Maximilian Mondel

Die Anbetung der Könige


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eingefahren war.

      »Ich melde mich bei Ihnen, wenn es so weit ist«, erklärte Francesco knapp, wünschte ihm einen schönen Abend, setzte sich in einen schwarzen Jeep Cherokee und entschwand in Richtung Autobahn.

      Und wenn dem jungen Schillaci die 50.000 Euro im Laufe der Wochen zu wenig sind, dann erhöhe ich eben um 10.000 Euro, dachte er sich. Und dann noch einmal um 10.000, und wenn es sein muss, um weitere 10.000. Am Geld sollte es nicht liegen. Schillaci hatte auch im persönlichen Gespräch einen guten Eindruck bei ihm hinterlassen. Sein Auftritt bestätigte nur das, was er schon über ihn in Erfahrung gebracht hatte. Und die Arbeit des 25-jährigen jungen Mannes sprach ohnehin für sich. Auch sonst wirkte der Kunststudent solide und formbar. Und Linkshänder war er auch noch. Als er zwei Stunden später in die Einfahrt zu seinem Anwesen einbog, hatte Francesco ein rundum gutes Gefühl.

      INFRAROTE EINBLICKE

      Die Werkstätten des Opificio delle Pietre Dure e laboratori di Restauro befinden sich in der Fortezza da Basso im Zentrum von Florenz. Die Festungsanlage aus dem 16. Jahrhundert liegt an der Viale Filippo Strozzi, in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs Santa Maria Novella. Neben der renommierten Restaurationswerkstatt beherbergt die Fortezza da Basso mit ihrer imposanten Festungsmauer auch Konzert- und Veranstaltungssäle für Kongresse und Konferenzen.

      Der Vormittag des 4. April war ein Vormittag wie viele andere im toskanischen Frühjahr. Noch etwas kühl, aber freundlich. Es war fünf Minuten vor elf, als sich Darren F. Hammond, freier Redakteur der britischen Tageszeitung »The Guardian«, beim Portier des Opificio delle Pietre Dure einfand und diesem den ausgedruckten E-Mail-Verkehr mit Cesare Rizzoli aus dem Direktionssekretariat sowie einen britischen Presseausweis präsentierte. Er habe um elf Uhr einen Termin bei Direttore Collocini, erklärte Hammond, der einen dunkelgrauen Zweiteiler und ein hellblaues Button-down-Hemd ohne Krawatte trug. Nachdem der Portier den Journalisten ordnungsgemäß angekündigt und in der Besucherliste eingetragen hatte, stand Hammond – groß gewachsen, schlank und das mittelbraune kurze Haar exakt gescheitelt – Minuten später mit einer voluminösen Aktentasche unterm Arm und einem Besucherschild am Revers seines Sakkos im Büro von Direttore Maurizio Collocini. Nach der Begrüßung und dem Austausch von Höflichkeiten begab man sich gemeinsam und ohne Umschweife ins Labor für die Restaurierung von Gemälden auf Leinwand und Holz.

      »Wie lange schreiben Sie schon für den ›Guardian‹?«, wollte Collocini, bekleidet mit einem perfekt sitzenden dunkelbrauen Anzug und einem rosafarbenen Hemd, auf dem Weg ins Labor wissen.

      »Seit knapp drei Jahren«, antwortete Hammond. »Ich liefere regelmäßig Reportagen für die Wochenendausgabe.«

      Vor allem Kultur und Reisen seien seine Themenfelder, ab und zu auch Kulinarik, ließ der Brite Collocini wissen. Vor zweieinhalb Monaten hatte Hammond eine Anfrage an den Leiter des OPD geschickt. Daraufhin hatte man ihn gebeten, eine Kopie seines Presseausweises und eine unterfertigte Beauftragung der Chefredaktion per E-Mail zu übersenden. Man würde sich bei ihm melden und bekanntgeben, wann ihm ein Termin in der Restaurationswerkstatt gewährt werde.

      Nach wenigen Minuten standen der englische Journalist und der Direktor des Opificio delle Pietre Dure nun vor jenem Gemälde, über dessen Restaurierung Hammond im »Guardian« eine Reportage zu verfassen gedachte.

      »Wir haben die ›Anbetung der Könige‹ jetzt seit dreieinhalb Jahren bei uns. Und ich gehe davon aus, dass wir nur noch ein paar Tage, höchstens ein bis zwei Wochen für die vollständige Wiederherstellung benötigen«, erklärte ­Collocini. »Woher kommt es eigentlich, dass Sie perfekt Italienisch sprechen?«, fuhr er fort und kniff dabei die Augen zusammen.

      »Wissen Sie, ich lebe seit 15 Jahren in Italien, und meine Frau ist Italienerin, da hat man keine andere Wahl, als die Sprache zu erlernen«, schmunzelte Hammond.

      »Verstehe«, lächelte Collocini wissend zurück.

      Gelbe Lüftungsrohre, Infrarotkameras, große Bildschirme und gigantische Mikroskope prägten den loftartigen Raum, der ein Stockwerk unterhalb der Chefetage lag. Auf den Tischen standen zahllose Fläschchen, Tuben und Dosen, daneben lagen Pinsel, Pinzetten, Skalpelle und anderes Werkzeug in den unterschiedlichsten Größen und für die unterschiedlichsten Verwendungszwecke aufgereiht. Penible Sauberkeit und eine ebensolche Ordnung wurden hier offensichtlich großgeschrieben. Hammond fühlte sich eher an einen Operationssaal oder an ein Forschungslabor der Pharmaindustrie erinnert als an eine Restaurationswerkstätte. Wäre da nicht in der Mitte des fabrikshallengroßen Raumes der drei Meter hohe Holzrahmen, in den das aus zusammengeklammerten Holzplanken bestehende Gemälde montiert war, Hammond hätte die komplett in Weiß gekleideten Restaurateure ohne Weiteres für Krankenhauspersonal gehalten. Als er der restaurierten »Anbetung der Könige« in seiner vollen Pracht gegenüberstand, ließ er sich weder seine Ehrfurcht vor dem Meisterwerk anmerken, noch dass ihm sein Herz bis in den Hals schlug.

      »Wunderschön«, entfuhr es ihm dann aber doch, und das war vor allem darauf zurückzuführen, dass er das Gemälde, das er schon Dutzende Male in den Uffizien bestaunt hatte, nun zum ersten Mal so sah, wie es Leonardo da Vinci selbst gesehen hatte: vollständig vom Schmutz der Jahrhunderte und dem vergilbten Firnis, der immer wieder zum Schutz des Bildes aufgetragen worden war, befreit.

      »Finden Sie nicht auch, dass Leonardos Genie, das sich hier vor allem in der Bildkomposition und der perspektivischen Darstellung zeigt, jetzt noch deutlicher zum Vorschein kommt?«, sinnierte Collocini, ohne wirklich auf eine Antwort von Hammond zu warten.

      »In der Tat«, flüsterte Hammond und tauchte immer tiefer in das Holzbild ein. Fast zu tief.

      »Signore Hammond! Vorsicht!«, mahnte Collocini den Journalisten, der nahe an das Meisterwerk herangetreten war.

      Hammond machte eine entschuldigende Geste, trat einen Schritt zurück und betrachtete das Werk nun aus sicherer Entfernung.

      »Was würden Sie denn gerne über die Restaurierung des Bildes wissen?«

      Hammond war fast geneigt, »Alles!« zu rufen, besann sich dann aber eines Besseren.

      »Erzählen Sie mir doch bitte zu Beginn, wie es überhaupt zur Restaurierung des Gemäldes kam.«

      Daraufhin begann Collocini zu schildern, wie ein privater Mäzen die Mittel für die Restaurierung bereitgestellt hatte, wie das Opificio delle Pietre Dure von den Uffizien – wie in solchen Fällen üblich – mit dem Projekt betraut worden war, unter welch strengen Sicherheitsvorkehrungen die »Anbetung der Könige« in die nur wenige Straßenzüge entfernte Restaurierungswerkstätte gebracht worden war, und dass sich ein Team von rund einem Dutzend Experten mit den unterschiedlichsten Spezialisierungen seit knapp 1.300 Tagen intensiv um die Wiederherstellung des Gemäldes bemühte.

      »Ich kann Ihnen sagen, es ist gar nicht so einfach zu definieren, was man eigentlich restaurieren, also wiederherstellen soll. Cesare Brandi meint in seiner ›Teoria del Restauro‹, einem Standardwerk: ›Die Restaurierung muss sich die Wiederherstellung der potenziellen Einheit eines Kunstwerks zum Ziel setzen, unter der Voraussetzung, dass dies möglich ist, ohne eine historische oder künstlerische Fälschung zu begehen und ohne die Spuren der Zeit auf dem Kunstwerk zu löschen.‹ Wir, die wir für die Restaurierung des Bildes zuständig sind, tragen demnach eine riesengroße Verantwortung. Vor allem, weil es sich nicht um irgendein Bild handelt, das auf einem Dachboden gefunden worden ist und das im Zuge der Restaurierung in einen möglichen Original­zustand zurückversetzt werden soll. Hier handelt es sich um ein Gemälde, das die ganze Welt kennt und das – obwohl es unvollendet ist – eines der bedeutendsten Gemälde von Leonardo da Vinci ist, weil es für eine ganz bestimmte Phase seines Schaffens steht.«

      Direttore Collocini war deutlich anzusehen, welche Bedeutung die Arbeit an der »Anbetung der Könige« für ihn und das gesamte Labor hatte und wie sehr ihn das Projekt gefangen nahm – und das obwohl schon die Werke vieler großer Renaissancekünstler durch seine Hände gegangen waren.

      »Wenn Sie wollen, Signore Hammond, zeige ich Ihnen, was man zu sehen bekommt, wenn man dem Bild mit der Infrarotlampe zu Leibe rückt«, verkündete er jetzt. Und