die Verantwortung übernommen, der bereit sei, nicht nur zu reden, sondern auch politisch zu handeln.
„Der Jude“, so David Friedländer in einer seiner zahlreichen Eingaben und Stellungnahmen, die er bei den Behörden einreichte, „ist Mensch und Staatsbürger so gut wie jeder andere und in seinen Religionsbegriffen ist durchaus nichts, was seine Glaubwürdigkeit mehr zweifelhaft machen sollte, als die des Christen“. Empört widersprach Friedländer der nach wie vor in der christlichen Umgebungsgesellschaft weit verbreiteten Auffassung, eine Aufhebung der bis zu dieser Zeit geltenden Eidesbeschränkung würde eine Gefahr für die allgemeine Sicherheit bedeuten. Wenn, so Friedländer, in dem neuen Gesetz nur der leiseste Verdacht zum Ausdruck käme, der Staat halte die Juden im Allgemeinen für lasterhafter als die übrigen Untertanen, so hätte die Reform eigentlich keinen Sinn.
Bedenken hatte Friedländer indes gegen die vorgeschlagene Aufhebung der jüdischen Ritualgesetze, was insofern bemerkenswert ist, als er sich noch im „Sendschreiben“ an Propst Teller, von dem noch an anderer Stelle die Rede sein wird, durchaus nicht abgeneigt gezeigt hatte, für die Gewährung der Staatsbürgerrechte Abstriche von den Ritualgesetzen zu machen. Jetzt vertrat er die Ansicht, es würde ausreichen, wenn es hieße: „Die Bekenner der jüdischen oder mosaischen Religion sind zu allen Diensten, Pflichten u. Vorschriften der Landesobrigkeit, ohne alle Ausnahme oder Einschränkung […] gleich jedem anderen Unterthanen verbunden und verpflichtet […].“20
Unterstützung erfuhren Friedländer und seine Mitstreiter insbesondere durch den braunschweigischen Kammeragenten und Präsidenten des Westfälischen Konsistoriums Israel Jacobson (1768–1828). Jacobson, befreundet oder zumindest bekannt mit Hardenberg, wandte sich am 14. Februar 1811 an diesen mit der Bitte, sich für seine Glaubensbrüder entschieden einzusetzen. „Es scheint unerklärbar“, führte er aus, „wie der preußische Staat, dessen Regenten von jeher die Fackel der Aufklärung […] am kräftigsten verbreitet haben, mit der Regeneration der Israeliten zurückgeblieben sind.“21
Das Wort „Jude“ und seine im Ton abschätzige Bedeutung
Für Friedländer war die Geschichte der Juden die Geschichte einer fortwährenden Fremdbestimmung. Gegen ihren Willen seien die Juden, so meinte er, zu Wesen mit Charakterfehlern geformt worden. Sie würden die seitens einer missgünstigen Umwelt erfahrene Behandlung widerspiegeln. Das zu verändern setze voraus, dass man die im Verlauf der Jahrhunderte erlittenen Verformungen behebe. Um das zu erreichen, sei allerdings ein deutliches Umdenken notwendig.
Das Wort „Jude“, so David Friedländer, hätte im Verlauf der Jahrhunderte eine geradezu abschätzige Bedeutung angenommen. Die Bezeichnung, in der Regel gebraucht von den Behördenvertretern, bemerkte Friedländer in der Einleitung zu seiner 1793 erschienenen Schrift „Akten-Stücke die Reform der Jüdischen Kolonieen in den Preußischen Staaten betreffend“22, habe im Verlauf der Zeit den Juden immens geschadet. Vor allem verwies Friedländer auf Bezeichnungen wie „Hofjude“, „Betteljude“, „Geldjude“, „Münzjude“ und „Kornjude“.
Das Unwort „Jude“ werde immer nur dann benutzt, wenn es gelte, etwas als schlecht, minderwertig oder kriminell zu charakterisieren. Selbst derjenige Christenmensch, der keine Vorurteile besitze und sich als aufgeklärt und tolerant begreife, werde einen überführten jüdischen „Pferdedieb“ oder „Mordbrenner“ nicht als das bezeichnen, was er tatsächlich ist, als einen Gauner oder einen Kriminellen, sondern stets erklären, es handele sich bei dem aufgegriffenen Missetäter um „einen Juden“.23
Friedländer hielt es für dringend notwendig, die Titulatur „Jude“ durch eine andere Bezeichnung zu ersetzen.24 Er konnte sich keinen wirklich unbelasteten Gebrauch des Wortes „Jude“ mehr vorstellen und schlug deshalb vor, eine alternative, aber nicht abschätzige Formulierung zu wählen. Juden, so Friedländer, sollten in amtlichen Urkunden künftig nur noch mit ihrem Namen genannt werden. Lediglich dort, wo es von wichtigem Belang sei, sollte man nach dem Vermerk „N.N.“ den Hinweis „Alt-Testamentarischen Glaubens“ beifügen.
Wie sehr David Friedländer die Frage des Umgangs mit der Bezeichnung „Jude“ beschäftigte, wird deutlich in der von ihm verfassten „Einleitung“ zu den „Akten-Stücken“, in der er selbst häufig das Wort „Juden“ durch andere Bezeichnungen wie etwa „Kolonie“ oder „Nation“ ersetzte. Er benutzte zwar, wenn es nicht anders ging, an manchen Stellen nach wie vor das Wort „Jude“, war aber bemüht, wo immer es ihm möglich erschien, eine alternative Begrifflichkeit zu setzen. Die Bezeichnung „Israelit“ sah er beispielsweise als passender an, um einen, wie er es nannte, „nicht-talmudischen Juden“ zu kennzeichnen.
Ähnlich war der Vorschlag des Geheimen Staatsrats Johann August Sack gehalten – wobei sich im Rückblick der Eindruck einstellt, als ob Friedländer bei der Formulierung des Passus Pate gestanden hat –, der in einem Gutachten am 2. April 1811 bemerkte: „so möchte es wohl gut seyn, den sehr verächtlich gewordenen Namen: Jude ganz aufzuheben und nach dem Vorgange anderer Staaten ihnen den Namen Israeliten oder Mosaische Glaubensgenossen zu geben“25.
Wenig später argumentierte auch der junge Leopold Zunz ähnlich. Von ihm ist überliefert, dass er gesagt haben soll: „Da der Name Jude oft zu Schimpfnamen gemißbraucht ist, so sollte man in allen öffentlichen Verhandlungen, Akten, Polizeilisten u.s.w. sich dieses Wortes enthalten. Auch ist das Wort Jude nie der richtige Name der Nation gewesen; nur ein einziger Stamm der Nation hieß Jehuda, und hieraus entstand durch Sprachfehler der Name Jude.“26
Im gleichen Kontext fragte David Friedländer, woher es denn eigentlich käme, dass „der eingeborne Deutsche Jude“ gegenüber den „christlichen“ Bürgern in den „Preußischen Staaten“ benachteiligt werde beziehungsweise, um seine Worte zu gebrauchen, „vernachlässiget und zurückgesetzt wird“27. Der Grund dafür läge, so Friedländer, in der jüdischen Religion als solcher begründet, „in den Ceremonialgesetzen, in den Rabbinern und den Vorstehern der Gemeinden“. Diese, meinte Friedländer, „bilden unübersteigliche Hindernisse, die weder größere Freiheit, noch die Zeit, noch die Gesetze aus dem Wege räumen werden“.28
Zu den religiösen Geboten und Verboten, die Friedländer schon in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts für überholt erachtete, rechnete er nicht nur den Bann, den Ausschluss aus der jüdischen Gemeinschaft, sondern auch die Leviratsehe (gemeint ist die Schwagerehe, also die religiöse Verpflichtung einer sohnlosen Witwe zur Eheschließung mit dem Bruder ihres verstorbenen Mannes), aber auch jene Verbote, die das Abschneiden des Haupt- und Barthaares oder das „Zins-Geben und Nehmen“ untersagten.29 Wenn, so die Schlussfolgerung Friedländers, die „jüdische Kolonie“ Anerkennung in den „Preußischen Staaten“ finden wolle, dann müsse sie sich von bestimmten Geboten und Verboten trennen.
Die Zeitenwende: Das Emanzipationsedikt von 1812
Das „Edikt, betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate“30 vom 11. März 1812, welches schließlich das General-Reglement von 1750 ablöste, die Schutzjudenschaft aufhob, den Zwangs- und Sonderabgaben ein Ende machte und die preußischen Juden zu „Einländern“ und „Staatsbürgern“ erklärte, ist in den Synagogengemeinden von Berlin, Breslau und Königsberg überschwänglich gefeiert worden. Bei der 100-Jahr-Feier des Ediktes im Jahre 1912 bemerkte Rabbiner Paul Rieger im Rückblick: „Der 11. März 1812 bedeutet für die preußischen Juden das Ende des Mittelalters. Er ist der erste Tag ihrer Neuzeitgeschichte.“31
Juden sollten künftig gleiche bürgerliche Rechte, Freiheiten und Pflichten genießen wie die Christen. Nicht nur sollte der Zugang zu akademischen Lehr-, Schul- und Gemeindeämtern gewährleistet sein, sondern auch das Ansiedlungsrecht in Stadt und Land, das Recht auf Grundbesitz, Gewerbefreiheit, die Militärpflicht – alles Rechte und Pflichten, die erkennen lassen, dass es den Reformern