Julia Meier

Inselromane


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oder das Scheitern eines Plans Auskunft“ (Estermann 2010: 265).

      Da noch bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts die von den Druckereien gelieferten Publikationen in den Buchhandlungen lediglich als lose Bögen oder Broschüren ohne Einband verkauft wurden (Hilz 2019: 116), blieb es dem potentiellen Käufer überlassen, ob und allenfalls in welcher Ausstattung er das Buch binden lassen wollte, nachdem das Titelblatt auf den Druckbogen – das Erste, was ihm als zukünftigem Leser ins Auge fiel – sein Interesse geweckt und ihn in Kurzform über Titel, Autor und Gattung einer Publikation informiert hatte. Oehlenschlägers Inselroman präsentierte sich, was das Titelblatt betrifft, ausgesprochen einfach. Die beiden Titelblätter der deutschen und der dänischen Erstfassung weisen eine frappante Ähnlichkeit auf, wie die nebeneinander gelegten Seiten zeigen:

      Abb. 1: Die Titelblätter der beiden Erstausgaben (Foto privat)

      Nicht nur wird für beide Texte – wenn auch in etwas unterschiedlichen Varianten – Frakturschrift verwendet; die Seitengestaltung ist in der Anordnung der einzelnen Elemente ebenfalls weitgehend identisch. Insbesondere, was die Wahl des Schrifttypus betrifft, zeigen sich in der wechselhaften Geschichte der Verwendung von Fraktur und Antiqua deutliche Parallelen im dänischen und deutschen Buchdruck: Während um 1800 für gewisse auf Innovation ausgerichtete Publikationen die Antiqua bevorzugt wurde, da diese Schrift im Einklang mit dem avantgardistischen Anspruch des Inhalts auch formal Neuheit und Bruch mit Traditionen signalisierte, kehrten die Verlage schon bald wieder zur Fraktur zurück, was in beiden Ländern hauptsächlich mit den verbreiteten Lesegewohnheiten zusammenhing. Sehr anschaulich beschreibt dies Johnny Kondrup am Beispiel von Oehlenschlägers Digte und deren Inspirationsquelle, Henrich Steffens Inledning til filosofiske Forelæsninger, beide 1803 erschienen und in Antiqua gedruckt, während schon Oehlenschlägers folgende Publikationen, Poetiske Skrifter von 1805 und Nordiske Digte von 1807, wieder in Fraktur herausgegeben wurden, wie praktisch die ganze „Guldalder“-Literatur (Kondrup 2011: 287–288).2Schlegel, August WilhelmTieck, Ludwig Beim damaligen Lesepublikum war die traditionelle Fraktur beliebter als die ungewohnte Antiqua, die ursprünglich vorwiegend für Fremdwörter und fremdsprachige Texte verwendet wurde und deshalb den Eindruck erwecken konnte, man habe einen lateinischen Text vor sich, was zur Folge hatte, dass manche Leser sich auf die Lektüre gar nicht erst einliessen.3 Ähnliche Vorgänge schildert Susanne Wehde für dieselbe Zeit in Deutschland; auch sie stellt fest:

      Der Durchsetzung der Antiqua standen (sic) vor allem die mangelnde typographische Kompetenz breiter Lesekreise entgegen. Die Lesefähigkeit war mehrheitlich an Fraktur-Schriften geschult. Antiqua-Formen waren dementsprechend ungewohnt und erschwerten das Lesen – so wie heute Fraktur-Schriften. (Wehde 2000: 236)4

      Die Gestaltung der Titelblätter von Oehlenschlägers Roman folgt offensichtlich einem aus England und den romanischen Ländern stammenden Muster von bemerkenswerter Einfachheit und Klarheit, das im Gegensatz zur Antiqua auch in den deutschen Sprachraum übernommen wurde (Wehde 2000: 223–224 und 236). Dass Oehlenschläger sich an einem solchen Modell orientierte, scheint aus dem CottaCotta, Johann Friedrich gegenüber geäusserten Wunsch hervorzugehen, sein Roman solle „wie GoethesGoethe, Johann Wolfgang von Aus meinem Leben gedruckt seyn“ (Brief vom 21.8.1821, Breve B/3: 177)5Goethe, Johann Wolfgang vonCotta, Johann Friedrich oder, wie er später mit dem Verleger vereinbarte und in den Briefen an ihn mehrfach bekräftigte, „wie Goethes Kunst und Alterthum“ (BrC vom 16.2.1822).6Cotta, Johann FriedrichGoethe, Johann Wolfgang vonCotta, Johann Friedrich

      Abb. 2: Titelblatt von Goethes Zeitschrift „Über Kunst und Alterthum“, Heft 1, 1816.

      Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Z 120 (1). © Klassik Stiftung Weimar.

      Angesichts von Oehlenschlägers Goethe-Verehrung entsteht der Eindruck, dass sich der dänische Dichter, der Goethe immer wieder nachzueifern suchte, sogar die äussere Erscheinungsform von dessen Werken zum Vorbild nahm. Vielleicht empfand er in der inhaltlichen Fülle von GoethesGoethe, Johann Wolfgang von Zeitschrift, in der Gedichte, literarische Übersetzungen aus verschiedensten Sprachen sowie Kunst- und Literaturbetrachtungen über alle Grenzen von Zeit, Raum und Gattungen hinweg publiziert wurden, auch eine Verwandtschaft zum ähnlich weitgefächerten Spektrum seines Romans. Eine äussere Parallele besteht jedenfalls in der Mehrteiligkeit der beiden Werke – Goethes Zeitschrift erschien in umfangreichen, gut 200seitigen Einzelheften, von denen jeweils drei zu einem Band zusammengefasst wurden.7Goethe, Johann Wolfgang von Oehlenschläger gab CottaCotta, Johann Friedrich detaillierte Instruktionen, wie die verschiedenen Teile seines Romans zusammenzufügen seien (BrC vom 24.8.1824) und präzisierte im gleichen Brief mit der Nennung von Goethes Zeitschrift auch, dass das Buch wie diese eingerichtet werden solle, nämlich „jedes neue Kapitel auf seinem eigenen Blatte.“

      Oehlenschlägers Wunsch bezieht sich also nicht nur auf die Gestaltung des Titelblattes, sondern auch auf den Druck und die Ausstattung des Buches insgesamt, das er sich „elegant“ und „hübsch“ wünschte, da dies den Absatz fördern würde: „Wäre es vielleicht aber nicht gut, und würde es zur Absetzung des Buches nicht beitragen, wenn es ein wenig elegant gedruckt würde?“ Oder: „[Das Werk] wird gewiss Leser bekommen, nur müssen Sie dafür sorgen, dass es hübsch gedruckt wird […].“ (BrC vom 3.8.1822 resp. 4.4.1823). Diese Anliegen zeigen Oehlenschlägers Interesse an der Materialität des Buches und sein Verständnis für deren ökonomische Auswirkungen auf dem Buchmarkt; es war ihm offensichtlich bewusst, dass „der verbesserten Ausstattung bei der gestiegenen Konkurrenz am Literaturmarkt eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zu[kam]; die Ausstattung eines Buches wurde zum verkaufsfördernden Moment“ (Steiner 1998: 71; der Autor stellt die Bedeutung der Ausstattung für die Buchvermarktung im Übrigen schon für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts fest). Oehlenschläger verlangt von CottaCotta, Johann Friedrich auch, das Buch nach dem Druck „schnell nach allen wichtigen Buchhaltungen [wohl irrtümlich für Buchhandlungen] zu schicken, damit der Augenblick der Neuigkeit benützt werde“ (BrC vom 4.4.1823).

      Diese praktischen Anweisungen erstaunen nicht, wenn man bedenkt, dass Oehlenschläger sehr oft sein eigener Verleger war, womit auch ein augenfälliger Unterschied zwischen den beiden sonst so ähnlichen Titelblättern der deutschen und der dänischen Erstausgabe von Oehlenschlägers Roman zusammenhängt: Während die deutsche Fassung bei CottaCotta, Johann Friedrich, dem seit 1803 „führenden Verlag in Deutschland“ (Fischer, B. 2003, 1: 32) erschienen war, hatte der Autor die dänische Version im Eigenverlag herausgegeben. Für diese selbstverlegerische Tätigkeit scheint es verschiedene Gründe zu geben: Sicher bestand zu Beginn die Hoffnung, dadurch grössere Einnahmen zu erzielen als mit dem damals üblichen Verlagshonorar.8 Die Entscheidung für den Eigenverlag zeugt aber auch vom Selbstbewusstsein des Autors, der es sich zutraute, dank seiner Bekanntheit seine Werke erfolgreich selber zu vermarkten. Freilich scheint dies nur in der Anfangszeit von Oehlenschlägers schriftstellerischer Laufbahn wirklich gelungen zu sein, wie er selber einräumt: „Meine Schriften gingen wohl noch gut; aber nicht so reissend, wie in der ersten Frühlingszeit meines Auftretens […]. Ich verstand mich auch später nicht auf den Buchhandel […]“ (Meine Lebens-Erinnerungen 1850, 3: 8).9 Morten Møller erklärt in Dansk litteraturhistorie 4 zu den Bedingungen des dänischen Buchmarktes und des Verlagswesens im 18. und 19. Jahrhundert, der Eigenverlag sei als Publikationsplattform schon Ende des 18. Jahrhunderts kaum mehr benützt worden (1983: 545). Laut Møller begann sich damals das Verlagswesen als professionelle Institution zu etablieren, was dazu geführt habe, dass dem Lesepublikum allein schon das Erscheinen eines Werkes bei einem Verlag als Qualitätsgarantie galt, während den im Selbstverlag eines Autors publizierten Werken eher Misstrauen entgegengebracht wurde (1983: 545). Dies hinderte jedoch Oehlenschläger nicht daran, ab ca. 1811 nahezu sämtliche grösseren Arbeiten im Eigenverlag herauszugeben und sie ausserdem mehrmals zu vermarkten, indem er – ebenfalls im Eigenverlag – immer wieder neue Sammelausgaben seiner Werke veranstaltete, die er jeweils zur Subskription anbot (Liebenberg 1868, 1). Erst 1844 gab er diese verlegerische Tätigkeit auf und verkaufte die Verlagsrechte für einen Zeitraum von zehn Jahren an den Universitätsbuchhändler