Heike Vullriede

TENTAKEL DES HIMMELS


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sich nach Tuchfühlung mit diesem Alonso, den man dort übrigens Padre nennt, nach und nach sehr veränderten. Als ob man ihnen langsam die Gehirne wusch. Ihre Mutter war zeitweise richtig euphorisch. Das war, bevor sie … bevor sich ihr Zustand rapide verschlechterte. Von da an musste ich mit den Mitarbeitern praktisch die Geschäfte allein führen.«

      »Hätte mein Vater mich nicht wenigstens dann ins Vertrauen ziehen können? Früher war er doch so wahnsinnig daran interessiert, dass ich mich endlich in sein Marketinggeschäft stürze. Wissen Sie, ich bin und bleibe Fotograf. Fotograf mit Leib und Seele … oder auch nicht – gut gelebt habe ich davon nie … mit Betriebswirtschaft stehe ich jedenfalls auf Kriegsfuß. Man könnte fast meinen, ich wäre von Beruf aus Sohn.«

      »Davon war ich überzeugt!«

      Diese kleine Bemerkung erlaubte sich Kemal, obgleich er voraussah, welche Reaktion darauf folgen würde. Tatsächlich verhärtete sich das Gesicht seines Vorgesetzten augenblicklich.

      »Und ich bin davon überzeugt, dass Sie von meinem Geld auch nicht gerade schlecht leben. Ich habe Ihre Gehaltszahlung unterschrieben und so viel Geschäftssinn habe selbst ich, dass ich die Summe getrost als völlig übertrieben betiteln kann.«

      Kemal nahm sich vor, sich solche Bissigkeiten künftig zu verkneifen. Solange, bis er mit Genugtuung kündigen würde. Für den Rest der Fahrt schwiegen sie, ungeduldig das ausweglose Sitzen ertragend.

      

      Die Zentrale der Kirche des Lichts

      »Warum kommt der so spät? Zwei Stunden Verspätung! Ohne jede Entschuldigung. Was maßt der sich an?«

      Der Mann, der vom Fenster des Büros aus die Hofeinfahrt überblickte, nahm eine Zigarette, drehte sie ein paar Mal um und zündete sie schließlich an.

      Seine Zuhörerin lächelte.

      »Der leistet sich so manches«, sagte sie, seine Finger beobachtend, wie sie ständig durchs Haar griffen, wie ein Redner, der nur aus Kopf und Händen bestand. Die Vorstellung von ihm als Kopffüßler rief eine gewisse Heiterkeit in ihr hervor.

      Sie war die Einzige, die Torberg Junior schon kannte. Bei einem ihrer Besuche in der Firma seines Vaters vor ein paar Jahren hatten sie und Jan Torberg festgestellt, dass sie sich aus Schulzeiten kannten. Es war ein einmaliges Treffen gewesen und einiges in der Zwischenzeit geschehen, aber die Erinnerung an den jungen Rebellen war geblieben. Unvergesslich, dieser ironische Zug um Torbergs Mund. Eine Hand hatte er ihr damals nicht gereicht, sie dafür ungeniert, geradezu anzüglich, gemustert. Seine herablassende Art hatte, das musste sie sich zugeben, etwas anziehend Unverschämtes. Anna Schuster amüsierte der Gedanke, wie der junge Unternehmer hier ankommen würde, und sie freute sich jetzt schon auf reichliche Abwechslung. Vor allem auf die Reaktionen Ihres Chefs Alonso. So schnell, wie gewohnt, würde er diesen nicht einwickeln.

      Sie nippte an ihrem Glas und beobachtete Wolff, der jetzt das Fenster verließ und auf und ab lief. Dermaßen nervös wie heute sah man ihn selten. Aber die wenig umgängliche Art Torbergs hatte sich durch informierte Zungen herumgesprochen – gerade auch durch ihre. Und wie vom Bösen getrieben, fand sie es an der Zeit, noch einmal darauf hinzuweisen.

      Ein Grund für die Finger, wieder durchs Haar zu greifen. Dann schwiegen die Hände, nachdenklich verharrten sie am Körper.

      »Ach was, der wird sich schon anpassen. So wie jeder.«

      Er drehte wieder die Zigarette.

      »Wenn nicht, dann wird der Padre schon dafür sorgen. Da können wir sicher sein.«

      »So sicher wie das Amen in seiner Kirche!«

      Anna fand ihre Bemerkung so passend, dass sie auf dem schwenkbaren Sessel hin und her wippte. Obwohl lautlos, schallte das Lachen in ihrem Kopf. Selbst Wolff schmunzelte heimlich, sie sah es. Wäre freilich der Padre anwesend gewesen, hätte sie niemals eine noch so passende Bemerkung gewagt.

      Kurz bevor sie in Düsseldorf ankamen, wäre es Jan fast gelungen, einzuschlafen. Gerade kroch ein Gefühl tiefer Entspannung in seinen Körper. Als der Taxifahrer ihn ansprach, dauerte es einige Sekunden, bis er richtig zu sich fand. Sein Wir sind gleich da, Herr Torberg, schreckte ihn auf, wie ein Schrei. Sie passierten ein wegweisendes Schild am Straßenrand.

      »Fahren Sie noch mal zurück«, befahl Torberg.

      Der Taxifahrer murmelte unverständliche Flüche vor sich hin, bevor er den Rückwärtsgang einlegte. Fünfzig Meter zurück stoppte er abrupter als nötig mitten auf der Straße.

      Mit zusammengekniffenen Augen studierte Jan durch das Autofenster hindurch die Aufschrift auf der Hinweistafel so lange, als wollte er sie ganz und gar verinnerlichen.

      Auf silberfarbenem Grund stand in protzend goldener Schrift:

      Kirche des Lichts

       Zentrale

       Marketing und Missionswerk

      »Warum halten wir hier?« Kemal war ebenso wie sein Chef aus einem Fast-Schlaf aufgeschreckt.

      »Ich wollte es schwarz auf weiß sehen und jetzt sehe ich es golden auf silber.«

      »Sie wollten was? Ich kann Ihnen nicht folgen … wie so oft.«

      »Ich meine dieses Schild. Kaum zu glauben, dass mir so etwas zur Hälfte gehört.«

      »Tja, über einige wesentliche Dinge hat Ihr Vater Sie wohl im Unklaren gelassen. Aber Ihnen gehört von der Zentrale nichts. Sondern nur ein Teil dieses Marketing- und Missionswerks. Missionierung ist auch so eine Art Marketing, wenn man es genau nimmt.« Kemal verzog verächtlich die Mundwinkel.

      Zwei Kilometer weiter erreichten sie die Einfahrt zu einem abgelegenen Anwesen. Ein grüner Streifen aus meterhohen Kirschlorbeeren kaschierte den dahinter verborgenen Metallzaun. Doppelstabgitter mit Auslegern, Jan durchdachte reflexhaft seine Chancen, den Zaun zu überwinden. Nicht ganz einfach, aber machbar, entschied er.

      Der Taxifahrer seufzte auf, als er seinen übermüdeten Körper aus dem durchgesessenen Autositz hob. Draußen bog er den Rücken ausgiebig durch.

      »Wird das heute noch was?«, rief Jan von der Rückbank durch die geöffnete Fahrertür. »Sie wissen schon, dass ich Sie üppig bezahlt habe?«

      »Deswegen bin ich nicht Ihr Sklave«, antwortete der Fahrer. Den unbequemen Kunden hatte er nur angenommen, weil er sowieso von Hamburg aus zurück nach Düsseldorf wollte und sich dadurch eine lukrative Rückfahrt anbot. Er formte ein unsittliches Zeichen mit seinem Mittelfinger, bevor er sich vor das verschlossene Tor des Anwesens stellte und einen Knopf drückte. Kemal hob angesichts der frechen Antwort des Fahrers triumphierend die Faust.

      Das Tor öffnete sich elektronisch und sie befuhren eine breite Schotterzufahrt, bis sie einen gepflasterten Hof erreichten. Der Hof erschien verschwenderisch groß. Er bot Platz genug für zweihundert Autos, aber nur wenige, höchstens zehn, parkten dort. Einige der Fahrzeuge protzten in Jans Augen wie Ludenkarren, die anderen wirkten auf ihn wie Seifenkisten. Ein großer weißer Transporter ohne Aufschrift rangierte vor dem geöffneten Tor einer Halle.

      Kemal und Jan enttäuschte das nüchterne Äußere des Gebäudes vor ihnen. Sie hatten mehr Spiritualität erwartet. So etwas wie eine große Kirche oder Moschee, etwas Heiliges jedenfalls.

      »Hier wollte meine Mutter ihren Glauben finden? Es sieht aus, wie ein gewöhnliches Bürogebäude«, sagte Jan.

      »Es ging nicht nur um ihren Glauben. Es ging um Heilung. Dem Sektenführer wird die Fähigkeit zugeschrieben, Kranke heilen zu können.«

      »Ein Wunderheiler? Ich kaufe Ihnen nicht ab, dass mein Vater an so etwas geglaubt hat.«

      »Warum nicht? Niemand weiß, wie er reagiert, wenn er den Tod so dicht vor Augen hat. Tut man dann nicht alles, um sich zu retten?«

      »Meine Mutter vielleicht, ja. Das kann schon sein.«

      »Tja,