Maximilian Mondel

Die Anbetung der Könige


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Infrarotlampe in Position zu bringen und einzuschalten.

      »Betrachten Sie etwa die Ruine im Hintergrund, Signore Hammond«, sagte er, und zu seinem Mitarbeiter gewandt: »Gianni, dreh das Licht bitte kurz weg und dann wieder auf das Bild. Sehen Sie, Signore Hammond, hier kann man ganz klar eine darunterliegende Skizze erkennen.«

      »Faszinierend«, staunte Hammond.

      »Unsere Aufgabe neben der eigentlichen Restaurierung«, fuhr Collocini mit zusammengekniffenen Augen fort, »ist es, zu dokumentieren, was wir vorgefunden und welche Eingriffe wir vorgenommen haben. Dokumentation ist im Rahmen der Restaurierung das Um und Auf. Alle unsere Eingriffe in das Werk müssen nachvollziehbar sein, sodass man die original erhaltenen Partien klar und deutlich von den restaurierten Partien unterscheiden kann. Und vor allem verbringen wir sehr viel Zeit damit, uns das Werk unter dem Mikroskop anzuschauen und zu analysieren, welche Maßnahmen wir setzen wollen und welche nicht.«

      Hammond nickte, ohne Collocini zu unterbrechen.

      »Und wissen Sie, was die effizienteste Form der Restaurierung ist?« Collocini drehte sich auffordernd zu Hammond: »Die Konservierung. Damit meine ich die ideale Luftfeuchtigkeit und Beleuchtung sowie die Vermeidung von direkter Sonneneinstrahlung, Staub und Umwelteinflüssen, so weit dies eben möglich ist.«

      Dies gelte im Übrigen für jedes Kunstwerk, ob im Museum oder zu Hause an der Wand oder im Büro, fügte Collocini hinzu, während er sich kurz mit den Fingern durch die Haare fuhr: »Ich erzähle Ihnen damit wahrscheinlich nichts Neues, aber im Grund beginnt der Verfallsprozess jedes Kunstwerks genau in dem Moment, in dem es erschaffen wird.«

      Hammond nickte wissend, während sein Blick weiter auf dem Gemälde ruhte.

      Fünfundvierzig Minuten später war Collocini mit seinen detaillierten Ausführungen über das aufwändige Restaurierungsprojekt fertig.

      »Sie würden dem Opificio delle Pietre Dure natürlich einen unheimlichen Gefallen tun, wenn Sie das, was wir hier zu leisten imstande sind, ins rechte Licht rückten«, ließ der Direttore anklingen.

      »Wie Sie wissen, hat der Wettbewerb auch vor unserem Wirtschaftszweig nicht Halt gemacht. Für uns sind Projekte wie die Restaurierung der ›Anbetung der Könige‹ von hoher Bedeutung, weil sie die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit auf uns richten und wir damit unter Beweis stellen, dass wir in Italien und auch in Europa eine der ersten Anlaufstellen für die Restaurierung von Gemälden sind.«

      Hammond versicherte Collocini mit einem wissenden Lächeln, dass er die Würdigung des Opificio delle Pietre Dure nicht zu kurz kommen lassen werde. Dann bedeutete er dem OPD-Direktor mit einem Fingerzeig auf seine Armbanduhr, dass er nun langsam aufbrechen müsse. Auf dem Weg die Treppe hinunter zum Eingangsbereich vereinbarten die beiden, dass sich Hammond jederzeit telefonisch bei Collocini melden dürfe, sollten noch weitere Fragen auftauchen. Es war 12.40 Uhr, als sich die beiden vor der Portiersloge des Opificio delle Pietre Dure voneinander verabschiedeten, Hammond beim Portier seinen Besucherausweis abgab und das Gebäude durch den Haupteingang verließ.

      UNGEBETENE GÄSTE

      Gerade als Gianni Bruzzo, der leicht übergewichtige Chefportier des Opificio delle Pietre Dure, damit beschäftigt war, in der Besucherliste zu vermerken, dass Darren Hammond das OPD verlassen hatte, betraten zwei Männer mit einer Hartplastikkiste, die in etwa die Ausmaße eines Mikrowellenherdes hatte, das Gebäude. Die beiden stellten sich als Angestellte einer Tierhandlung in Prato in der Nähe von Florenz vor und erklärten, dass sie eine Lieferung für Signore Massimo Poletti hätten. Man solle Poletti doch bitte rasch rufen, erklärte der eine der beiden, da die eben vor der Portiersloge abgestellte Transportkiste möglicherweise einen Sprung habe, man könne für nichts garantieren. Bruzzo hatte in seinem Portiersdasein schon vieles erlebt und rief gelassen Poletti an, der natürlich prompt nicht in seinem Büro war, sondern irgendwo im Haus umherschwirrte. Nein, sein Mobiltelefon habe Poletti nicht mitgenommen, das liege auf seinem Schreibtisch, erklärte man Bruzzo. »Na, bestens!«, schoss es dem Portier durch den Kopf.

      Die beiden Männer von der Tierhandlung Mondo ­Animali beäugten die Transportkiste inzwischen von allen Seiten, schienen aber mit ihrer Grobanalyse der Situation zufrieden.

      »Signore Poletti wird in ein paar Minuten hier sein«, erklärte Bruzzo den beiden Männern und fragte beiläufig: »Was ist denn überhaupt in der Kiste drin?«

      »Eine Boa constrictor. Aber eine kleine. Keine Sorge«, erwiderte der Größere der beiden.

      Von Sorglosigkeit angesichts einer lateinamerikanischen Würgeschlange war Portier Buzzo ungefähr so weit entfernt wie von einer Beförderung zum Direktor des Opificio delle Pietre Dure. Nicht nur seiner Angst vor Schlangen wegen, sondern auch, weil er sich gar nicht ausmalen wollte, was einer seiner Vorgesetzten sagen würde, wenn dieser wüsste, dass im Eingangsbereich des Hauses eine Riesenschlange in einer vermutlich angebrochenen Transportkiste lauerte. ­Poletti musste her, und zwar schnell.

      Angespannt griff Bruzzo zum Telefon und machte sich daran, die Telefonliste von oben nach unten abzuarbeiten. Er war gerade bei »G« angelangt, genauer bei Signora Gentile aus der Buchhaltung, die ebenfalls keine Ahnung hatte, wo sich der kaufmännische Direktor aufhielt, als Darren Hammond, der Journalist von eben, wieder vor der Portiersloge auftauchte. Er habe sein Aufnahmegerät oben in der Werkstätte liegen lassen, erklärte er. Bruzzo war bewusst, dass es nicht den Vorschriften entsprach, aber er hatte jetzt wirklich andere Sorgen, und so gestattete er Hammond, alleine zur Werkstätte hochzugehen, nicht jedoch ohne den Journalisten vorher oben in der Werkstatt anzukündigen und im selben Atemzug nachzufragen, wo denn Poletti verblieben sei. Der sei eben noch dagewesen, habe die Werkstätte aber vor drei Minuten verlassen, erklärte man ihm. Möglicherweise spaziere er noch mit der Delegation vom Chinesischen Nationalmuseum in Peking durch das Gebäude, schließlich träume Poletti vom ganz großen Geschäft mit den Chinesen.

      Dass es in der grünen Transportkiste plötzlich raschelte und unrhythmisch klopfte, trug nicht gerade dazu bei, dass sich Bruzzo entspannte. Bei seinem Telefonrundruf war er mittlerweile bei Cesare Rizzoli, dem Sekretär von Direktor Collocini, gelandet. Doch auch der wusste nicht, wo sich Poletti aufhielt. Man möge ihn bitte nicht mit derartigen Dingen belästigen, er habe Wichtigeres zu tun. Und selbst wenn sich Poletti einen lebendigen Säbelzahntiger liefern ließe, würde es ihn, Rizzoli, nicht im Geringsten interessieren. Damit legte er grußlos auf.

      Bruzzo rollte die Augen und wischte sich mit dem Handrücken ein wenig Schweiß von der Stirn. Er konnte und wollte sich jetzt nicht mit diesem aufgeplusterten Pfau aufhalten. Vielmehr wollte er diese Riesenschlage aus seinem Einflussbereich befördert wissen. Die beiden Männer von der Tierhandlung, die er während des Telefonats durch die Glasscheibe sehen konnte, bedeuteten Bruzzo gestikulierend, dass sie weiterfahren müssten. Der eine der beiden hatte bereits ein Formular und einen Stift in der Hand und drängte Bruzzo, die Lieferbestätigung zu unterfertigen, schließlich hätten sie noch zwei weitere Lieferungen zu erledigen.

      »Und was soll ich Ihrer Ansicht nach tun, wenn die Schlange aus der Kiste kriecht?«, fragte Bruzzo die beiden Lieferanten.

      »Dann rufen Sie uns an! Hier ist unsere Telefonnummer«, meinte der mit dem Lieferschein.

      Damit machten sich die beiden auf den Weg zum Ausgang. Bruzzo wollte sie gerade noch zurückhalten, als das Telefon in der Portiersloge läutete. Es war Poletti. Was denn so wichtig sei, dass das ganze Haus nach ihm suche, wollte Poletti, der im Opificio delle Pietre Dure für die möglichst gewinnbringenden Beziehungen zu Museen und anderen Kultureinrichtungen zuständig war, wissen. Als Bruzzo in seinen Schilderungen beim Wort Riesenschlange angelangt war, brüllte Poletti »Ich komme!« ins Telefon und knallte den Hörer auf die Gabel. Aus dem Augenwinkel bemerkte der Portier, wie sich die Hartplastikkiste mit der Schlange mehrmals sanft hob und wieder senkte.

      Im nächsten Moment kam Massimo Poletti mit der chinesischen Delegation langsam die Treppe herab, blieb mitten im Eingangsbereich kurz stehen und ging dann, ohne ­Bruzzo eines Blickes zu würdigen, auf die Hartplastikkiste zu. »Mondo Animali« stand auf der Kiste in grünen Lettern zu lesen, und dann war