Jan Kossdorff

Horak am Ende der Welt


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mischte, war ich sicher, gut abgeliefert zu haben. Die Blicke der Leute waren freundlich, fast bewundernd. Meine Erleichterung war groß, und ich strahlte jeden einzelnen Gast mit breitem Lächeln an. Dann tauchte Maja an meiner Seite auf, doch ihr Gesicht drückte keine Verehrung aus.

      »Andere Einleitung, hm?«, sagte sie.

      »Ja, ein bisschen auf den Ort eingegangen.«

      »Die Grenze als frühkindliche Erfahrung wird zu einem kontinuierlichen Motiv deiner Arbeit?«

      »Ist mir vorher erst bewusst geworden …«

      »Die Grenze zum Kitsch vielleicht …«

      »Es ist gut angekommen!«

      »Und wie du alles neu zusammensetzt: Der Klosterbruder wird zum Grenzübertreter, das Motorrad sein Fluchtfahrzeug.«

      »Wenn sich die Kritiker schon nicht die Mühe machen, meine Arbeit zu interpretieren, muss ich eben selbst … Und die Lesung?

      »Hast die bissigen Stellen ausgelassen, wolltest keinem wehtun, gell?«

      »Ich hatte die Alten vom Komitee vor der Nase, muss ja keiner einen Herzkasper kriegen wegen mir.«

      Als Bibliothe-Karin an meiner anderen Seite auftauchte, flötete Maja: »Ganz toll, Herr Horak, später dürfen Sie meine Zimmerkarte signieren«, und lächelte mir falsch-verführerisch zu, bevor sie sich in den Strom der Leute Richtung Ausgang einreihte.

      Ich wandte mich an die Organisatorin meiner Lesung: »Waren Sie zufrieden?«

      »Es war gut! Vor allem die einleitenden Worte: Der Bezug zu Heidenholz hat unser Publikum natürlich besonders in die Lesung hineingezogen. Ach ja, das Haus Ihrer Großmutter steht übrigens noch, Sie waren in der falschen Straße.«

      »Wie bitte?«

      »Ja, ja, zuerst kommt die Straße zum alten Sägewerk, dann erst die Straße zur Grenze. Eine zu früh abgebogen!«

      »Oh, mein Gott.«

      »Sie hätten übrigens ruhig etwas länger lesen dürfen. Haben Sie die Szenen gekürzt?«

      »Minimalst. Ich lese immer lieber kürzer, bevor …«

      Das Gesicht von Simon, Franziskas Freund, tauchte plötzlich vor mir auf.

      »Die Lesung war ein Knaller! Dieser virile Mönch, köstlich, von dem möchte man mehr hören.«

      »Nun ja, das Tagebuch umfasst nur ein Jahr.«

      »Das beruht auf einem Tagebuch? Das hättest du in der Einleitung sagen sollen!«

      »Denkst du wirklich …?«

      Ich warf Maja, die mich vom Ende des Raums aus ansah, einen bösen Blick zu.

      Bibliothe-Karin mischte sich noch mal ein: »Herr Horak, würden Sie jetzt vielleicht signieren gehen, die Leute stehen bereits an.«

      »Haben Sie …?«

      »Kugelschreiber liegen auf dem Tisch.«

      Auf dem Weg zum anderen Ende des Saals kam ich an Franziska vorbei, die sich in die Schlange der Wartenden vor dem Signiertisch eingereiht hatte.

      »Ich kann dir später signieren«, sagte ich im Vorübergehen, »wir werden doch noch etwas trinken gehen, oder?«

      »Aber ich muss das Buch ja erst kaufen.«

      »Ich bring dir eines mit!«

      »Ehrlich gesagt hätte ich lieber das Letzte, das davor, wenn es dir nichts ausmacht.«

      »Kein Problem. Sag schnell, wie hat dir die Lesung gefallen?«

      »Die Einleitung fand ich interessant. Dass du deinen Hang zu Grenzverletzungen thematisierst, hätte ich nicht erwartet.«

      »Wie? Nein, das war nur so dahergeredet …«

      »Den Mönch finde ich eher doof.«

      »Aha, verstehe, schade. Ich muss jetzt arbeiten, wir sehen uns.«

      Ich setzte mich an den Signiertisch. Eine Frau um die fünfzig, zierlich, rot-graue Locken, stand vor mir und lächelte mich an. Ich nahm ihr Buch entgegen und schlug die erste Seite auf.

      »Für wen?«

      »Für Cousine Grete, bitte.«

      Ich sah überrascht zu ihr auf.

      »Großcousine eigentlich …«, sagte sie. »Ihr habt uns öfter mal besucht, oben in Grundstein.«

      Ich erinnerte mich wieder.

      »Grundstein, das alte Gut! Ihr habt gerne Feste gemacht!«

      Ich schrieb ihr eine Widmung ins Buch, dann sagte ich: »Du musst nachher ins Wirtshaus kommen, dann plaudern wir.«

      »Ich muss leider gleich weiter! Aber vielleicht besuchst du uns ja. Du weißt, Ende der Welt, nördlichste Gemeinde Österreichs …«

      »Das mache ich vielleicht«, sagte ich, und schon reichte mir jemand das nächste Buch.

      Das Signieren dauerte fast eine Stunde. Als ich danach auf den Vorplatz des Rathauses hinaustrat, wurde es bereits dunkel. Bibliothe-Karin kam mir entgegen – begleitet von vier Leuten, die ich schon in der ersten Reihe gesehen hatte.

      »Herr Horak, darf ich Ihnen die Vorsitzenden des Komitees vorstellen!«

      Drei Herren und eine Dame lächelten mich erwartungsvoll und mit jener vollkommen einseitigen Vertrautheit an, die zwischen Publikum und dem Menschen auf der Bühne entsteht.

      »Also, das ist Herr Janisch vom Institut für Grenzforschung in Wien!«

      Janisch war ein ein Meter sechzig kleiner, grauhaariger Bartträger im Cordsakko mit schelmischem Lächeln.

      »Herr Singer, Vorsitzender der Waldviertel-Universität!«

      »Sehr schöne Lesung«, sagte Singer, ein silberhaariger, distinguierter Herr.

      »Das ist Frau Keinberger, sie ist die Koordinatorin für das Land Niederösterreich!«

      Sie war eine ganz hübsche Frau in ihren Dreißigern, etwas stark uniformiert in Rock, Bluse und Blazer.

      »Und Herr Nemec, zuständig für die Region Südböhmen« – ein junger Mann in Anzughose und Hemd, hinter seinen randlosen Brillen leicht schielend.

      »Darf ich beginnen?«, bat der kleine Janisch seine Kollegen um Erlaubnis zu sprechen. »Wir freuen uns, Sie heute hier kennenzulernen! Eine Frage vorweg: Jakob Horak, Sie sind a Tschech, oder?«

      Ich musste lachen. »Nicht in meinem Pass, aber zu einem Stück bin ich wohl ein Tscheche. Allerdings habe ich noch nie einen tschechischen Verwandten getroffen …«

      »Aber darum geht es ja gar nicht!«, sagte Singer. »Worum es geht, ist, dass Sie ein guter Schreiber sind und wir Sie über die Grenze sprechen gehört haben, und auch wenn manches davon ein bisschen herbeigedichtet klang, glauben wir doch, dass Sie unser Mann sein könnten.«

      Die aparte Frau Keinberger setzte fort: »Wissen Sie, wir zerbrechen uns seit Tagen den Kopf, wie wir im nächsten Jahr unsere Botschaft unter die Menschen bringen, und die lautet: Vor dreißig Jahren ist der Vorhang zwischen Österreich und Tschechien gefallen, aber das Stück hat immer noch nicht wirklich begonnen.«

      »Oder in einem anderen Bild …«, sagte Nemec, »… der Zaun ist weg, aber die Grenze noch nicht.«

      »In mancher Hinsicht fühlt man sich hier immer noch wie am Ende der Welt«, sagte Singer, »obwohl uns heute längst alle Wege offenstehen.«

      Herr Nemec setzte fort: »Und natürlich sehen wir, dass die Nationen wieder aufrüsten, dass die Populisten dazugewinnen, dass wieder Zäune gebaut werden, dass der Europa-Gedanke in Gefahr ist, und wir wollen dem etwas entgegenhalten!«

      »Was wir brauchen«, sagte Janisch schließlich, »ist ein Text,