Annemarie Selinko

Morgen ist alles besser


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packt sie ihre Schultasche, dreht sich um, murmelt: »Das auch noch«, reißt die schmale Geschäftstür auf und – tschinbumm, haut sie die Tür hinter sich zu.

      So. Endlich eine Tür, die man zuschlagen kann, fest und knallend zuschlagen kann.

      2

      ETWAS ERFREULICHES: Im Vorzimmer riecht es nach Sauerkraut. Mittags gibt es also Bratwurst und Sauerkraut. Wenn man Kummer hat, soll man Lieblingsspeisen essen. Und Toni hat sehr großen Kummer.

      Der Friedl wird sich ärgern, weil das ganze Vorzimmer nach Sauerkraut riecht. Fekete hat natürlich wieder die Küchentür offen gelassen. Seit zwanzig Jahren ärgert sich der Friedl darüber. Und seit zwanzig Jahren ist der Fekete zerknirscht, wenn man ihm die offene Küchentür vorhält.

      Der Fekete ist schon viel länger im Haus als die Toni, früher war er der Offiziersbursch vom Herrn Rittmeister, früher, in jenen sagenhaften Zeiten, als die Hubers vornehm waren und noch sehr viel Geld hatten. Vornehm sind sie geblieben, das Geld ist weg, nur der Fekete ist noch da. Der Fekete ist – ja, wie soll man die Tätigkeit vom Fekete Pista beschreiben, der früher einmal der Pfeifendeckel vom Herrn Rittmeister war? Jetzt ist der Herr Rittmeister ein Herr Rittmeister in Pension und ein sehr untergeordneter Beamter in einer Versicherungsgesellschaft. Der Fekete Pista hat den Herrn Rittmeister nicht verlassen wollen, der Offiziersbursch ist bei Hubers »Mädchen für alles« geworden, er räumt auf und serviert, er bügelt die Anzüge vom Herrn Rittmeister und geht auf den Markt einkaufen, er ist »das Personal« von Hubers.

      »Fekete, wie ist heute die Laune des Herrn Rittmeisters?«, fragt die Toni.

      Sie setzt sich auf den abgewetzten Küchenstuhl, eingehüllt in eine Duftwolke von Sauerkraut. Beim Herd steht die Anna, die Tochter der Hausbesorgerin, und kocht. Seit vielen Jahren kocht die Anna mittags für Hubers, weil der Fekete doch nicht alles machen kann, sie hält auch Tonis Sachen in Ordnung. Man sagt ihr »Fräulein Anna«, weil sie doch die Tochter von der Hausbesorgerin ist. Fräulein Anna kocht, sie macht dabei ein bitterböses Gesicht und spricht kein Wort. Sie kann nämlich den Fekete nicht leiden, und der Fekete sie auch nicht. Der Herr Rittmeister behauptet, das sei »ein Glück«, und der umgekehrte Fall würde den Haushalt nur schwieriger gestalten.

      Verbissen kocht das Fräulein Anna, und der Fekete steht vor dem Küchentisch und säbelt Riesenscheiben vom Brotlaib herunter.

      »Fekete, es ist sehr wichtig. Wie ist der Herr Rittmeister heute gelaunt?«, fragt die Toni.

      »Bitte schön, Herr Rittmeister ist gut gelaunt, ist nach Hause gekommen und hat Radio aufgedreht«, meldet der Fekete. Der Fekete ist ein Ungar, der Herr Rittmeister hat bei den Husaren gedient und – »irgendwo auf der Puszta hat er sich den Fekete zusammengefangen«, behauptet die Toni. Fekete hat einen aufgedrehten, ganz unmodernen Schnurrbart, den er sich kohlrabenschwarz färbt. So ein schwarzer Schnurrbart! Er hat ein rundes, gutmütiges Bauerngesicht und vergisst meistens, sich die Haare schneiden zu lassen. Dafür werden die Haare täglich mit Pomade bearbeitet. Das ist sehr elegant, meint der Fekete, und Toni findet, dass der Fekete ein sehr fescher Mann ist.

      »Fekete, ich habe Unannehmlichkeiten«, sagt Toni düster. »Schneide doch nicht so dicke Brotscheiben, Fekete, dünne Brotscheiben sind viel vornehmer! Weißt du, die Mikula ist eine gemeine Person, die Mikula – lass mich ausreden, Fekete –, diese Mikula, diese Person, also, sprich schon, Fekete, was willst du sagen?«

      »Gnädiges Fräulein hat Unannehmlichkeiten«, beginnt der Fekete umständlich. Seit Tonis sechzehntem Geburtstag sagt er gnädiges Fräulein zu ihr. »Gnädiges Fräulein darf sich von der Dame Mikula nichts gefallen lassen, gnädiges Fräulein ist Tochter von Herrn Rittmeister, und gnädiges Fräulein soll zur Dame Mikula einfach sagen –«

      »Lass doch, Fekete«, sagt Toni unwillig und steht auf. »Kann das Mittagessen nicht endlich beginnen?«

      Nachdem Toni die Küche verlassen hat, stellt der Fekete fest: »Fräulein Anna, unser gnädiges Fräulein ist schon eine Dame geworden. Denn unser gnädiges Fräulein ist nervös und hat Launen.«

      »Was Neues?«, fragt der Rittmeister Huber bei Tisch seine Tochter.

      »Danke, ja. Nach dem Essen sag ich dir alles«, kommt die Antwort. »Hast du Ärger im Büro gehabt, Friedl?«

      Friedl hat immer Ärger im Büro. Aber der Ärger vergeht zu Hause, wenn er den Rock ablegt und die alte Offiziersbluse anzieht, die lichte, saloppe Sommerbluse mit dem blauen Uniformkragen und den drei goldenen Sternen.

      »Anton, warum steht eigentlich seit Tagen dieser scheußliche Kaktus auf dem Esstisch?«

      Der Herr Rittmeister nennt seine Tochter Anton, weil er sich immer einen Sohn gewünscht hat. Einen Sohn, der mit der Zeit ein guter Kamerad wird. Und weil der Herr Rittmeister keinen Sohn hat, sondern nur eine Tochter, und weil diese Tochter von einem Rittmeister und einem Offiziersburschen erzogen wurde und ein richtiger guter Kamerad geworden ist, mit dem man alle Männerangelegenheiten besprechen kann, nennt der Herr Rittmeister das Mädchen »Anton«. Erst war es nur Spaß, jetzt ist es eine Gewohnheit.

      »Friedl, du hast neulich gesagt, auf einen hübsch aufgedeckten Tisch gehört etwas Grünes. Der Fekete soll aber nicht immer frische Blumen kaufen, das kostet doch im Winter viel Geld. Deshalb haben wir den Kaktus angeschafft. Der hält sich. Er ist nicht schön, aber man kann ihn immer verwenden.«

      »Anton, dir fehlt jeder Sinn für häuslichen Charme«, stellt Friedl betrübt fest. »Da hast du deine Zigarette.«

      Nach dem Essen bekommt Toni immer eine Zigarette vom Vater. Damit sie nicht heimlich raucht, erklärt der Rittmeister seine Erziehungsmethode.

      »Ich möchte mit dir in dein Zimmer gehen, ich muss mit dir reden. Ernst reden«, beginnt Toni.

      Sie begleitet Friedl in sein Schlafzimmer. Friedl wirft sich nach dem Essen immer für eine halbe Stunde auf den Diwan. Es ist eine geheiligte halbe Stunde. Jetzt zieht die Toni einen Sessel zum Diwan.

      »Also, was gibt’s, Anton?«, fragt Friedl und ist auf den Ankauf eines neuen Pullovers gefasst. Es handelt sich aber nicht um einen neuen Pullover. Toni beginnt nämlich: »Vater, ich muss dir etwas sagen.« Und da spürt Friedl gleich, dass es um wichtige Dinge geht. Wenn Toni »Vater« sagt, statt »Friedl«, dann will sie entscheidende Dinge besprechen und appelliert an seine väterliche Würde. Dann braucht sie keinen Kameraden, dann sucht sie den Vater, der voll Autorität über ihr steht, der alles besser weiß als sie und alle komplizierten Fragen ihres kleinen Lebens lösen kann. Der Vater richtet sich halb auf, stützt sich auf den Ellbogen und sieht ihr ins Gesicht.

      »Ist in der Schule etwas nicht in Ordnung, Anton?«

      »Etwas? Gar nichts ist in Ordnung! Du sollst – du musst zur Mikula gehen.«

      »Wer ist die Mikula?«

      »Die Lateinprofessorin. Du warst schon einmal bei ihr, aber du hast damals nicht mit ihr gesprochen. Voriges Jahr warst du in ihrer Sprechstunde, aber wie du sie nur gesehen hast, bist du gleich wieder weggegangen. Erinnerst du dich an diese Hässliche im Lüstermantel, sie sehe so ungewaschen aus, sagtest du damals, und du hättest einen Widerwillen gegen hässliche Frauen und könntest zu einer unappetitlichen Frau mit bösem Blick nicht freundlich sein. Und zur Mikula musst du eigentlich sehr freundlich sein, ich hab sie in Latein und sie ist Klassenvorstand.«

      »Anton, du darfst nicht durchfallen, du musst maturieren. Sonst wirst du nach der Schule niemals eine halbwegs mögliche Stellung bekommen. Zum Donnerwetter, der dümmste Kerl wird Einjährig-Freiwilliger, weil er Matura hat. Und du sollst nicht maturieren? Du bist sicherlich sehr faul, Anton.«

      »Nein, Vater, ich glaube, ich bin dumm. Ich bin geistig unter dem Durchschnitt.«

      »Meine Tochter ist nicht geistig unter dem Durchschnitt, meine Tochter kann faul sein, aber nicht dumm. Also was ist los?«

      »In Latein komm ich nicht mit, weil ich früher nie Latein gelernt hab. Ich hab die Aufgaben immer von der Raftl abgeschrieben