatsächlich einen grünen Lieferwagen von Mondo Animali. Das Auto war allerdings, soweit er sehen konnte, leer. Er blickte auf sein Smartphone. Es war 7.10 Uhr und damit wirklich allerhöchste Zeit, den Heimweg anzutreten. Genug Stress für einen Arbeitstag.

      »Keine Ahnung, wo die Typen von Mondo Animali stecken. Vielleicht schauen Sie sich ja schon mal draußen um, wo die Schlange ist«, meinte Fiore, während er in der Portiersloge seine Sachen zusammenpackte. »Und tut mir bitte einen Gefallen: Sorgt dafür, dass die Schlange heute Abend zu meinem Dienstantritt nicht mehr da ist. Wir sehen uns morgen früh um sieben Uhr.«

      Zehn Minuten später, Stefano Gasperini war gerade damit beschäftigt, Milch in seinen Kaffee zu gießen, klopfte es an der Scheibe der Portiersloge. Gasperini erblickte einen in einem grünen Overall gekleideten Mitarbeiter von Mondo Animali, neben dem ein kastengroßer, mit kleinen Rädern ausgestatteter Kunststoffbehälter mit der Aufschrift »Attenzione, Serpente soffocato!« stand. Der Mann mit dem Wohlstandsbäuchlein stellte sich als Lorenzo Di Pasquali von Mondo Animali vor.

      »Wir sind wegen der entkommenen Boa constrictor hier. Ist denn mein Kollege schon bei Ihnen gewesen?«

      »Also ich bin erst seit 20 Minuten hier, aber mein Kollege vom Nachtdienst hat niemanden von euch hereingelassen. Wir haben uns schon gewundert, wo ihr bleibt.«

      Der Mann im grünen Overall blickte kurz auf seine Uhr und schien nachzudenken.

      »Na gut, dann schau ich kurz nach draußen. Der Kollege wollte schnell Zigaretten kaufen. Vielleicht hat er außerhalb des Gebäudes mit der Suche begonnen. Die Schlangenfalle nehme ich wieder mit.«

      Und schon rollte Di Pasquali den Kunststoffbehälter in Richtung Ausgang. Eine sonderbare Truppe, dachte sich Gasperini, rührte seinen Kaffee um und trug Lorenzo Di Pasquali in die Besucherliste ein. Dann machte er sich an die Lektüre von Fiores Bericht vom Nachtdienst und stellte sich seufzend auf einen ereignisreichen Tag ein.

      Gerade als Gasperini 15 Minuten später die eben eingetroffenen Mitarbeiter des Reinigungsdienstes von der Babyriesenschlange unterrichtete, trafen ein angespannt wirkender Chefportier Bruzzo, der aus Rom angereiste Riesenschlangenexperte Alessio Bianchi und zwei junge Mitarbeiter der Florentiner Tierrettung bei der Portiersloge ein. Bruzzo bat den kräftigen, unausgeschlafen wirkenden Bianchi, einen Mitdreißiger mit Dreitagesbart, sowie die beiden jungen Tierretter nach einer kurzen Unterredung mit Gasperini in sein Büro. Mit Fiores Bericht unter dem Arm nahm Bruzzo Platz und schilderte den Anwesenden, was sich seit dem Nachmittag des Vortages im OPD abgespielt hatte und dass er sich nichts mehr wünsche, als dass der Spuk endlich ein Ende habe.

      »Das oberste Gebot lautet: Kein Wort an die Presse! Das können wir uns nicht leisten, meine Herren«, beendete ­Bruzzo seine Ausführungen.

      Die beiden Burschen von der Tierrettung hatten keine weiteren Fragen und begaben sich zu ihrem Van, um die Ausrüstung zum Einfangen und den Transport von Schlangen zu holen. Bianchi warf einen Blick auf den Lieferschein von Mondo Animali. Neue Aufschlüsse über das angeblich entwichene Tier bot ihm dieser allerdings nicht. Ob er die beschädigte Transportkiste noch kurz inspizieren dürfe, bevor er sich an die Arbeit mache, wollte Bianchi wissen. ­Bruzzo nickte, wiewohl er sich insgeheim wünschte, dass Bianchi endlich zur Tat schreiten und ihm dieses verdammte Tier aus dem Haus schaffe möge.

      Nachdem er Bianchi die Transportkiste überreicht hatte, wandte Bruzzo sich Gasperini zu: »Ich bin sofort wieder da. Ich zeige Signore Bianchi das Labor, damit er die Fährte aufnehmen kann. Schick die beiden Herren von der Tierrettung bitte hinauf. Danke!«

      Genau in dem Moment, als Bruzzo zwei Etagen höher dem Schlangenexperten Bianchi die Tür zur Restaurationswerkstatt aufsperrte, läutete das Telefon in der Portiersloge, und eine Dame von Mondo Animali meldete sich.

      »Wir haben Ihren Anruf von vergangener Nacht abgehört. Die zwei Kollegen von gestern sind in 45 Minuten bei Ihnen.«

      Gasperini verschlug es kurz die Sprache. Dann erklärte er der Telefonistin, dass die Herren von Mondo Animali bereits seit sieben Uhr vor Ort seien und offenbar entlang der Außenmauern nach der Schlange suchten.

      »Davon weiß ich nichts«, erwiderte die Dame: »Wie heißen denn die beiden Kollegen?«

      »Einer der beiden heißt Di Pasquali. Den anderen habe ich noch gar nicht …«

      Die Stimme am anderen Ende der Leitung unterbrach ihn.

      »Di Pasquali? Di Pasquali arbeitet schon seit zwei Jahren nicht mehr bei uns. Wieso sollte der bei Ihnen sein und eine Schlange einfangen wollen?«

      Gasperini erklärte der Dame von Mondo Animali, dass er sie sofort zurückrufen werde, und machte sich daran, die Fortezza da Basso durch den Vordereingang zu verlassen. Auf dem Weg nach draußen wählte er Bruzzos Mobiltelefonnummer, aber sein Chef schien beschäftigt zu sein, denn er nahm das Gespräch nicht an. Während sich Gasperini noch darüber wunderte, was seinen Chef wohl davon abhielt, ans Telefon zu gehen, musste er feststellen, dass der grüne Lieferwagen mit dem markanten Schriftzug, der noch vor einer Stunde vor der Fortezza die Basso gestanden hatte, verschwunden war. Gasperini wurde plötzlich heiß und kalt zugleich.

      EIN ARGER IMAGESCHADEN

      Das Da-Vinci-Gemälde ist weg! Gestohlen! Die Polizei ist bereits alarmiert! Sie müsste in zehn Minuten hier sein. Es ist eine Katastrophe«, brüllte Bruzzo ins Telefon, nachdem ihn Gasperini angerufen hatte, um ihm zu erklären, dass die Mitarbeiter von Mondo Animali verschwunden seien. Bevor Gasperini auch nur reagieren konnte, ließ Bruzzo eine Serie wüster Fäkalausdrücke auf seinen Mitarbeiter niederprasseln, atmete einmal tief durch und beendete dann