Überzeugungen und Einstellungen sind wesentlich durch die in der 1848er-Revolution gemachten Erlebnisse bestimmt worden. Die Erfahrungen, die er damals machte, waren gewissermaßen typisch für eine Generation von Linksliberalen und Demokraten jüdischer Herkunft, die nach dem Scheitern der 1848er-Revolution, dem Zerfall des Deutschen Bundes und im Vorfeld der Reichsgründung hin- und hergerissen waren von der sie beschäftigenden Frage, ob sie sich eher für die Freiheit oder für die deutsche Einheit einsetzen sollten. Nicht wenige glaubten, dies sei kein Widerspruch und beides ließe sich am Ende problemlos miteinander verbinden.
Kleinere Textpassagen in den nachfolgenden Ausführungen sind den von mir verfassten Büchern und Aufsätzen zu Moses Mendelssohn, David Friedländer, Ludwig Kalisch, Moses Hess und A. Bernstein und ihren Aktivitäten entnommen. Sie gelangen in gekürzter, teilweise aber auch in überarbeiteter Form zum nochmaligen Abdruck. Einer der Gründe, weshalb ich so verfahre, ist der, dass manches, was ich vor dreißig oder vierzig Jahren zu Papier gebracht habe, nach wie vor aktuell ist.
Für das vorliegende Buch ist der Titel „Im Kampf um die Freiheit. Preußens Juden im Vormärz und in der Revolution von 1848“ gewählt worden. Die Wahl des Buchtitels geschieht mit der erklärten Absicht, die Aufbruch-Stimmung der Jahre zwischen 1830 und 1870 charakteristisch zu beschreiben. Außerdem soll mit der Wahl des Haupttitels „Im Kampf um die Freiheit“ verdeutlicht werden, dass zahlreiche Juden seinerzeit durchaus angetan und begeistert davon waren, am politischen Leben Preußens teilzunehmen und ihren Anteil zum Aufbau einer freiheitlichen und demokratisch verfassten Gesellschaft zu leisten – und dies dann mitunter auch mit der Waffe in der Hand taten.
Zu guter Letzt möchte ich mich an dieser Stelle bei meinem langjährigen Mitarbeiter Dr. Olaf Glöckner sowie bei Sarah Jaglitz bedanken. Beide, mit denen ich die im Buch behandelten Sachverhalte und Themen wiederholt eingehend erörterte und diskutierte, haben das Manuskript nicht nur in der Entstehungsphase mehrfach gelesen, sondern mit ihren Anmerkungen, Hinweisen und kritischen Einwänden dazu beigetragen, dem Buch seine jetzige Fassung zu geben.
Das vorliegende Buch ist dem Andenken von Johann Jacoby und Gabriel Riesser gewidmet, die in der Zeit des Vormärz und in der Revolution von 1848 unbeirrt und mit Leidenschaft für Freiheit und Demokratie gekämpft haben. Diese beiden Männer, die es mir schon immer besonders angetan haben, sind heute weitgehend vergessen, verdienen es aber, dass man sie wieder in die kollektive Erinnerung zurückholt und sich mit ihrem Leben und ihren Sichtweisen – auch im Kontext heutiger Entwicklungen – neu auseinandersetzt. Auch dazu, so wünsche ich mir, soll die Lektüre des vorliegenden Buches ausdrücklich ermuntern.
Berlin-Charlottenburg, im Herbst 2021 | J. H. Sch. |
Kapitel 1
Erlasse werden aufgehoben, Schranken fallen
Die wechselvolle Geschichte der Juden in Berlin und auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Brandenburg, dem Kernland des einstigen Preußen, geht mit Unterbrechungen bis zurück in die Mitte des 13. Jahrhunderts. Bei genauerem Betrachten beginnt sie als eine äußerst düstere Historie, geprägt von Drangsalierungen, von Vertreibungen, Hostienschändungsprozessen und Hinrichtungen wie etwa 1510, als auf dem Neuen Markt in Berlin 38 Juden öffentlich auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Auch plötzliche Vertreibungen aus der Region gehörten immer wieder zum jüdischen Alltag.
Eine Änderung der Situation bahnte sich erst an, als 1670 einige aus Wien vertriebene jüdische Familien um Aufnahme in Brandenburg/Preußen und speziell in der Residenzstadt Berlin baten und der damalige Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620–1688) am 21. Mai 1671 das „Edict wegen auffgenommenen 50. Familien Schutz-Juden, jedoch daß sie keine Synagogen halten“ erließ. Erst ab diesem Zeitpunkt kann von einer kontinuierlichen Anwesenheit der Juden in Berlin und anderen Orten und Städten der Mark Brandenburg gesprochen werden.1
Ein erstes Anzeichen anstehender Veränderungen ist datiert auf den 4. September 1671, als einer der Zugezogenen, Abraham Ries, Sohn des Rabbinatsassessors Model Ries, einen „Schutzbrief“ erhielt, der es ihm ermöglichte, mit seiner Familie einen festen Wohnsitz im Brandenburgischen zu nehmen. Gleichzeitig wurde ihm mit diesem „Schutzbrief“ das Recht des Handels mit verschiedenen Waren zugestanden, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Dadurch, dass Abraham Ries bestimmte Zugeständnisse gemacht wurden, geriet etwas in Bewegung. Der ihm verliehene „Schutzbrief“ enthielt zwar nur einen Bruchteil der Zusagen, wie sie das „Edikt“ versprach, aber immerhin fand sich darin die Hoffnung erweckende Zusatzbemerkung „dem Juden in seinem Handel keinen Eintrag zu tun“, also ihm keine Beschränkungen aufzuerlegen. Das wurde allgemein als Fortschritt angesehen.
Eine individuelle Begünstigung hatte zuvor schon der aus Polen stammende Israel Aaron erfahren. Er stand seit 1655 in Brandenburg/Preußen in Diensten des Kurfürsten. Offiziell hatte Israel Aaron eine Anstellung am Hof und erhielt ein Gehalt von 200 Taler, dazu Kostgeld und Futter für seine Pferde. Was ihm zu einer Sonderstellung verholfen haben dürfte, war der Umstand, dass er nicht nur als Hoffaktor tätig war, sondern auch die Königsberger Münze und das Heer mit Silber belieferte.
Die „Belohnung“ für seine geleisteten Dienste war ein persönlicher „Schutzbrief“ für sich und seine Familienangehörigen. Im Jahre 1665 wurde dieser „Schutzbrief“, ausgestellt „zum Dank für seine treuen Dienste“, auf die ganze Mark erweitert, was bedeutete, dass Israel Aaron auch außerhalb seines Wohnortes Berlin eigenen Geschäften nachgehen konnte.
Weniger bekannt ist allerdings, dass Israel Aaron die Zuwanderung der 50 aus Wien geflüchteten jüdischen Familien ein Dorn im Auge war. Wie es scheint, hat er durch die Aufnahme dieser Familien seine Pfründe gefährdet gesehen. Angeblich soll Israel Aaron in einer persönlichen Eingabe sogar vor dem Missbrauch der in Aussicht gestellten Privilegien für die Zuwanderer gewarnt haben.
Trotz solcher Beschwerden wie sie von Israel Aaron, aber auch seitens der Landstände und mancher Innungen geäußert wurden, gelang es den aus Wien Geflüchteten, so etwas wie ein eingeschränktes Bleiberecht zu erhalten. Gleichwohl blieb dieses an eine Reihe restriktiver Auflagen geknüpft. Neben den üblichen Steuerabgaben waren etwa spezielle Schutzgelder zu entrichten. Außerdem war es Juden verboten, zunächst jedenfalls, sich außerhalb des ihnen zugewiesenen Schutzortes frei niederzulassen oder sich an einem anderen Ort länger als drei Tage aufzuhalten.
Die „Unvergleiteten“, eine Bezeichnung für Juden, die keinen „Schutzbrief“ besaßen, hatten es besonders schwer. Erlassene preußische Verordnungen, wie etwa die von 1694/95, 1700, 1705, 1710 und 1712, waren darauf abgestellt, den Zuzug von Juden in größerer Zahl zu verhindern. All diese Maßnahmen konnten jedoch nicht verhindern, dass sich in Ansätzen so etwas wie ein jüdisches Gemeinschaftsleben zu entwickeln begann. In Berlin kam es 1672 zur Errichtung eines Friedhofes und einer Mikwe (Ritualbad). Außerdem wurde es den Juden gestattet, sich in Privathäusern zum gemeinsamen Gebet zu treffen.
Das Reglement, das dann Ende des Jahres 1700 in Preußen in Kraft trat, war so gehalten, dass es bestimmte Zugeständnisse enthielt, die aber nicht zu einer wirklichen Verbesserung der Lage der Juden führten. So war ihnen zwar der Verkauf von Kleidung eingeschränkt erlaubt, das Hausieren jedoch verboten und der Geldverleih an Christen reglementiert. Auch der Ankauf von Immobilien sowie die Ehe mit Verwandten zweiten Grades waren untersagt oder bedurften einer Sondergenehmigung, für die eine Gebühr entrichtet werden musste. Der legale Aufenthalt in den Städten, so er angestrebt wurde, musste teuer erkauft werden.
Nach wie vor bestimmten einschränkende Edikte, Verordnungen und Sonderabgaben den Alltag der Juden. Sie fristeten mit einigen wenigen Ausnahmen ihr Leben weiterhin als ambulante Kleinhändler und Trödler. Nur wenigen gelang es, als „Generalprivilegierte“ oder als „ordentliche“ bzw. „außerordentliche“ Schutzjuden mit einem entsprechenden Patent aus der gesellschaftlichen Isolation auszubrechen und sich der sie umgebenden Gesellschaft anzunähern. Der langsam entstehende jüdische Mittelstand war seinerseits bemüht, durch seine Aktivitäten die in ihn gesetzten Erwartungen als „produktives