Johann Gottfried Herder

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang


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bin hier der Rufende nicht!

      Anselmo. Du da auf dem Stroh, ich habe zu tun!

      Gaddo. (streckt die Hände aus, und legt sich seitwärts)

      Anselmo. Hinweg! (Er pfeift) Hinweg! in meinem Kopf sollst du mir nicht spinnen! (Pfeift wieder) Hinweg ich verbanne dich auf ewig aus meinem Kopf! (Macht eine Bewegung mit der Hand) Nun, wie steht's, ihr im silbernen Gewande, unsterbliche Töchter des hohen Oceanus! haben wir das Wild? Mit diesen Nägeln will ich's zerreißen; mit diesem Gebiß will ich's zermalmen; so, so, so will ich das Wonneblut trinken! Schnaubend stürzt der Tiger vom Abhang; sie haben ihm seinen Raub entwandt; springt zischend hoch auf, wittert in den Wind, zerstiebt mit langgestreckter Klaue den Fußtritt des Schnellen im glutroten Sand, Grimm knirscht in seinen Zähnen, Hunger sprüht heiß im Aug: umsonst, Tiger, am Bart des Jägers glänzt's! Ich will mich an diesen Abhang setzen. Durch diese Felsritze kann ich die Tigerkatzen über mir, und von die ser Höhe die Marder unter mir spähen. So will ich euch den Fang ablauschen, ihr Räuber! Meine Hühnchen nisteten am Sumpf, wo der Marder mit gesenkten Ohren hinabschleicht. Weg sind sie! Stoßt ins Horn, Müßige! stoßt ins Horn! stoßt ins Horn! (singt)

      Der muntre Jagdzug schwebet

      In blauer Luft!

      Roß, Hund, und Jäger drängt sich

      Daher, dem Himmel nah!

      Hab ich den Dieb? Langöhrigter! laß deine Stimme hören! (Er billt) Ho! ho! ho! Dieb siehst du den Pudel nicht?

      Gaddo. Was ist das?

      Anselmo. Sei gegrüßt, Endymion. Wir haben gute Weile. Kannst du einen Wettgesang singen?

      Gaddo. Ich singe wenig, Anselmo.

      Anselmo. Was schadet's? Wir wollen einen Wettgesang singen.

      Gaddo. Ich kann kaum reden, Anselmo; und sollte singen?

      Anselmo. Singe, Träger, oder bei jenem hinhangenden Monde! ich zerstoße dich mit dem Felsbruche!

      Gaddo. Wie, Anselmo, du weißt, daß ich nicht singen kann.

      Anselmo. Singe!

      Gaddo. Ich singen?

      Anselmo. Singe!

      Gaddo. Ich, der ich weinen möchte, wenn ich könnte?

      Anselmo. Singe weinend! Singe!

      Gaddo. Nun denn, Anselmo, ich will singen: aber mein Hals ist roh und heiser. Schenke mir, wenn ich bitten darf, ein kleines Hänflingei, oder ein Zeisigei, wie es dir am nächsten zur Hand ist, um meine Stimme zu bereiten.

      Anselmo. (beiseite) Was gilt's, dies ist der Marder, der mir die Eier austrinkt! Durch seine Larve hindurch erkenn ich den tückischen Heuchler! Er ist's! bei meinem Leben! Ich will ihn ausfragen.

      Gaddo. Aber schenke mir's bald, Lieber: meine Stimm ist vertrocknet.

      Anselmo. Gut! gut! du möchtest also ein Hänflingei haben?

      Gaddo. Ich will's nicht leugnen.

      Anselmo. Oder ein Zeisigei?

      Gaddo. Ach ja!

      Anselmo. Hem! wäre dir nicht mit einem Hühnerei gedient?

      Gaddo. Das wäre zu viele Güte.

      Anselmo. Ei ja, nimm ein Hühnerei.

      Gaddo. Ich danke.

      Anselmo. Es ist ein frisches Ei, eins von den besten, die ich in meinem Stall habe. He?

      Gaddo. Weil es von deiner Hand kömmt, will ich's nicht ausschlagen.

      Anselmo. Ich dacht es. (Faßt ihn an die Kehle) Räuber, bekenne mir, wie lange hast du diesen heillosen Frevel verübt?

      Gaddo. O mir!

      Anselmo. Wie viele Eier hast du mir ausgetrunken? Sieh, dein Leben ist in meiner Hand. Bekenne, wie viel?

      Gaddo. Ah! du wirst mich nicht umbringen, Anselmo?

      Anselmo. Ich, Marder! ich! ich! umbringen, Marder! dich, Marder! gib acht, Marder!

      Gaddo. Hülfe! Hülfe!

      Francesco. (springt zu und befreit Gaddo) Entsetzlich! Anselmo schlägt seinen Bruder Gaddo?

      Gaddo. Ah! ah!

      Francesco. Seinen kranken, gelähmten, verschmachtenden Bruder schlägt Anselmo?

      (Anselmo gibt Francesco unvermutet einen Stoß, um sich loszureißen)

      Gaddo. Halt ihn! ach halt ihn!

      Francesco. Eine eiserne Hand!

      Gaddo. Nach mir sieht er hin. Trauter Francesco, halt ihn!

      Francesco. Ein Luchs blickt nicht wilder. Der Apfel quer, flammigt der Stern. Und es ist Tücke darin. Wie kann Tücke in ein Auge kommen, wo das Herz so gut, so brüderlich gut ist? O mein Anselmo! Er schweigt hartnäckigt.

      Gaddo. Ich aber sollte singen!

      Francesco. Unser Vater wird gleich hier sein. Er muß dich nicht sehn. Ich beschwöre dich, Anselmo, laß mich dich entfernen, daß unser Vater dich itzt nicht sehe. Es würd ihn töten!

      Gaddo. Schone seiner, Francesco. Ein Marder hatt ihn wider mich aufgebracht; ich weiß selbst nicht, wie. Ah! nun schaut er schon wieder um sich!

      Francesco. Er erschrickt. Es dämmert in seinem Auge. O Anselmo! wo bist du gewesen, Anselmo?

      Gaddo. Das ging ihm ans Herz!

      Francesco. Eine mildere Röte umzieht seinen Blick. Seine Wangen glühn. Er schmilzt, er schmilzt wirklich. Fürchte dich nicht, mein Bruder Anselmo. Sein Auge weinet. Gottlob! da stürzt die Träne! da stürzt die Träne!

      Anselmo. Ach Heerscharen des Himmels! Welcher Segenvolleste unter euch stellt sich zwischen mein Herz und die umspannende Kralle?

      Francesco. Erbärmlicher Anblick!

      Anselmo. Läuft die Natur im Kreise vor mir herum? Wohin, mein Bruder?

      Francesco. Dir schwindelt, armer Anselmo. Es ist alles unbeweglich um dich her. Unser Vater kömmt. Um Gottes willen, teuerster Anselmo, mäßige dich itzt, da unser Vater kömmt!

      Anselmo. Wie könnt er kommen? Er lebt ja nicht mehr!

      Ugolino. (sehr freundlich) Ihr guten Kinder!

      Anselmo. (fällt ihm um den Hals und schluchzt)

      Ugolino. (ihn küssend) So lieb ich euch, meine Kinder. Euch in dieser reizenden Vertraulichkeit beisammen sehn, ist Erquickung zum Leben! Warum stutzt mein Anselmo? betrachtet mich so aufmerksam?

      Francesco. Das Vergnügen, mein Vater, dich so heiter zu finden –

      Ugolino. Wir wollen recht heiter sein, meine Kinder. Es ist eine heitre Stunde. (Er nimmt einen Stuhl und setzt sich) Setze dich neben mich, Francesco, und du, Anselmo. Will Gaddo auf seines Vaters Schoß sitzen?

      Gaddo. Ob ich will? (Bewegt sich, um hinzukommen)

      (Francesco bringt ihn seinem Vater)

      Ugolino. Wir haben viel fröhliche Tage gelebt, meine Söhne. Wollen wir nachrechnen? Es wird uns schwerfallen, sie alle zusammenzurechnen.

      Francesco. Das war ein schöner fröhlicher Tag, da Anselmo geboren ward. Ich erinnere mich's recht genau. Ich war damals sieben Jahre alt.

      Ugolino. Ein schöner Tag; du hast recht, Francesco. Ganz Pisa nahm daran teil. Die Freudenfeier und die festlichen Tänze dauerten drei Tage, und darüber.

      Gaddo. Da wird was Rechts geschmaust sein, mein Vater! War ich auch dabei?

      Francesco. Du warst noch nicht geboren, Gaddo.

      Gaddo. Schade!

      Ugolino. Wie so still, Anselmo?

      Anselmo. (nachdem er ihn starr angesehn hat) So bist du's denn wirklich? Nun (Blickt