Heike Vullriede

TENTAKEL DES HIMMELS


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…«

      »Sie ist schon weg? Das ging aber verdammt schnell.«

      »Ja, vermutlich hatte sie es damit so eilig, weil Sie ›blöde Schnepfe‹ und ›dämliche alte Schachtel‹ zu ihr sagten, als sie Ihnen gestern die Post bringen wollte. Ich schätze, dass da noch ein arbeitsrechtliches Nachspiel auf Sie zukommt.«

      Jan runzelte die Stirn. Da war er wohl etwas voreilig und eine Idee zu wenig empathisch gewesen. Egal, nun war es eben so. Er brauchte keine alte Tante, die sich aufführte wie eine Expartnerin seines Vaters – was sie mit Sicherheit nicht war – und die glaubte, einen Anspruch auf ein besonderes Vertrauensverhältnis Jan gegenüber zu besitzen. Sollte sie doch weggehen, völlig bedeutungslos. Sie war ersetzbar.

      »Genauso, wie Sie dem Pförtner gekündigt haben, dem Chefbuchhalter, einer Reinigungsfrau, die Ihnen lediglich mit dem Staubsauger im Weg war, und den beiden Sachbearbeitern aus der Organisationsabteilung. Ach ja, und der Personalchefin, weil sie ein ernstes Gespräch über all diese Kündigungen mit Ihnen führen wollte.«

      »Und jetzt haben Sie Angst um Ihren Job?«, raunzte Jan Kemal von unten aus ins Gesicht.

      »Nein, wohl kaum.«

      »Ach nein?«

      »Nein, Sie brauchen mich noch. Jetzt umso mehr.«

      »Da sind Sie sich aber ziemlich sicher.«

      »Allerdings, irgendjemand muss das Geschäft weiterführen, auch wenn Sie es vermutlich so schnell wie möglich veräußern wollen. Dabei könnte ich Ihnen übrigens behilflich sein.«

      »Vielleicht will ich das ja gar nicht.«

      Jan bemerkte einen Hauch von Enttäuschung in Kemals Miene. Hatte der Kerl doch wahrhaftig darauf gehofft, ihn derart schnell loszuwerden? Selbstredend überlegte Jan vom Todestag seines Vaters an, das Geschäft zu verkaufen. Nur wusste er nicht einmal, wie er das anstellen sollte, genauso wenig, wie er etwas vom Marketinggeschäft verstand, von Geschäften überhaupt. Er brauchte Kemal tatsächlich. Ein Glück, dass er ihm noch nicht gekündigt hatte.

      »Ich bin also nach wie vor Ihr Rechtsberater?«

      »Ja, seien Sie stolz darauf.«

      »Da das nun geklärt ist, wäre ich froh, wenn wir ernsthaft über Geschäftliches sprechen könnten. Es gibt einen Vorgang, der mir Bauchschmerzen bereitet. Es betrifft ein – wie soll ich sagen – besonderes Unternehmen in Düsseldorf.«

      Jan seufzte, es blieb ihm nicht erspart. Nun hatte ihn der Alte da, wo er ihn immer haben wollte.

      »Was ist denn so besonders an diesem Unternehmen?«

      »Es handelt sich um eine christliche Glaubensgemeinschaft. Sie nennt sich Kirche des Lichts

      »Eine Kirche? Ernsthaft?«

      »Ich weiß nicht, was Sie über die letzten zwei Jahre ihrer Eltern wissen. Ihre Mutter war sehr krank und in dieser Kirche wollte sie wohl so etwas wie Erlösung finden.«

      »Ich weiß gar nichts. Mein Vater hielt es nicht für nötig, mich über irgendetwas zu informieren. Von der Krankheit und dem Tod meiner Mutter erfuhr ich erst nach ihrer Beerdigung.« Jan betrachtete das goldgerahmte Foto auf dem Schreibtisch, worauf seine Eltern Arm in Arm am Strand von Juist vor dem Meer posierten.

      »Das wussten Sie nicht? Ihr Vater sagte, er hätte Sie in Berlin nicht erreichen können. Er meinte, Sie hätten kein Smartphone und keine Adresse, an die er sich wenden konnte.«

      »Oh doch, die hatte er. Ich war in einer WG gemeldet. Jede Nachricht an diese Adresse gerichtet, hätte mich erreicht … zumal in einem Zeitraum von zwei Jahren …«

      Ein Kloß in Jans Kehle hinderte die nachkommenden Worte, ausgesprochen zu werden. Dafür hasste er seinen Alten. Für diese Sturheit, nicht einmal in Mutters schlimmsten Zeiten den Kontakt zu ihm gesucht zu haben. Für wie undankbar hatte er ihn eigentlich gehalten? Es wurde ihm bewusst verschwiegen. Selbst bei Jans Weihnachtsanruf im letzten Jahr.

      Jan wandte sich dem jungen Mann im Büro wieder zu. Er fand ihn etwas herablassend ihm gegenüber. Wer wusste schon, was sein Vater alles über Jan erzählt hatte.

      »Was ist denn nun mit dieser Kirche?«, fragte Jan.

      »Das, ich nenne ihn mal Oberhaupt, möchte unser Unternehmen kaufen.«

      »Das hier? Sie meinen mein Erbe, die Marketingfirma Peter Torberg GmbH

      »So ist es. Und an einer Marketinggesellschaft der Kirche sind Sie mit Ihren Anteilen zur Hälfte beteiligt. Ich hatte Ihrem Vater damals übrigens abgeraten, da zu investieren. Wie dem auch sei … der andere Anteilseigner möchte einen neuen Geschäftsführer einsetzen und benötigt Ihre Unterschrift dazu.«

      »Das bereitet Ihnen Bauchschmerzen?«

      »Nicht die Sache mit dem Geschäftsführer, obwohl … der gilt merkwürdigerweise als verschollen. Aber mich beunruhigt vielmehr dieses Geschäftsfeld. Es ist eine Sekte.«

      »Verschollen?«

      »Ich lasse Ihnen das Schreiben des Herrn aus Düsseldorf da. Vielleicht schaffen Sie es, sich neben Ihren Kündigungen an die Mitarbeiter und den daraus resultierenden Konsequenzen damit zu beschäftigen.«

      »Kemal … ich darf Sie doch beim Vornamen nennen?«

      »Wenn es sein muss.«

      »Was denken Sie über den Selbstmord meines Vaters? War er wirklich so labil, dass er diesen Schritt gegangen ist?«

      »Was sagen Sie denn da? Was soll es denn sonst gewesen sein?«

      »Ich weiß nicht, das passte nicht zu meinem Vater. Nicht so, wie ich ihn kannte. Das habe ich den Polizisten auch gesagt.«

      »Das hieße im Umkehrschluss, dass er ermordet wurde. Wer sollte so etwas tun? Können Sie sich nicht vorstellen, wie traurig und einsam jemand sein kann, der einen geliebten Menschen verloren hat? Der niemanden sonst mehr an seiner Seite hat, auch nicht den einzigen Sohn, der sich seit Jahren nur noch zu Weihnachten meldet.«

      Jan hob den Kopf höher. »Sie werden unverschämt!«

      »Ich dachte, Sie wollten meine Meinung hören.«

      »Nein, nicht wirklich.«

      »Ich arbeite immer noch für Sie?«

      »Noch.«

      Taxi nach Düsseldorf

      Regen, dunkle Wolken, die den gesamten Horizont vereinnahmten, und das monotone Fahrgeräusch – seit Stunden zogen Bäume und Felder am Fenster vorbei. Die Scheibenwischer mühten sich unablässig um klare Sicht auf die unendlich scheinende Straße.

      Angesichts dieser düsteren Stimmung und der versackten Haltung auf dem Rücksitz des Taxis blieb Jan nichts anderes übrig, als den Schlaf zu suchen. Stundenlanges Sitzen und Warten schien ihm unerträglich. Ohne Sicherheitsgurt an das Fenster gelehnt, die Knie hochgezogen, die verschmutzten Schuhe an den Vordersitz gedrückt, knautschte er sich aus seiner ausgebeulten Lederjacke erneut ein Polster für den Kopf. Immer wieder fiel sein Blick auf das ewig Gleiche am Rande der Autobahn.

      »Geben Sie noch mal diese Geschäftsakte her«, brummte er.

      Seinen Sitznachbarn Kemal schien die Fahrt ebenso mitzunehmen. Er spielte lustlos auf seinem Smartphone herum.

      »Solcher digitaler Scheiß stiehlt Ihnen nur einen Teil Ihres Lebens«, stichelte Jan.

      Er sah in umränderte Augen und auf eine angestrengt gerunzelte Stirn. Träge steckte der junge Mann das Handy ein und reichte ihm die Mappe.

      »Irgendwann werden Sie so einen digitalen Scheiß dringend brauchen«, gab Kemal zurück.

      »Nein, davon habe ich mich verabschiedet. Mein Leben funktioniert auch ohne.«

      Jan blätterte