Alexandra Lavinia Zepter

Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)


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      Das Beispiel des Schreibens macht auch deutlich, dass – auch wenn das Tun notwendig zielgerichtet sein muss, um als Handeln zu gelten – die Absichten der Person, die handelt, vielfältig und in sich komplex sein können. Ich kann z. B. die Handlung des Briefschreibens ausführen und mein Ziel kann der fertige Brief sein, den ich an meine Freundin schicken möchte. Gleichzeitig kann ich mit dem Briefschreiben jedoch auch die Absicht verbinden, meine Gedanken und meine Gefühle zu klären und für mich selbst genauer zu verstehen, warum mich ein bestimmtes Erlebnis, von dem ich meiner Freundin im Brief berichte, traurig oder wütend gemacht hat. Auch hier liegt das Ziel im Vollzug selbst.

      Angesichts des gemeinsamen Bedeutungskerns eines zielgerichteten Tuns überrascht es, dass in allen aufgeführten Wörterbüchern bei den perform-Einträgen handeln, das Handeln und die Handlung nahezu keine Erwähnung finden. Diese Beobachtung löst noch mehr Erstaunen aus, wenn wir uns den Verwendungen von performativ in den Diskursen der Fremdsprachen- und Zweitsprachendidaktik zuwenden und dort entdecken, dass performative Methoden in der Regel als handlungsorientiert definiert werden.

      Den aufmerksamen Lesenden wird jedoch auch nicht entgangen sein, dass Handlung zumindest an einer Stelle im Fremdwörterduden (Abb. 1.1) auftaucht. Dort wird performativ als ein Fachbegriff aus der Sprachwissenschaft ausgewiesen – als „eine mit einer sprachlichen Äußerung beschriebene Handlung zugleich vollziehend, z. B. ich gratuliere dir“. Was ist darunter genau zu verstehen? Und ist performativ ausschließlich ein sprachwissenschaftlicher Fachbegriff?

      Eine weiterführende Recherche fördert zu Tage, dass der Handlungsbegriff für die begriffliche Bestimmung von performativ nicht nur in der Sprachwissenschaft, sondern auch in zahlreichen anderen Fachdiskursen zentral ist – und dass überdies erst in diesen anderen Fachdiskursen der Begriff Performativität thematisiert und diskutiert wird, dessen Bedeutung in unserer Systematisierung in Abb. 1.3 noch einen blinden Fleck darstellt.

      In den verschiedenen Fachdiskursen werden performativ und Performativität jedoch z. T. mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet, ein übergreifend einheitliches Begriffsverständnis gibt es nicht. So gesteht u.a. auch Hudelist (2017: 9) in einem Beitrag zu „Performanz, Performativität und Performance“ bereits in seinem Beitragstitel ein, dass ihm nur eine „unvollständige Rekonstruktion“ der Begriffe gelingen kann. In seiner Darlegung weist er zudem darauf hin, dass die „Anwendungsgebiete […] sehr vielfältig [sind] und […] verschiedene Disziplinen [betreffen]. Daraus resultieren manchmal unterschiedliche Verwendungen bzw. Verständnisse der Begriffe“ (ebd.).

      In einen direkten Bezug zu Performativität setzt Hudelist den Begriff der Performanz, dessen Mehrdeutigkeit ebenfalls breit gefächert ist. Nach Wirth (2002: 9) geben „auf die Frage, was der Begriff Performanz eigentlich bedeutet, […] Sprachphilosophen und Linguisten einerseits, Theaterwissenschaftler, Rezeptionsästhetiker, Ethnologen oder Medienwissenschaftler andererseits sehr verschiedene Antworten“.

      Herausfordernd ist diese Mehrdeutigkeit nicht zuletzt deshalb, weil u.a. in den Kulturwissenschaften die mit den Begriffen Performanz und Performativität verbundenen Denkanstöße großen Einfluss genommen haben; ja, in den 1990er Jahren gar zu einem performative turn führten (vgl. Hudelist 2017: 16).

      Einzugestehen ist an dieser Stelle, dass das bis hierhin skizzierte Begriffsbild noch keineswegs zufriedenstellend ist. Einerseits erscheint es unvollständig (es fehlt trotz Konsultation der Wörterbücher die Bedeutung für Performativität) und andererseits in Anbetracht der Bedeutungsvarianten und unterschiedlicher Verwendungskontexte auch verwirrend. Wir bitten die Lesenden an dieser Stelle um etwas Geduld und versprechen in Abschnitt 1.4 mehr Transparenz zu schaffen. Zuvor laden wir dazu ein, in zwei Fachdiskurse einzutauchen, um den dortigen Verwendungsweisen der Begriffe nachzuspüren. Abschnitt 1.2 führt uns zunächst in die Sprachwissenschaft, in der das Attribut performativ in Anwendung auf sprachliche Äußerungen historisch zum ersten Mal definiert und diskutiert wurde. Dem sprachwissenschaftlichen Verständnis von Performanz und Performativität stellen wir in Abschnitt 1.3 eine kunst- bzw. theatertheoretische Perspektive auf Performance und Performativität gegenüber. Nach dem klärenden Zwischenfazit von 1.4 zur Systematisierung der Begrifflichkeiten in den beiden ausgewählten Fachdiskursen entwickeln wir darauf aufbauend in Abschnitt 1.5 eine didaktische Perspektive auf Performativität. Ziel des Kapitels ist einerseits, einen Überblick über das Spektrum möglicher Verwendungsweisen und Bedeutungsnuancen der Begriffe performativ, Performanz, Performance und Performativität zu gewinnen, um anderseits final (in Abschnitt 1.6) das Lehr- und Praxisbuch mit seinem Verständnis von Performativität im Begriffsspektrum zu verorten.

      1.2 Performativität und Performanz in der SprachwissenschaftSprachwissenschaft

      Wir steigen ein mit der Performanz, denn die sprachwissenschaftliche Verwendung von performativ lässt sich besser nachvollziehen, wenn man die von Performanz bereits kennt. In der Sprachwissenschaft kommt der Ausdruck als Fachbegriff in der Regel nicht alleine vor, sondern wird in Opposition zu KompetenzKompetenz gebraucht. Das zweigliedrige (= dichotome) Begriffspaar Sprachkompetenz/SprachperformanzSprachkompetenz/Sprachperformanz (im Englischen linguistic competence vs. linguistic performance) stammt von dem Linguisten Noam Chomsky (*1928), der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Paradigmenwechsel hin zu einer damals ‚neuen‘, vorrangig kognitiv orientierten Linguistik einläutete (vgl. Zepter 2013: 80f.).

      Dabei greift Chomsky mit Sprachkompetenz/Sprachperformanz eine Unterscheidung auf bzw. führt sie weiter, die vor ihm bereits Ferdinand de Saussure (1857-1913), ebenfalls ein maßgeblicher Wegbereiter in der Sprachwissenschaft, mit seiner dichotomen Unterscheidung von languelangue (SprachsystemSprachsystem) und paroleparole (SprachgebrauchSprachgebrauch) getroffen hatte. Sprachliche Performanz (ebenso parole) bezieht sich in diesem Kontext auf den konkreten Gebrauch von Sprache, also auf jedes in einer bestimmten Situation, zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort stattfindende individuelle Sprachverwendungsereignis.

      Abb. 1.4:

      Performanz

      Immer dann, wenn wir Sprache gebrauchen, wenn wir sprechen oder wenn wir zuhören, sind das Instanzen unserer Sprachperformanz. Chomsky ging u.a. von der Beobachtung aus, dass wir beim Gebrauch unserer Erstsprache, die wir in unseren ersten Lebensjahren in der Regel scheinbar mühelos und ohne expliziten Sprachunterricht unserer Eltern erwerben, beliebig Sätze bilden können – Sätze, die wir ggf. vorher noch nie irgendwo gehört haben. Man kann das selbst ausprobieren. Denken Sie sich aus, was Sie in zehn Jahren gerne machen möchten, und erzählen Sie das einer Freundin/einem Freund oder schreiben Sie es auf. Von Relevanz ist nicht so sehr, was Sie inhaltlich sagen; Chomskys Punkt wäre stattdessen, dass Sie sich bei Ihrer Zukunftsgeschichte nicht darauf beschränken werden, einzelne Wörter unverbunden aneinanderzureihen. Sie werden Sätze bilden, die einer bestimmten Ordnung, einer Satzstruktur, folgen; und zwar auch, wenn Sie gar nicht explizit darauf achten oder wenn ein Satz dabei ist, den Sie inhaltlich so vorher noch nicht in einem anderen Kontext gehört haben. Selbst wenn Sie im Rahmen Ihres Sprachgebrauchs Fehler machen, wissen Sie im Prinzip doch, wie Sie auf einer basalen Ebene in Ihrer Erstsprache grammatisch korrekte Sätze bilden können. Tiere, so Chomsky, können das nicht, nur Menschen sind hierzu in der Lage.

      Chomskys zentrale These war, dass eine solche SprachverwendungSprachverwendung (= Sprachperformanz) nur auf der Basis unbewusster kognitiver Strukturen bzw. nur auf der Grundlage einer kognitiven Sprachkompetenz möglich ist (vgl. u.a. Chomsky 2002: 48). Im Visier hatte er eine Kompetenz, über die Menschen, aber nicht Tiere, allgemein von Geburt an verfügen und die sie befähigt, Sprache zu erwerben. Seit den 1950er Jahren konzentriert sich seine Forschung auf die Erschließung der Sprachkompetenz mit dem Ziel, eine Theorie über das damit verbundene syntaktische (= satzstrukturbezogene) Basiswissen zu entwickeln.

      Die Erforschung von Sprachperformanz ist diesem Ziel untergeordnet bzw. tritt dahinter zurück. Aber man muss Chomskys