Felde, wie ein Veilchen im Grase, wie eine Kornblume unter den Lehren. Sie nannte den kleinen Hans ihren Bruder und der kleine Hans nannte sie Schwester.
Aber sie wuchsen nicht Beide in einer Art, Hans sprach nicht wie die kleine Marie, Hans schien nicht so zu leben, wie Mariechen. Hänschen führte ein mehr innerliches, seltsameres, fast pflanzenartiges Leben; er war gar nicht wie ein Kind dieser Welt, denn was die anderen Kinder erfreute, unterhielt und ergötzte, erfreute, unterhielt und ergötzte ihn nicht.
Die arme Mutter, die ihn oftmals kopfschüttelnd, wohl auch weinend ansah, schrieb dies ungewöhnliche Wesen einem besonderen Umstande zu.
Als Wilhelm sie nach einem Aufenthalte von vierzehn Lagen verlassen hatte, um zu seinem Regimente zurückzukehren, zog tiefe Trauer in dem Herzen der armen Madelaine ein, gleich als ahne sie, dass sie ihren Mann zum letzten Male gesehen und Wilhelm sie für immer verlassen habe. In reinen Herzen ist nun die Trauer stets die Schwester der Frömmigkeit. Madelaine, die immer fromm gewesen war, wurde es noch mehr und alle Augenblicke, welche ihr die Arbeit frei ließ, wendete sie dem Gebet zu, verbrachte sie in der Kirche.
In der Kirche nun befand sich ein großes Gemälde, welches ein reicher Geistlicher dahin geschenkt hatte. Es stellte Jesus dar, umgeben von kleinen Kindern, das heißt eine der rührendsten Parabeln des Evangeliums.
Alle Kleinen drängten sich hinzu, um die Knie des Erlösers zu drücken und ihn die Hände zu küssen. Nur eines, das mit einem großen Hunde spielte, war zurückgeblieben. Dies stellte eine nicht minder rührende Parabel dar. Nach diesem Kinde streckte Jesus die Hand noch liebevoller aus als nach den andern. Er schien ihm zu winken, heranzukommen wie die Andern, aber eine neidische Mutter sagte zu ihm:
»Lasst es, Herr, es ist einfältig, blödsinnig, arm an Geist.«
Jesus aber antwortete:
»Selig sind die Einfältigen, denn ihrer ist das Himmelreich.«
Diese Kind, das ganz allein mit einem Hunde spielte, das einfältige, geistesarme, das eine neidische Frau von der Gemeinsamkeit allgemeiner Liebe fern halten wollte, welche Jesus predigte, hatte die gute Marie immer vorzugsweise beschäftigt; sie fühlte das innigste Mitleid mit dem armen Verlassenen und wenn sie kniend vor diesem Bilde betete, blickte sie immer hin, ob das Kind, das der Herr rief, seinen Platz und den großen Hund, mit dem es spielte, nicht verlasse, um unter den andern Kindern auch den Segen des Gott-Menschen zu empfangen.
Jeden Abend, wenn sie es so fern von dem Herrn verließ, dachte sie bei sich:
»Morgen werde ich es bei ihm finden.«
Aber am andern Tage fand sie das Kind noch an derselben Stelle und sie sprach leise vor sich hin:
»Zum Glücke, liebes Kind, hat der Herr gesagt: »selig sind die Einfältigen, denn ihrer ist das Himmelreich.«
Möge die Wissenschaft so gut sie kann die durch den Glauben so vollständig erklärte Erscheinung erklären; als Madelaine von ihrem Kinde entbunden wurde und sie dasselbe ansah, sagte sie:
»Herr, mein Gott, hast Du mich gesegnet oder gestraft? Mein Kind ist das Ebenbild des armen Kinder auf dem Bilde, das Du zu Dir winkst.«
Und mit dem heiligen Glauben der Mütter setzte sie hinzu:
»Das meinige wird zu Dir kommen, Herr es wird kommen, ich selbst führe es Dir zu.«
Der kleine Johann oder Hans und Hänschen, wie man ihn nannte, war wirklich der kleine Einfältige aus dem Bilde, Das blonde Köpfchen und die großen blauen Augen, die nichts von dem zu sehen schienen, was um ihn her vorging, als ob ein Schleier zwischen der Welt und seinem Geiste ausgespannt sei.
Die Sache war so wahr, die Ähnlichkeit so auffallend, dass Jedermann den kleinen Hans auf den Armen der Mutter wieder erkannte und die Weiber im Dorfe in jener falschen Frömmigkeit, die oft noch schmerzlicher ist als die Gleichgültigkeit, so oft sie ihn sahen, ausriefen:
»Herr Jesus, das arme Kleine ist doch ganz das Ebenbild des Einfältigen auf dem Bilde in der Kirche.«
Madelaine lächelte; in ihren Augen war Johann das schönste von allen Kindern und nur die kleine Marie allenfalls ließ sie gleich schön sein.
Ihre Besorgnis aber war groß. Hänschen war ein Jahr alt geworden und hatte noch nicht ein Wort gesprochen. Sie fürchtete, dass das Kind stumm sei. Eines Tages endlich wurde sie sehr und angenehm überrascht. Da sie sehr oft sagte: »lieber Gott, lass mein Kind sprechen! Lieber Gott, lass mein Kind nicht stumm sein!« so merkte sich das Kind das Wort, das es so oft hörte, lächelte seine Mutter an und sprach ihr nach:
»Gott!«
Madelaine sank auf ihre Knie und rief:
»Herr, ich danke Dir nicht bloß, dass Du mich erhört hast, sondern auch, dass dein heiliger Name der erste ist, der über die Lippen des Kindes ging.«
Von dieser Stunde an begann der kleine Hans zu sprechen, aber er sprach nicht wie die andern Kinder. Die andern Kinder haben gleichsam zwei Sprachen, die Kindersprache und die wirkliche, ernste Sprache. Hänschen ging sogleich in die ernste Sprache über; aber er sprach nur wenig, er sagte ein, zwei Worte, höchstens drei und vervollständigte seinen Gedanken durch ein Lächeln, durch eine Gebärde, durch einen Blick.
Die kleine Marie war seine einzige Gespielin, nie sah man ihn mit andern Kindern spielen. Auch spielte er eigentlich nicht, er — träumte. Marie und seine Mutter liebte er ungefähr mit gleicher Liebe; er liebte auch den Vater Kleine von ganzem Herzen und den kleinen Peter, als dieser zur Welt kam, die Übrigen aber schienen ihm, ich will nicht sagen fremd, aber unbekannt zu sein. Er liebte die Tiere und die Tiere liebten ihn. Was lag in dem Kinde, dass die Tiere es liebten, und ihm folgten? Der störische Graue, der sich bisweilen gegen Vater Kleine hartnäckig weigerte über einen Graben oder einen Bach zu gehen, wurde folgsam wie ein Lamm, gehorsam wie ein Hund, sobald der kleine Hans ihn am Zügel führte oder auf ihm ritt.
Der Faule; wie der Ochs hieß, der seinen Namen bisweilen auch verdiente, merkte das Kind von weitem und brüllte ihm entgegen. Allerdings kam Hans nie in den Stall, ohne einen ganzen Arm voll frisches Gras und Blumen mitzubringen, und der Faule kaute dies Futter mit so großem Behagen, als ob Hänschen das Geheimnis verstehe, gerade die Kräuter und Blumen auszuwählen, welche der Ochse am liebsten hatte.
Die schwarze Kuh brachte der Frau Marie doppelten Ertrag, denn alle Jahre verkaufte sie ein Kalb und alle Tage Milch. Weil nun der kleine Hans dem Mariechen die besten Kräuter gezeigt hatte, war die Milch der schwarzen Kuh weit und breit berühmt. Oftmals aber, wenn man das Kalb verkauft hatte, verweigerte die trauernde Kuhmutter ihre Milch denen, welche ihr das Kalb genommen hatten, um die Milch ganz für sich zu bekommen; dann ging der kleine Hans in den Stall, nahm das Maul der Kuh in seine Hände, richtete ihr den Kopf empor, heftete die Augen auf die traurigen Augen des Tieres und sprach mit ihm — welche Sprache; das weiß Gott. Die Kuh brüllte darauf ein paarmal betrübt, Hans rief die Frau Marie, ließ seine Hand am Halse der Kuh ruhen und gehorsam, wenn nicht getröstet, gab sie die weiße schaumige Milch her, die sie manchmal drei Tage lang verhielt.
Noch anders war es mit den wilden Tieren. Da Hänschen niemals einen lebenden Wesen etwas zu Leide getan Hatte, so liebten ihn alle Geschöpfe, mit Ausnahme derer, welche die Bestimmung haben zu schaden. Sie hielten das Kind gleichsam für einen kleinen Engel, der über die Erbe schreite mit einer lieblichen Stimme und im Namen des Herrn alle Sprachen rede. Nach der träumerisch-sinnenden Weise, wie der kleine Hans im Moose lag oder sich an einen Baum lehnte und auf die singenden Vögel hörte, hätte man allerdings glauben können, er verstehe den Gesang und könne ihn überlegen und erklären.
Die kleine Marie, welche von dieser Sprache nichts verstand, fragte denn auch manchmal Hänschen:
»Welcher Vogel singt jetzt?«
Johann antwortete dann: »Es ist eine Nachtigall, ein Finke, ein Rotkehlchen, denn er brauchte den Vogel, der sang, nicht zu sehen, um zu wissen, welcher es sei.
Wenn er noch immer zuhörte, fragte Mariechen wohl auch:
»Hänschen,