Julia Meier

Inselromane


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zufolge hatte er Oehlenschlägers Roman bereits 1945 im Rahmen seiner kriegsbedingten Stationierung in Oslo erstmals gekauft; das Buch ging jedoch noch im selben Jahr auf der Flucht aus Schlesien verloren und wurde von Schmidt 1959 ersetzt. Anlässlich seiner Beschäftigung mit der Insel Felsenburg kommt Schmidt in mehreren Texten auf „Öyene i sydhavet“ (sic) zu sprechen, u.a. in den Dialog-Essays Herrn Schnabels Spur (1989: 240) und Das Gesetz der Tristaniten (1995: 311); beide Dialoge stellen Schnabels Roman ausführlich dar, wobei Schmidt vor allem in Herrn Schnabels Spur durch z.T. seitenlange Zitatenmontagen eine besonders anschauliche Präsentation anstrebt, die das Leserinteresse auf den Roman lenken und einen Aufruf an die Verleger für eine Neuausgabe untermauern soll (1989: 257–258).31

      SchmidtsSchmidt, Arno Einsatz erstreckte sich bedauerlicherweise nicht auf Oehlenschlägers Roman. Dennoch gibt es seit kurzem eine Neuausgabe des ersten Bandes der IS, d.h. der Fassung von 1826. Für die Herstellung wurde ein vor vielen Jahren angefertigtes und im Internet veröffentlichtes Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek München unverändert gedruckt, zu einem Taschenbuch (mit nichtssagendem Buchdeckel) gebunden und 2018 vom Verlag „Inktank Publishing“ herausgebracht.32 Im Gegensatz zur redigierten dänischen e-book-Ausgabe, die auf einem gedruckten Buch beruht, bietet die deutsche Taschenbuchausgabe ein genaues Abbild des Digitalisats, was aus buchwissenschaftlicher Perspektive und zu Studienzwecken sicher vorzuziehen ist, leider aber auch die Mängel des Digitalisats (unleserliche Stellen, Flecken, etc.) aufweist. Eine Auskunft darüber, ob der Verlag die weiteren Bände ebenfalls herausgeben werde, war trotz mehrfachen Nachfragens nicht zu erhalten. Es ist natürlich sehr zu begrüssen, dass der Roman neu aufgelegt wird, und zwar in der ungekürzten Fassung von 1826; allerdings bestehen gewisse Zweifel, ob das Buch in dieser nicht sehr ansprechenden Aufmachung die Leser erreichen wird.

      Nach der insgesamt eher ablehnenden Rezeption der Erstausgabe von Oehlenschlägers Roman, den dadurch bedingten, kaum erfolgreicheren gekürzten Fassungen und deren gestalterisch verbesserten Neuauflagen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeuten die elektronischen Publikationsverfahren der neuesten Zeit immerhin eine Möglichkeit, auch weniger erfolgreiche Werke ohne grossen Aufwand und Verlust für Verlage und Buchhandlungen dem Lesepublikum wieder näherzubringen.

      1.6 Fazit

      Die Darstellung hat den Entstehungsverlauf des Romans gezeigt, von der ersten Inspiration, wie der Autor sie in seiner Vorrede schildert, bis zur letzten von ihm hergestellten gekürzten Fassung des deutschen und dänischen Textes. Einbezogen wurden zudem die nach seinem Tod erschienenen Editionen. Es ist deutlich geworden, in welchem Ausmass andere Akteure als der Autor selbst an der Entwicklung des Werkes beteiligt waren: Sowohl das Lesepublikum wie die Rezensenten, aber auch die Verleger wirkten auf die Gestaltung und insbesondere die weiteren Umschreibungen und Neufassungen des Romans ein. Die Tatsache, dass Oehlenschläger umgearbeitete Fassungen des Romans herausgab, ist an sich kein Novum in seiner Produktionsweise: Von den meisten seiner Werke existieren unterschiedliche Versionen, was kaum überrascht, da die Folgeausgaben oft Jahre nach der Erstfassung entstanden – eine zeitliche Distanz, in der sich Anschauungen und Urteile, ja, auch der literarische und kulturelle Horizont des Autors naturgemäss verändert hatten.

      Natürlich ist schon die Entstehung der beiden Erstausgaben in einem Umfeld bestimmter Ideen, Vorstellungen und Konzepte zu sehen, die zum Teil lange vor dem Erscheinen des Romans wirksam gewesen waren, wie z.B. Werke von HerderHerder, Johann Gottfried, ScottScott, Walter oder TieckTieck, Ludwig zeigen; andrerseits war auch eine Bearbeitung von Schnabels Insel Felsenburg nichts völlig Aussergewöhnliches, hatte sich doch gerade Tieck nur wenig später ebenfalls mit Schnabels Roman beschäftigt, nachdem schon Achim von ArnimArnim, Achim von, aber auch Karl Lappe etliche Jahre zuvor den Roman oder doch Teile davon neu gestaltet hatten. In diese verschiedenen teils zeitgenössischen, teils bereits traditionell gewordenen Felder ist Oehlenschlägers Text eingebettet.

      Dennoch handelt es sich bei dem Roman Die Inseln im Südmeere um eine Neuschreibung, die sich ganz wesentlich von den genannten Bearbeitungen unterscheidet, da der Text weder eine Nacherzählung von Schnabels Roman, noch eine gekürzte Fassung, aber auch keine Bearbeitung im herkömmlichen Sinn präsentiert. Der Autor hat aus den Schnabelschen Grundgegebenheiten ein gänzlich neues Werk geschaffen, das zwar deutlich von der einst in Deutschland so fruchtbaren Ideenfülle der Frühromantik geprägt ist, jedoch durch die Konstruktion auf der Folie des Romans aus dem 18. Jahrhundert ein ganz eigenes Kolorit gewinnt und sich deshalb nicht ohne weiteres einer gängigen Kategorisierung zuordnen lässt. Im nächsten Kapitel wird ein Inhaltsüberblick über die beiden Romane von Schnabel und Oehlenschläger gegeben, der Näheres zur Charakterisierung von Oehlenschlägers Neuschreibung vermitteln soll.

      2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere: Grundzüge

      Die folgende Übersicht über die inhaltlichen und strukturellen Grundzüge der beiden Inselromane würde sich für Schnabels Text eigentlich erübrigen, da dieser, wie die grosse Zahl von aktuellen Forschungsarbeiten dokumentiert, die sich seit Jahrzehnten bis heute mit den Wunderlichen Fata beschäftigen,1 zumindest im Gedächtnis der einschlägigen Forschung noch durchaus präsent ist. Wenn hier dennoch die wichtigsten Elemente von Schnabels Roman kurz in Erinnerung gerufen werden, so geschieht dies, um Oehlenschlägers Inseln im Südmeere, die, wie gezeigt wurde, nicht einmal in Fachkreisen eine auch nur annähernd vergleichbare Beachtung gefunden haben, in kontrastiver Beschreibung zu den Wunderlichen Fata soweit darzustellen, dass das Verständnis der in den folgenden Kapiteln vorgenommenen Analysen etwas erleichtert wird. Diese Detailuntersuchungen entsprechen in ihrer Anordnung nicht dem Handlungsablauf der Inseln im Südmeere, deshalb möchte die folgende Darstellung einen kohärenten Überblick über das Romangeschehen bieten. Einzelne Passagen gehen dabei über ein blosses Handlungsreferat hinaus und versuchen, Hinweise auf bestimmte, im Text verhandelte Themen und Anschauungen zu geben, so dass schon an dieser Stelle der besondere Charakter von Oehlenschlägers Roman erkennbar werden könnte.

      2.1 Die wunderlichen Fata

      Jeder der vier Teile von Schnabels WF, entstanden in den Jahren 1731–1743, wird von einer an den Leser gerichteten Vorrede eingeleitet (vgl. dazu Kap. 4.1.2 dieser Arbeit). Über die zentralen Begebenheiten im ersten Teil orientiert schon das zeittypisch ausführliche Titelblatt:

      Abb. 6: Titelblatt der Erstausgabe des 1. Teils der Wunderlichen Fata.

      Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Lm1059. © Verlag Zweitausendeins

      Darauf wird als erster Name, hervorgehoben mit grossen roten Antiqua-Lettern, jener von Albert Julius genannt, der sich als einer von vier Schiffbrüchigen auf eine unbewohnte Felseninsel retten konnte und dort zusammen mit der ebenfalls geretteten Concordia eine Familie gründete, die durch mehrere Generationen noch zu Alberts Lebzeiten auf über 300 Mitglieder anwuchs.1Neville, Henry Sein Urgrossneffe Eberhard Julius, dessen Name auf dem TitelblattNeville, Henry ebenfalls in roter Antiqua erscheint, hat die Wunderlichen Fata „entworfen“, während sie von Gisander im Jahr 1731 redigiert und in Druck gegeben wurden. Das Titelblatt bietet also eine Fülle von Informationen und lenkt in seiner variantenreichen Gestaltung (rote und schwarze Fraktur- und Antiqua-Buchstaben in verschiedenen Schriftgrössen und durchkomponierten Absätzen) die Auffassung des Lesers hinsichtlich Gewicht und Bedeutung des Mitgeteilten,2 verrät aber nichts vom erzählerischen Reichtum, den das Buch vor allem in den turbulenten, dramatischen Lebensläufen der Inselbewohner birgt, und lässt auch nichts von der komplexen Struktur des Romans erahnen, dessen kunstvolles Erzählgeflecht auf mehreren Zeitebenen und in verschiedenen Rahmungen spielt und die ursprünglich leere Insel nicht nur mit Menschen, sondern vor allem mit Erzählungen anfüllt, wobei gewissermassen das „Erzählen des Erzählens“ immer wieder thematisiert wird.

      Die näheren Umstände der auf dem Titelblatt des ersten Teils angekündigten Rettung nach dem Schiffbruch erfährt der Leser aus Alberts Lebenserinnerungen, die dieser dem engsten Kreis seiner Vertrauten auf der Insel Felsenburg Abend für Abend vorträgt;