Julius H. Schoeps

Im Kampf um die Freiheit


Скачать книгу

hatte sich Eduard Gans als Begründer der „Vergleichenden Rechtswissenschaft“ einen Namen gemacht, insbesondere dadurch, dass er Hegel in die Jurisprudenz einführte und sich um die Sammlung und Herausgabe der Hegelschen Werke verdient machte. Gegenüber Hegel wirkte er allerdings epigonal. Er war aber im Gegensatz zu Hegel kein schöpferischer Geist, wohl aber ein guter Verwerter und Verbreiter von Bildungsgut – mit großen oratorischen Gaben und einer Neigung, immer en vogue zu sein.

      Eduard Gans, der heute zu den Vergessenen gehört und erst allmählich wiederentdeckt wird, hat nie abgestritten, dass er schließlich aus Karrieregründen seinerzeit zum Christentum übergetreten ist. Verlange man von ihm ein Lippenbekenntnis, so sei er bereit, ein solches abzugeben, soll er sich gegenüber einem Verwandten, dem aus der Berliner jüdischen Familie Ephraim stammenden Juristen, Schriftsteller und Amateurastronomen Felix Eberty, geäußert haben. „[…] wenn der Staat“, so Gans, „so bornirt ist, daß er mir nicht gestattet ihm in der Art zu nützen, wie es meinen Fähigkeiten angemessen ist, es sei denn, daß ich ein Bekenntniß ausspreche, an das ich nicht glaube […] so soll er seinen Willen haben!“42 Ein zynischer Unterton in dieser Bemerkung ist unverkennbar.

      Heinrich Heine, der nicht anders gehandelt hatte als Gans, aber durch den Schritt seines Freundes doch erschüttert war, dichtete damals den Vers an „einen Abtrünnigen“:

       Und du bist zu Kreuz gekrochen

       Zu dem Kreuz das Du verachtest

       Das Du noch vor wenig Wochen

       In den Staub zu treten dachtest! 43

      Der Eduard Gans-Biograph Hanns Günther Reissner hat wohl richtig gesehen, dass Heine, der zu dem Zeitpunkt bereits ebenfalls die Taufe genommen hatte, mit diesem Gedicht „nicht nur Gans verurteilte, sondern gleichzeitig sich selbst“.44 Die Konvertiten-Problematik hat Heine sicherlich stärker belastet als Gans. Später hat Heine, der den Akt der Taufe bekanntlich für sich nicht allzu ernst genommen hat, Gans sogar einen „Opportunisten“ genannt, weil dieser den Schritt nur unternahm, um dadurch auf eine Professur zu gelangen. Das hat Heine Gans, auch wenn das mit Blick auf sein eigenes Verhalten widersinnig erscheint, übelgenommen.

      Doch zurück zu Savigny und seinem antijüdischen Verhalten. Ein anderer Fall, bei dem er die Zulassung eines Juden an der Berliner Universität zur Privatdozentur blockierte, war derjenige des Juristen Heinrich Bernhard Oppenheim (1819–1880). Auch seine Habilitation wurde 1840 von Savigny hintertrieben. Die Schriftstellerin Bettina von Arnim setzte sich zwar für Oppenheim ein, jedoch ohne Erfolg. Oppenheim, der über eine Fülle von Geist und Wissen verfügte, war schließlich gezwungen, Preußen den Rücken zu kehren und nach Heidelberg auszuweichen, wo er ab 1841 an der dortigen Universität als Privatdozent für Staatswissenschaft und Völkerrecht lehren durfte und eine Zeitlang eine akademische Heimat fand.

      Bemerkenswert ist, dass Oppenheim nicht bereit war, sich taufen zu lassen, um eine Professur zu erhalten. Gegenüber Arnold Ruge bemerkte er: „Und insofern ist das Judenthum meine Religion, als es mir eine angeborne politische Stellung gewährt, eine Art Märtyrerthum, die ich nicht, wie ein elender Überläufer verlaßen mag“. Er wolle, so erklärte er, als guter Deutscher gelten „und mich nicht zur Nation hinausschmeißen laßen“.45

      „Die Wissenschaftlichen [Wissenschaftler]“, kommentierte bereits 1822 der Historiker Isaak Markus Jost die Sachlage, womit er insbesondere die Situation der akademisch gebildeten Juden in Preußen beschrieb, „finden glatterdings keine Laufbahn, und nur die Taufe rettet sie für die Menschheit.“46 Jost wies damit auf die Tragik der jüdischen Bevölkerung hin, die sich zwar um Anpassung bemühe, der aber die Zugehörigkeit zur Umgebungsgesellschaft auf diesem Feld weiterhin offen verwehrt bleibe. Ohne den Taufakt könnten die Juden, das war die vermittelte Botschaft, die Rechte des Vollbürgers nicht in Anspruch nehmen.

      Es ist einigermaßen aufschlussreich, dass zwischen 1812 und 1846 in Preußen insgesamt 3.770 Juden zum Protestantismus übergetreten sind, davon etwa ein Drittel in Berlin. Die Zahl sollte jedoch nicht überschätzt werden und fällt prozentual nicht sonderlich ins Gewicht. Anzunehmen ist, dass die meisten die Taufe nicht aus innerer Überzeugung annahmen, sondern um Karriere zu machen, sei es als Bankier, Kaufmann, Textilunternehmer – oder an der Universität als Hochschullehrer.47

      Zwischen 1815 und 1847 gelang es nur einem einzigen Juden, eine Anstellung an einer preußischen Universität zu erhalten, ohne dass er gezwungen worden war, zuvor zum Christentum überzutreten. Der Ausnahmefall, um den es sich hierbei handelt, war David Ferdinand Koreff (1783–1851), ein heute weitgehend unbekannter Schriftsteller und Arzt. Wegen seiner Verdienste, die er sich als Leibarzt Hardenbergs erworben hatte, wurde er auf Betreiben Wilhelm von Humboldts zum Professor an der Berliner Universität ernannt. Aber auch er war letztlich, als seine Kollegen gegen ihn Stellung bezogen und ihm mit scheelen Blicken begegneten, gezwungen 1817 zum Christentum überzutreten.

      Nach seiner Taufe nannte sich Koreff mit Vornamen nicht mehr David, sondern Johann[es]. Befreundet mit Rahel Varnhagen und E.T.A. Hoffmann, rechnet man ihn in Deutschland zum Kreis der Frühromantiker. Die erhoffte Anerkennung fand er jedoch nicht in Berlin, sondern in Paris, wo er seine späten Jahre verlebte.

      David Ferdinand Koreff, so wissen wir, verkehrte dort in den Salons, machte die Bekanntschaft von Heinrich Heine und war ein gern gesehener Gast in den Abendgesellschaften um Stendhal, Mérimée, Musset und Delacroix. Man erblickte in ihm eine für die damalige Zeit seltene „Spezies“ – einen Juden, der unter dem Druck der Umgebungsgesellschaft zum Christentum übergetreten war und sich in der deutschen und in der französischen Kultur gleichermaßen zu Hause fühlte.

      Auch Leopold Zunz, der als bedeutender Gelehrter über die Grenzen Berlins hinaus anerkannt war, gelang es nicht, eine Professur zu erhalten. Als er im Revolutionsjahr 1848 den Antrag stellte, an der Berliner Universität ein Ordinariat für die Wissenschaft des Judentums einzurichten, wurde das von Gutachtern der Philosophischen Fakultät (u.a. war auch der Historiker Leopold von Ranke mit im Gremium) abgelehnt.

      Es bestünde, so argumentierte man, kein Anlass zur Einrichtung eines speziellen jüdischen Lehrstuhls. Leopold Zunz blieb weiterhin ein Privatgelehrter, verdiente sich seinen Unterhalt als Direktor des von ihm 1840 mitbegründeten Seminars für Jüdische Lehrer und war bemüht, sich im Rahmen der ihm gegebenen Möglichkeiten politisch zu betätigen.

       Saul Ascher, die Deutschtümelei und der um sich greifende judenfeindliche Verschwörungsglaube

      Die nach 1815 wieder zunehmende Diskriminierung der Juden führte dazu, dass sich der Berliner Buchhändler, Privatphilosoph und freie Schriftsteller Saul Ascher (1767–1822) öffentlich zu Wort meldete. Ascher, eine Art „jüdischer“ Jakobiner, der sich als Schriftsteller und jüdischer Aufklärer schon in den 90er Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts mit seinen religionskritischen und politischen Schriften einen Namen weit über die Grenzen Preußens hinaus gemacht hatte,48 veranlasste die um sich greifende Deutschtümelei in christlichen Kreisen, eine Schrift unter dem Titel „Die Germanomanie. Skizze zu einem Zeitgemälde“ (1815) zu veröffentlichen.

      Besagte Schrift knüpfte an die Streitschrift „Eisenmenger der Zweite“ (1794) an, mit der Saul Ascher seinerzeit den Philosophen Fichte vehement attackiert hatte. Mit Fichte, so seine Ansicht, hätte eine neue Epoche der Judenfeindschaft begonnen. Hätte man früher Juden aus religiösen Gründen als Volk der Gottesmörder verfolgt, so würde Fichte nunmehr politische Argumente benutzen, um den Juden Bürgerrechte vorzuenthalten. Der Historiker Walter Grab ist seinerseits später sogar so weit gegangen, Fichte als einen Ahnherrn des völkischen Antisemitismus zu bezeichnen.49

      In der „Germanomanie“ attackierte Ascher nicht nur die „Christlich-Deutsche Tischgesellschaft“, die er des antifranzösischen Patriotismus und der Judenfeindschaft bezichtigte, sondern griff auch den Kreis um Achim von Arnim, Clemens Brentano und den Philosophen