Maximilian Mondel

Die Anbetung der Könige


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müsse, und verließ Collocinis Büro. Nach wenigen Minuten war er wieder zurück, und sechs Kilometer Luftlinie entfernt setzte sich ein Seat Leon mit zwei Polizeibeamten in Bewegung, die nachsehen sollten, ob der Nachtportier Fiore tatsächlich in seiner Wohnung schlief.

      Chiara Frattini hatte der von Collocini und Bruzzo abwechselnd vorgetragenen Schilderung der Ereignisse andächtig gelauscht und nur einmal eine Zwischenfrage gestellt: Ob man noch genauer auf das Aussehen des vermeintlichen Mitarbeiters von Mondo Animali eingehen könne, der anscheinend seelenruhig mit einem der berühmtesten Gemälde der Welt durch den Vordereingang entschwunden war. Chefportier Bruzzo hielt übers Telefon kurz Rücksprache mit seinem Kollegen Gasperini, aber auch der konnte nur eine vage Personenbeschreibung abgeben: Recht groß sei er gewesen, mit dunklen, vollen und halblangen Haaren, einem dichten Schnauzbart und einem Bäuchlein. Und eine leicht abgedunkelte Brille sowie eine Mondo-Animali-Kappe und einen grünen Overall habe er getragen. Unabhängig davon sei alles sehr schnell gegangen, ertönte Gasperinis Stimme durch das Mobiltelefon.

      »Fragen Sie ihn, ob der Mann einen ungewöhnlichen Akzent hatte«, bat Frattini den Chefportier, der die Frage eilends weitergab.

      »Wie gesagt, es ging alles so schnell, ich war erst ein paar Minuten hier«, ließ sich Gasperini vernehmen. »Er hat ganz normal gesprochen. Und sehr viel hat er ja nicht gesagt. Da ist mir nichts aufgefallen.«

      EIN HERBER VERLUST FÜR DIE KUNSTWELT

      Capitano Dal Fiesco und Brigadiere Donati von der Polizei, Chiara Frattini von der Versicherungsgesellschaft AEIOU, Chefportier Bruzzo sowie Collocini und Poletti aus der Chefetage des Opificio delle Pietre Dure machten sich gemeinsam auf den Weg in die Restaurationswerkstatt. Am Eingang wurden sie von einem der drei Mitarbeiter der Spurensicherung höflich, aber bestimmt gebeten, vor der Werkstatt zu warten, bis ihre Arbeit beendet war. Als Dal Fiesco zum Protest ansetzte, erwiderte der Beamte im Schutzanzug lapidar:

      »Bis jetzt haben wir gar nichts. Wer auch immer hier am Werk war, hat extrem sauber gearbeitet. Domenico, sei so gut und gedulde dich noch fünf Minuten. Dann könnt ihr hereinkommen.«

      Dal Fiesco drehte sich resignierend zu Donati um, kam aber nicht dazu, ihn zu fragen, wo denn eigentlich die Kollegen vom Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale geblieben seien, da in diesem Augenblick der Riesenschlangenexperte Alessio Bianchi mit den zwei Mitarbeitern der Florentiner Tierrettung um die Ecke bog.

      »Hier geht es zu wie in einem Taubenschlag«, raunte Dal Fiesco Donati zu.

      Dieser lächelte säuerlich und nickte.

      »Na, schon etwas gefunden?«, fragte Bruzzo in Richtung Bianchi.

      »Nein, nichts. Aber ich habe auch kaum Anhaltspunkte, und das Gebäude ist riesig. Boas sind dämmerungs- und nachtaktiv. Tagsüber ziehen sie sich in Hohlräume zurück. Wenn sich hier im Gebäude tatsächlich eine Boa befindet und sie nicht nach draußen entwichen ist, dann finden wir sie am ehesten in der Nacht, denn irgendwann muss die Schlange Nahrung aufnehmen. Und das ist dann unsere Chance.«

      Deutlich leiser, mit einem Fingerzeig in Richtung Dal Fiesco und Donati, flüsterte Bianchi dem Chefportier noch augenzwinkernd zu: »Aber wer weiß, vielleicht liefert mir ja die Kavallerie den entscheidenden Hinweis.«

      »Wohl kaum«, meinte darauf Bruzzo, ebenfalls mit gedämpfter Stimme. »Die Herren jagen nicht die Schlange, sondern sind hinter einem Kunstdieb her.«

      Und dann klärte Bruzzi Bianchi in wenigen Sätzen auf, welches noch viel folgenschwerere Problem ihn und die Chefriege aktuell beschäftigte.

      »Dann werde ich mich mal bemühen, dass ich den Herren nicht in die Quere komme und ihnen die Boa vom Leibe halte.« Bianchi strich sich über den Dreitagesbart und machte sich wieder an die Arbeit.

      In der Werkstatt waren die drei Spurensicherer mittlerweile am Gehen. Man werde die wenigen Erkenntnisse in einem Bericht zusammenfassen und am Nachmittag übermitteln, erklärte der Beamte, der zuvor Capitano Dal Fiesco um Geduld gebeten hatte und sich den anderen nun als Davide Carbone vorstellte.

      »Wir haben kaum verwertbare Fingerabdrücke gefunden. Und auch sonst haben wir wenig bis nichts, was Aufschluss über den Täter geben könnte. Das Bild wurde professionell aus dem Rahmen genommen, der Farbdruck professionell eingespannt. Auch auf dem Fußboden gibt es keine Spuren. Wir werden die Fingerabdrücke durch die Datenbank jagen. Dann wissen wir mehr, aber ich nehme an, dass die Fingerabdrücke jene der Mitarbeiter vor Ort sind. Alles andere würde mich wundern. Was die eingeschlagene Scheibe und die tote Maus anbelangt, weiß ich noch nicht, was ich davon halten soll: Schlägt eine Schlange eine Scheibe ein, um eine Maus zu fangen, die sie dann liegen lässt? Wohl eher nicht. Wir haben die Maus jedenfalls mitgenommen und lassen sie untersuchen.«

      Davide Carbone und sein Spurensicherungsteam hatten kaum die Werkstatt verlassen, da läutete Direttore Coloccinis Mobiltelefon. Es war Gasperini von der Portiersloge, der ankündigte, dass Giuseppi Ferro, der Direktor der weltberühmten Uffizien, in wenigen Augenblicken in der Restaurationswerkstätte erscheinen werde. Und er wirke nicht sehr entspannt. Coloccini lockerte seinen Krawattenknoten und machte sich auf das Schlimmste gefasst.

      Aber statt ein Donnerwetter loszulassen, machte sich Uffizien-Direktor Ferro nach einer raschen Vorstellung daran, den Anwesenden so viel wie möglich über das geraubte Gemälde zu erzählen, wohl wissend, dass sich der Fahndungserfolg bei einem Kunstraub am ehesten dann einstellt, wenn man die Ermittlungen schnell aufnimmt und seine Fühler in alle möglichen und unmöglichen Richtungen ausstreckt.

      »Die ›Anbetung der Könige‹ war einer der ersten größeren Aufträge für den noch jungen Leonardo da Vinci«, eröffnete der weißhaarige Ferro seinen Monolog und zog eine schallplattengroße Farbkopie des Werkes aus seiner Sakko­tasche. »Das Gemälde, das den Altar der Kirche San Donato a Scopeto vor den Stadttoren von Florenz schmücken hätte sollen, wurde nie fertiggestellt. Die Mönche des Augustiner-Klosters betrauten den damals 27-jährigen Da Vinci, ich glaube, es war 1497, damit, ein rund zweieinhalb Meter langes und ebenso breites Bild mit dem damals geläufigen Thema zu malen. Triebfeder hinter der Beauftragung war übrigens Leonardos Vater, Ser Piero di Antoni da Vinci, der in Florenz als Notar tätig war. Leonardo nahm die ›Anbetung der Könige‹ mit großem Elan in Angriff: Eine ganze Reihe von Skizzen, die in namhaften Museen – unter anderem im Louvre – ausgestellt sind, zeugen von der intensiven Vorbereitung auf das Gemälde. Aber: Es kam nie zur Fertigstellung des Bildes. Ich will jetzt nicht auf die Details eingehen. Nur so viel: Leonardo wollte weg aus Florenz und übersiedelte nach Mailand, wo er fortan für Lodovico Sforza, den Herzog von Mailand, arbeitete. Die ›Anbetung der Könige‹ blieb in halbfertigem Zustand zurück: als monochrome Ölzeichnung, mit teilweise sehr detailliert ausgeführten, teils aber auch nur grob skizzierten Figuren sowie architektonischen Elementen im Hintergrund.«

      Brigadiere Donati war der Erste, der es wagte, den Direktor der Uffizien in seinem Redeschwall zu unterbrechen: »Aber es gibt doch sicher berühmtere Gemälde von Leonardo da Vinci, oder? Warum hat es der Dieb auf genau dieses abgesehen? Warum stiehlt er nicht eines, das schon fertig ist?«

      Ferro verdrehte die Augen und wandte sich vorwurfsvoll an Coloccini: »Zuallererst möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Kunstobjekte im Opificio delle Pietre Dure anscheinend ungleich weniger gut geschützt und weniger gut bewacht sind als in unserem Haus. Es ist unvorstellbar, dass jemand aus den Uffizien mit einem Gemälde unterm Arm hinausspaziert …«

      Direttore Collocini wollte dies keinesfalls auf sich beruhen lassen und warf protestierend ein: »Sie wissen genau, dass das Ganze eine Verkettung unglücklicher Umstände ist. Niemand kann ins Opificio delle Pietre Dure hineinspazieren und Kunstobjekte einfach so mitnehmen. Dagegen verwehre ich mich!«

      »Die Umstände werden noch zu klären sein, und vor allem hoffe ich, dass wir die ›Anbetung der Könige‹ bald wieder in Händen halten werden. Unser Ruf steht auf dem Spiel. Wir sind schließlich unseren Sponsoren gegenüber verpflichtet. Was meinen Sie, was derartige Katastrophen für das Spendenaufkommen bedeuten?«, verschärfte Ferro seinen Ton.

      Nach