vergebt mir! (Geht ab)
Anselmo. Du schweigst, Gaddo?
Gaddo. Was kann ich sagen? Bete für mich. Ich entschlummre.
Anselmo. Ich will zur Thurmspitze hinaufgehen, wo Francesco sich Gott empfohl, und da für dich beten! (Küßt Gaddo und geht langsam ab)
Dritter Aufzug
Gaddo in einer Ecke des Zimmers schlafend. Einige Männer tragen zween Särge über das Theater, die sie Gaddo gegenüber hinstellen, daß nur der vorderste gesehn wird. Gaddo erwacht und betrachtet ihn mit vieler Aufmerksamkeit
Gaddo. Dieser große Kasten sieht natürlich aus, wie ein Totenkasten. Wenn ich den Kasten betrachte, richtet sich mein Haar ganz langsam in die Höhe; weh mir! und ein Fieber klappert in meinen Zähnen! Holla! spricht hier niemand, als der kranke Gaddo? (Es wird ein starkes Pochen im vordersten Sarge gehört) Ach, heilige Jungfrau! was ist das? (Eine dumpfigte Stimme ruft »Gaddo! Gaddo!«) Hilf mir, mein Vater! Mein Vater! Anselmo!
Ugolino. (ohne die Särge zu sehn) Was ist dir, Gaddo?
Gaddo. O mir! Die Gebeine haben sich geregt! rufen: »Gaddo! Gaddo!«
Anselmo. (im Hereinlaufen) Wartet, wartet, ihr Männer. Nehmt mich und Gaddo auch mit. Wir sind Francescos Brüder. (Stößt auf den Sarg) Ah!
Ugolino. (sieht sich nach Anselmo um) Welch ein Traum ist dies? Ein Sarg? (Pochen im Sarg. Ugolino tritt zurück) Nun, beim wunderbaren Gott! das ist seltsam! (Die Stimme ruft »Hülfe!«) Der Deckel dieses Sarges ist nicht befestigt. (Er hebt den Deckel auf, und fährt zurück) Ha!
Francesco. (steigt heraus. Nachdem sie einander lange mit Erstaunen betrachtet haben, fällt Francesco seinem Vater zu Füßen)
Francesco. Der Blinde lehnte sich wider den Sehenden auf. Ich bin bestraft, mein Vater.
Ugolino. Ich erwartete nicht, dich so wiederzusehen. Wo bist du gewesen?
Francesco. Wollte Gott, ich dürfte nicht sagen, im Hause Gherardescas.
Ugolino. Du erfandst einen Sprung vom Thurme; Ruggieri eine neue Art, dich wieder herzubringen: wer unter euch beiden ist der sinnreichste, mich zu quälen?
Francesco. Dies ist so strenge – so erstaunlich strenge, mein Vater –
Ugolino. Du warst frei. Die Kühnheit deiner Unternehmung ließ mich hoffen, daß der Ausgang weniger schimpflich sein würde. In einen Sarg rafft man Gherardescas Erstgebornen; und er vergißt seiner Hände – Doch ich tue dir Unrecht, du brauchtest sie zum Pochen im Sarge.
Francesco. Ich erdulde deine Streiche ohne Murren.
Ugolino. Murren, Knabe? Wer bist du? Ha?
Francesco. Dein Sohn mein Vater; ein zwanzigjähriger Jüngling; nie bisher von dir verachtet; und ich wage hinzuzusetzen, noch itzt deiner Verachtung nicht würdig.
Ugolino. Redseliger! Der Hülflose, der in diesem Kasten wimmerte, sollte bescheidner sprechen. Ich habe keine Geduld mit dir. Geh zurück, wo du hergekommen bist.
Francesco. Und bald! meine Sprache soll dich nicht lange beleidigen. Ah! kann Gherardesca ungerecht gegen seinen Francesco sein? Anselmo, er muß nicht wissen, wie ungerecht er ist.
Anselmo. Francesco, ich hatte alle meine besten Hoffnungen auf dich gesetzt, und du nennst unsern Vater ungerecht? Ach Gaddo! wir sind betrogen! wir sind betrogen!(ringt die Hände)
Gaddo. Gib mir Speise, Francesco, oder ich sterbe!
Anselmo. Speise her! Speise! Francesco! Ich bin standhaft gewesen, weil ich auf deine Zusage baute. Aber nun kann ich's nicht länger aushalten, Gott ist mein Zeuge!
Ugolino. O es dringt tief in die Seele! Unglücklicher! was hast du gemacht!
Anselmo. Gaddo wird dich vor Gottes Richterstuhl verklagen, wenn du ihn hier verschmachten lässest.
Gaddo. Ach ich Verlaßner! soll ich denn Hungers sterben?
Francesco. Es ist grausam! o es ist grausam! Der Gott, den ihr zum Zeugen wider euren Bruder anruft, er weiß es, daß ich unschuldig bin.
Anselmo. Was kümmert mich deine Unschuld? Solltest du zurückkommen, ohne einen Bissen Brot für deine hungernden Brüder mitzubringen, du?
Gaddo. Er weint, Anselmo. Vielleicht ist er unschuldig. Gott vergebe ihm, daß er uns betrogen hat!
Anselmo. Sprich wenigstens, teurer Francesco! sprich daß der Thurmwärter noch einmal, nur einmal! kommen wird! Du hast Empfindung, mein Bruder: ach, bei allen Heiligen im Himmel! sprich, daß du den Thurmwärter zu deinen armen Brüdern hergewiesen hast!
Francesco. Nichts, nichts darf ich sagen! Wenn der große Erbarmer nicht einen Engel vom Himmel herabschickt, euch Speise zu bringen, ach so – so –
Ugolino. Daß ein Todesengel vom Himmel herabsteige, deine Zunge zu lähmen, der du meine fürchterlichen Ahndungen zur Wahrheit machst! Verstumme, verstumme auf ewig!
Francesco. Warum fluchst du mir, mein Vater? Was ich dir zu erzählen hatte, würde warme Tränen hervorlocken: darum verschwieg ich's; und stille sei mein Geheimnis, wie das Grab.
Ugolino. Komm seitwärts. Was hattest du mir zu erzählen?
Francesco. Nichts.
Ugolino. Seit wann bin ich dir der Schwache, dem du sein Unglück verbergen müßtest?
Francesco. Du bist Mensch, Gemahl und Vater.
Ugolino. Ha! du hast deine Mutter gesehn? Hurtig! sie ist doch sicher?
Francesco. Ihr Friede ist unzerstörbar.
Ugolino. Das ist mehr, als das Los einer Sterblichen. Sprich deutlicher. Deine weggewandte Augen, diese Glut auf deiner Stirne sind treuere Erzähler, als deine Lippen. Du ängstigst mich.
Francesco. Frage mich nicht, Vater.
Ugolino. Keine Geheimnisse, junger Mensch!
(Anselmo schreit erschrocken)
Ugolino. Schon wieder? was nun, Anselmo?
Anselmo. Ach! Sieh! sieh! mein Vater!
Ugolino. Wo? was?
Anselmo. Wenn mich kein Gesicht täuscht, so steht hier noch ein Sarg.
Francesco. Anblick des Entsetzens! den Sarg kenn ich!
Ugolino. (tritt herzu) Lebt's in diesem Sarge auch? (will den Deckel abschieben; Francesco hält ihm den Arm)
Francesco. Tu es nicht, mein bester, mein teurer Vater!
Ugolino. Nicht? nicht?
Francesco. Um Gottes willen! Ich will dir alles erzählen.
Ugolino. (reißt sich von ihm los, und schiebt den Deckel ab) Mein Weib! o Himmel und Erde!
Francesco. Warum zerschmetterte ich mir nicht das Gehirn? Warum zerstiebten die SThurmwinde den Spreu nicht? Warum ward ich geboren? (Reißt sich die Haare aus)
(Anselmo wirft sich bei Gaddo auf den Boden hin, und verhüllt sich das Gesicht)
Ugolino. Sie schweigt. Bleich ist ihr schöner Mund. Kalt der Schnee ihrer Brust.
Francesco. Kann ich's, muß ich's überleben?
Ugolino. Ach nein! nein! du bist nicht tot! Beim Himmel! ich will's nicht glauben! (Er faßt Francesco vor die Brust) Verderben ergreife dich, du Todesbote! Warum ließest du mich nicht zweifelhaft? Warum brachtest du diese unseligste Gewißheit vor meine Augen? Warum kamst du, wie das Grab gerüstet, meine goldnen Träume zu verscheuchen?
Francesco. Dein Raub – und des Todes – zerreiße mich vollends.
Ugolino.