Julius H. Schoeps

Im Kampf um die Freiheit


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wurde, die Möglichkeit eines geselligen Zusammentreffens ermöglichen. So sollten sie im Rahmen der „Gesellschaft“ eine alternative Gelegenheit erhalten, die Sorgen des Lebens zeitweilig zu vergessen und sich in Wohlwollen und Freundschaft zu begegnen.

      Bei der Gründungsversammlung der „Gesellschaft der Freunde“ am 29. Januar 1792 waren rund einhundert Personen anwesend. „Das Licht der Aufklärung“, so erklärte bei diesem Anlass Joseph Mendelssohn, „[…] zeigt seine wohlthätige Wirkung seit mehr als 30 Jahren auch auf unsre Nation. Auch unter uns nimmt die Menge derer täglich zu, die in ihrer väterlichen Religion das Unkraut von dem Waitzen unterscheiden, und besonders in dem Staate, in dem wir leben […].“13 Das Motto, das sich die „Freunde“ wählten, war der berühmte Stammbucheintrag Moses Mendelssohns: „Bestimmung des Menschen: Nach Wahrheit forschen, / Schönheit lieben, / Gutes wollen, / das Beste thun“14.

      Zunächst war die neugegründete Gesellschaft auf das Wohlwollen der Berliner Gemeindeverantwortlichen gestoßen. Das änderte sich, als der seit längerem schwelende Streit um den Bestattungsritus offen ausbrach. Die Aufklärer um Isaak Euchel und Joseph Mendelssohn wollten verstorbene Mitglieder der Bruderschaft nicht mehr sofort beerdigen lassen, wie das der jüdische Brauch forderte. Sie argumentierten dabei ähnlich, wie das Moses Mendelssohn bereits 1772 getan hatte, als er zu einer Änderung des Brauches der sofortigen Bestattung aufgerufen hatte. Anlass war damals das Verbot des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin gewesen, das den Juden untersagte, ihre Toten vor dem dritten Tag nach dem Ableben zu bestatten.

      Der Streit um den Zeitpunkt der jüdischen Bestattung drehte sich vordergründig um die Frage des Scheintodes und die Gefahr, dass jemand womöglich lebendig begraben werden könnte. Gleichwohl war es nicht nur ein Streit in der Sache, sondern ein Streit zwischen Traditionalisten und Aufklärern, wobei die Ersteren aus nicht nachvollziehbaren Gründen zäh an dem Brauch der Frühbeerdigung festhielten. Salomon Seligmann Pappenheimer etwa, Rabbiner in Breslau, zog sich Kritik und Spott der aufgeklärten Kreise insbesondere dadurch zu, dass er in einer Anzahl von Schriften vehement dafür plädierte, den Brauch der Frühbestattung nicht aufzugeben.

      Im Verlauf der Jahre entwickelte sich die „Gesellschaft der Freunde“ zunehmend zu einer karitativen Vereinigung. Vereinzelt wurden auch christliche Mitglieder aufgenommen, allerdings blieb ihr Anteil an der Gesamtmitgliederzahl verschwindend gering. In den Augen traditionell eingestellter Juden blieb diese Vereinigung jedoch eine Gesellschaft von Neuerern. Das Misstrauen war groß und insofern durchaus zutreffend, als die „Gesellschaft“ sich zunächst als ein Bund junger Juden konstituiert hatte, dessen Mitglieder zwar an ihren Familientraditionen und an ihrem Glauben festhielten, aber gleichzeitig auch die „Fesseln nationaler Absonderung […] von ihrem eigenen Denken und Thun“15 abschütteln wollten.

      Die „Gesellschaft der Freunde“ entwickelte sich nun zu einer Art Kulturzentrum, in der Gleichgesinnte verkehrten, um sich zu treffen und um in vertrauter Runde sich miteinander auszutauschen. Anfänglich war es der jüdische Charakter, der die „Gesellschaft“ prägte. Das war ein Sachverhalt, der sich im Verlauf der Zeit jedoch allmählich änderte. Je mehr ihre Mitglieder in die nichtjüdische Welt „eintauchten“, je mehr sie sich mit Berlin, Preußen und Deutschland identifizierten, desto mehr begann man in der „Gesellschaft“, die religiöse Zugehörigkeit als Privatangelegenheit zu betrachten.

      Sieht man sich die Mitgliederlisten der „Gesellschaft“ an, so zeigt sich, dass in diesen die Namen bekannter Familien wie die Mendelssohns, die Veits, die Liebermanns, die Friedländers, die Bleichröders, aber auch die Rathenaus prominent verzeichnet sind – Familien, die die Berliner Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik im 19. und frühen 20. Jahrhundert in starkem Maße geprägt haben. Der Historiker Sebastian Panwitz hat ermittelt, dass mehr als 2.300 Personen Mitglieder der „Gesellschaft“ waren. Die in der von Panwitz zusammengestellten Liste aufgeführten Namen lesen sich geradezu wie ein „Who is who“ der Berliner „besseren“ jüdischen Gesellschaft jener Jahre.

      Die „Gesellschaft der Freunde“ hat bis in die 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts existiert, bevor sie von den Nationalsozialisten aufgelöst wurde. Sie galt als „jüdische Gesellschaft“, obgleich das Judentum und die konfessionelle Zugehörigkeit in der Spätzeit bei den Mitgliedern kaum noch eine Rolle spielten. Man bekannte sich zwar zur einstigen jüdischen Herkunft der „Gesellschaft“, sah das aber nicht als Makel, sondern eher als eine Auszeichnung an.

       David Friedländer, ein Vordenker der Emanzipation

      Eine Öffnung gegenüber der christlichen Umgebungsgesellschaft, wie sie der Mendelssohn-Schüler, Seidenwarenhändler und Publizist David Friedländer (1750–1834)16 und andere jüdische Notablen forderten, wurde allerdings mit einer schmerzlichen Gegenforderung gekontert: Von den Juden wurde seitens des Königs und seiner Behörden erwartet, dass sie sich im Zuge einer bürgerlichen Gleichstellung von ihren „überkommenen Traditionen und Bräuchen“ lösen würden. An anderer Stelle wird darüber noch ausführlich zu berichten sein.

      Das Sich-Öffnen gegenüber der christlichen Umgebungsgesellschaft hatte für viele Juden tatsächlich schwer absehbare Konsequenzen. Zunächst kam es zu einer deutlich steigenden Konversionsrate zum Christentum, nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen preußischen Städten wie Breslau und Königsberg. Die Übertritte waren um 1800 unverhältnismäßig hoch. Dass immer mehr „Hausväter“ sich vom Judentum abwendeten, so klagte Friedländer, sei ein Sachverhalt, der unbedingt zur Kenntnis genommen werden müsse, wolle man verstehen, was das für die Juden bedeute.

      Wie sehr David Friedländer, der selbst ein erfolgreicher Kaufmann und Unternehmer war, das Problem des Übertritts von Juden zum Christentum bewegte, wird deutlich in einem seiner Schreiben, die er an Karl August von Hardenberg richtete. In diesem war eine Liste mit etwa 50 Familien aufgeführt, die Angehörige durch die Taufe „verloren hatten“. Ausdrücklich erwähnt werden u.a. die Namen der Berliner Familien Itzig, Lewy, Flies, Ephraim, Magnus und Mendelssohn.17

      Die Taufe, so gab Friedländer zu bedenken, beraube die Gemeinde ihrer besten und klügsten Köpfe. Dabei dachte er wohl auch an seine eigene Familie. Seine Schwiegertochter Rebecca hatte sich von seinem Sohn Moses scheiden lassen und ebenfalls den Gang zum Taufbecken gewählt. Der Staat, so meinte Friedländer seinerseits, müsste ein gesteigertes Interesse daran haben, dass die Juden im Judentum verblieben. Nur dann sei gewährleistet, dass ausreichend Steuern und Abgaben in die Kassen des Staates fließen würden.

      Das Urteil über den Einfluss Friedländers bei den Beratungen, die im Vorfeld des Emanzipationsediktes von 1812 stattfanden, fällt bei den Historikern unterschiedlich aus. Die einen sehen in ihm einen Opportunisten, dem sie unterstellen, er hätte sich äußerst angepasst verhalten und eigentlich nichts wesentlich anderes im Sinn gehabt, als sich bei den tonangebenden Kreisen einzuschmeicheln.

      Dieser Einschätzung haben im Rückblick manche Historiker allerdings deutlich widersprochen. Sie argumentieren ihrerseits, gerade das Beispiel Friedländer zeige, dass „er nicht bloß ein egoistischer Sprecher für seine Klasse war“, sondern dass er sich für das „Wohlergehen“ seiner Glaubensbrüder im Rahmen seiner damaligen Möglichkeiten eingesetzt habe.18

      Doch wie auch immer man zu David Friedländer und seinen emanzipationspolitischen Bemühungen stehen mag: Zu seinen Gunsten spricht im Rückblick, dass seine Interventionen offensichtlich mit dazu beigetragen haben, dass es überhaupt zum Erlass eines Emanzipationsediktes kam.19 Ohne ihn hätte es vermutlich das Edikt von 1812 nicht gegeben, jedenfalls nicht in der Form, wie es dann erlassen wurde. Friedländer fertigte zahlreiche Gutachten an und war bemüht, im Rahmen seiner Möglichkeiten auf den Gang der Gesetzgebungsarbeiten Einfluss zu nehmen.

      David Friedländer und seine Mitstreiter mussten allerdings immer wieder bei den Behörden antichambrieren, bis es ihnen gelang, ihr Anliegen an zuständiger Stelle vorzutragen. Erst als Karl August von Hardenberg 1810 in das Amt des Staatskanzlers berufen wurde, kam Bewegung in die Angelegenheit. Die Vorarbeiten für den Erlass einer fortschrittlicher gefassten Judenordnung