Äußerungexplizit performative Äußerung wird dagegen nach Searle genau die Handlung vollzogen, die in dem Satz ausgedrückt wird. Searle bringt u.a. das Beispiel, dass man die Handlung des Versprechens vollziehen kann, einfach indem man sagt I promise to come and see you (= „Ich verspreche, dich zu besuchen.“); dass aber dazu im Gegensatz noch keine Eier gebraten werden, wenn man nur sprachlich äußert I fry an egg (ebd.: 535).
Illustration einer explizit und einer nicht explizit performativen Äußerung
Wir können diesen Unterschied wie folgt an dem Kahlkopf-Satz verdeutlichen: Nach Searle ist die einfache Äußerung Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig keine explizit performative. Anders liegt der Fall, wenn ich den Satz mit einem performativen Verb verknüpfe und z. B. den folgenden komplexen Satz (bestehend aus Haupt- und Nebensatz) äußere: Ich behaupte, dass alle Kinder von Hans kahlköpfig sind. In diesem zweiten Fall erhalten wir eine performative Äußerung. Denn inhaltlich wird nun auf den Akt des Behauptens fokussiert und mit der Äußerung die im Hauptsatz beschriebene Handlung – der Akt des Behauptens – vollzogen.
Wenn wir Searles Punkt zu Austins Analyse hinzufügen, entsteht folgendes Bild: Die Äußerungen Ich brate ein Ei oder Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig sind keine explizit performativen Äußerungen, aber in einem weiter gefassten Verständnis von Sprachhandlung können es doch auch sprachliche Handlungen sein. Stellen Sie sich z. B. eine Situation vor, in der eine Fernsehköchin vor den Augen ihrer Zuschauer:innen ein Gericht mit Eiern zubereitet und äußert: Zuerst brate ich ein Ei. Die Äußerung ist vielleicht nicht explizit performativ, kann jedoch als eine sprachliche Handlung des Beschreibens verstanden werden. Indem die Fernsehköchin den Satz äußert, handelt sie sprachlich: Sie beschreibt, was sie am Herd tut. Das Eierbraten ist eine Kochhandlung; das Sprechen bzw. mündliche Beschreiben ist eine SprachhandlungSprachhandlung. Der einzige Unterschied zur explizit performativen Äußerung besteht darin, dass es bei Letzterer statt zwei Handlungen nur eine gibt – eine einzige Handlung, die das betrifft, was inhaltlich in dem Satz beschrieben wird: Ich äußere Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“ und durch meine Äußerung wird die Taufhandlung vollzogen; hier gilt also: Sprachhandlung = Taufhandlung.
Noch einmal zurück zu Austin: Austin selbst weist bereits darauf hin, dass Äußerungskonstruktionen mit einem performativen Verb (wie versprechen, befehlen, gratulieren, schlussfolgern etc.) in der 1. Person Singular in erster Linie dazu dienen, „explizit und gleichzeitig deutlicher zu machen, welchen Akt man beim Aussprechen der Wendung zu vollziehen gedenkt“ (Austin 1962/2010: 166). Aber dieser explizite Weg ist nicht der einzige, um sprachlich zu handeln. So können wir z. B. die Handlung des Befehlens im Rahmen einer Äußerung mit einem performativen Verb explizit machen – oder das sprachliche Mittel des Aufforderungssatzes nutzen. Letzteres ist impliziter, die sprachliche Handlung des Befehlens wird aber immer noch strukturell markiert – z. B. im Deutschen mit dem Verb im Imperativ, positioniert am Anfang des Satzes; die Handlung ist damit zu erschließen, wenn wir mit den satzstrukturellen Merkmalen des Aufforderungssatzes vertraut sind:
Sprachhandlung des Befehlens/ der Bitte | Sprachhandlungen können mit performativen Verben expliziert, aber auch durch andere sprachliche Mittel lexikalisch und/oder strukturell kenntlich gemacht werden: Ich befehle Dir, die Tür zu schließen. Schließ die Tür! Ich bitte Dich, die Tür zu schließen. Bitte schließ die Tür! Könntest du bitte die Tür schließen?! Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 166) |
Austin gelangte in seiner Auseinandersetzung letztlich zu der Erkenntnis, dass die Möglichkeiten, mit Sprache zu handeln, seine Definition der performativen Äußerungen weitreichend übersteigen und dass die Linguistik vor dem Desiderat steht, die Facetten sprachlichen Handelns noch sehr viel umfassender systematisch zu beschreiben (vgl. Austin 1962/2010: 171).
Das bedeutet, Austin nutzte die Gegenüberstellung konstatierend/performativ eher als „Leiter“, „um die [sprachphilosophische] Tradition zu überwinden“ (Hoffmann 2010: 156). Nach Hoffmann (ebd.) „zeigt [der Aufsatz] den Denkweg […] hin zur Handlungstheorie der Sprache“. In diesem Sinne waren Austins und auch Searles Arbeiten – ihre Darlegung der ersten Sprechakttheorien und einer erstmaligen systematischen Modellierung dessen, was Menschen ‚tun‘, wenn sie ‚sprechen‘ (Austins klassisches Werk How to do things with words, 1962) – in der Folge paradigmenbildend für eine handlungsbezogene Sprachauffassung.
Heute leben diese Ansätze weiter in handlungsorientierten Sprachtheorienhandlungsorientierte Sprachtheorien und zahlreichen sprachwissenschaftlichen und sprachdidaktischen Diskursen. Man vergleiche z. B. die Richtung der funktionalen Pragmatik und die Theorie der sprachlichen Handlungsmuster nach Konrad Ehlich (1998), die richtungsweisend ist für (fachdidaktische) Diskurse zu Bildungssprache, Fachsprache bzw. bildungssprachlichen Praktiken (vgl. u.a. Feilke 2013; Morek & Heller 2019). Nach u.a. Feilke (2013) zeichnen sich Bildungssprache und Fachsprache, die in der Schule und in allen Kontexten der Wissensaneignung und Wissensvermittlung eine zentrale Rolle spielen, gerade dadurch aus, dass in ihnen bestimmte sprachliche Handlungensprachliche Handlungen gehäuft auftreten: Handlungen des Erklärens, Beschreibens, Begründens, Argumentierens etc.
Das Konzept der sprachlichen Handlung wird hier noch weiter gefasst und bezieht sich nicht nur auf einzelne Äußerungen bzw. Sätze, sondern auch auf größere Sprech- und Texteinheiten. Dabei werden neben mündlichen vorrangig Schreibhandlungen bzw. sprachliche Handlungen in geschriebenen Texten berücksichtigt. Der Umstand, dass dabei nicht unbedingt performative Verben, sondern sehr viel weitreichender auch andere für den jeweiligen SprachhandlungstypSprachhandlungstyp charakteristische sprachliche Mittel auftreten können, macht die sprachliche Rezeption und Produktion umso anspruchsvoller. So stellt Feilke (2014) heraus, dass für die verschiedenen Sprachhandlungen je spezifische kommunikativ-sprachliche Handlungskomponenten und wiederkehrende Formulierungen – er nennt sie TextprozedurenTextprozeduren – typisch sind. Ein Beispiel: Wenn man im Rahmen einer Argumentation eine bestimmte Position vertritt und potenzielle Gegenargumente abwägt und entkräftet, dann vollzieht man die Sprachhandlung des Konzedierens. Im Deutschen nutzt man dazu typischerweise Textprozeduren wie: zwar … aber; sowohl … als auch; dennoch …; trotzdem. Generell lassen sich bildungssprachliche Kompetenzen vor diesem Hintergrund auch über den flexiblen und differenzierten Zugriff auf die je angemessenen sprachlichen Mittel bzw. Textprozeduren bemessen.
In schulischen Curricula, die heute vorrangig kompetenzorientiert, also auf die im Unterricht zu erwerbenden Fähigkeiten hin ausgerichtet sind, werden einige der betreffenden Sprachhandlungen auch als Operatoren bezeichnet.
In der Schule werden in fast allen Fächern zur Bearbeitung von Lernaufgaben und Prüfungsaufgaben verschiedenste Handlungen, sogenannte Operatoren, benötigt. In den meisten Fällen sind Operatoren Sprachhandlungen bzw. die betreffenden Operationen werden durch Sprachhandlungen realisiert. Bei Operatoren, die für die Schulabschlussprüfungen (z. B. Abitur) erforderlich sind und darauf zuführend bereits in der Sekundarstufe I und II geübt werden, unterscheidet man in der Regel zwischen drei verschiedenen, in ihrer Komplexität ansteigenden Anforderungsbereichen:
Ein erster Anforderungsbereich betrifft die Reproduktion, also das Wiedergeben von Sachverhalten, die in einer Aufgabe thematisiert werden. Eine Reproduktionsleistung kann auch die Verwendung von gelernten Methoden involvieren. Relevante Operatoren in diesem Anforderungsbereich sind z. B. etwas (einen Sachverhalt, einen Begriff) (be-)nennen, beschreiben, wiedergeben und zusammenfassen.
Ein zweiter Anforderungsbereich bezieht sich auf die Reorganisation und den Transfer von Gelerntem