Nami Korevko

Lumine


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bald im wahrsten Sinne des Wortes ersticken. Aber er konnte es nicht, weil er ein Feigling war. Ein verfluchter, erbärmlicher Feigling. Feigling. Feigling. Feigling.

      Er bog in eine Gasse ein. Seine Schritte hallten laut wider. Die Fassaden der Gebäude waren alt und brüchig. Dieser Teil der Stadt war größtenteils unbewohnt, aufgrund der schlechten Zustände der Häuser. Die Holzplatten knirschten gefährlich, als könnten sie jeden Moment zusammenbrechen. Die Fensterläden waren nicht mehr vorhanden, und die Türen ließen sich nicht mehr verschließen. Bedauerlicherweise kümmerte sich niemand darum, und somit entschlossen die meisten sich dazu umzuziehen. Unachtsam trat Frow in eine Pfütze. Fluchend setzte er seinen Weg mit durchnässten Schuhen fort. Noch vor wenigen Stunden peitschte der Herbstregen schmerzhaft zu Boden und überflutete jede einzelne Regenrinne.

      Ein Rabe krächzte vom Dach einer veralteten Kirche, an der Frow eben vorbeilief. Ein widerliches Geräusch. Es klang aggressiv. Der Vogel breitete seine Flügel aus, um jeden Moment loszufliegen. Das Vieh krächzte immer noch ununterbrochen. Den Kopf richtete er hinauf zum Mond. Genervt biss Alester sich auf die Zähne und nahm an Geschwindigkeit zu. Bloß weg von diesem Störenfried, dachte er sich. Er wollte diesen schrecklichen und immer lauter werdenden Gesang nicht weiter ertragen. Er folgte dem Gang nach rechts und fand sich schlussendlich auf einem kleinen Platz mit einem Brunnen in der Mitte wieder. Hektisch näherte er sich ihm, um kaltes Wasser in sein Gesicht zu schütten. Seine Lider wurden immer schwerer. Die Kraft ließ nach. Die kalte Herbstluft raubte ihm die Energie sowie die stechenden Kopfschmerzen. Dieses penetrante, stechende Bohren in den Schläfen konnte unerträglich sein. Für einen Moment betrachtete Frow sein Spiegelbild. Wie mitgenommen er doch aussah. Dunkle Augenringe zierten seine Visage. Nichts war mehr übrig geblieben von seiner früheren Gestalt.

      Unglaublich. Es war doch wirklich unglaublich, wie nur ein einziger Moment eine riesige Auswirkung auf die eigene Zukunft haben konnte. Ein trockenes Lachen entkam seiner Kehle. Jedoch verklang es schnell wieder. Dieser Scheiß-Rabe saß auf einmal auf der Mauer zu seiner Linken und starrte ihn an, als würde er auf einen Wurm lauern und den richtigen Augenblick abwarten, um zuzuschnappen. Leichtes Unbehagen machte sich in ihm breit. Schwarze, leblose Augen starrten ihn an. Nein. Es waren finstere Löcher der Hölle, die alles verschlingen konnten.

      Erbärmlich. Fing er wirklich an, sich vor einem blöden Vogel zu fürchten?

      Plötzlich begann das Vieh wieder zu krächzen und flog direkt auf sein anvisiertes Opfer zu. Schützend hob Frow seine Arme und schlug den Raben zu Boden. Blut rann seine Hand hinab. So was. Hatte er ihm doch tatsächlich ein Stück seiner Haut entrissen. Wütend blickte er auf das nun hilflos sich windende Federbündel hinunter. Was fiel diesem Mistvieh ein? Rachedurstig hob er sein Bein und grinste vorfreudig wie ein kleines Kind, das es kaum erwarten konnte, sein Weihnachtsgeschenk zu öffnen. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass die Augen nicht vor Freude, sondern vor Wahnsinn funkelten. Jetzt war er dran. Er wird diesen vermaledeiten Raben zertreten, bis ihm die Eingeweide rausplatzen. Er ließ sich doch nicht von einem kleinen Tier verarschen. Davon hatte Alester genug. Viel zu oft musste er Blamagen über sich ergehen lassen. Davon hatte er genug. „Stirb, du verficktes Mistvieh!“, schrie er und trat mit aller Kraft auf das Tier. Noch mal. Noch mal. Und noch mal. So lange, bis nichts weiter als eine rote Pfütze mit blutdurchtränkten schwarzen Federn übrig war.

      Ein dunkles Lachen ließ ihn innehalten und nach vorn blicken. Aus dem Schatten des Mondlichtes trat ein komplett in schwarz gekleideter Mann mit Hut. „Nehmt Euch in Acht, mein Freund. Sich noch so spät herumzutreiben, könnte gewisse Konsequenzen mit sich bringen!“, ertönte seine tiefe Stimme. Na und? Was interessierte ihn das? „Was schert Ihr Euch denn um mich?“, kam es spöttisch und skeptisch zurück. Dabei zog er eine Augenbraue hoch und trat von seiner Schandtat weg. Was glaubte der Mann denn, wer er war? Wieder ein Lachen seitens des Unbekannten. „Nicht doch. Machen Sie keine Späße. Ich wollte Sie lediglich vorwarnen!“, lächelte sein Gegenüber kalt. Warnen? Wovor denn bitte schön? Etwa vor der schneeweißen Hexe, die vor wenigen Tagen hier gesichtet wurde? „Was haben Sie denn für einen Anlass dazu?“, fragte der Obdachlose irritiert. Seine Frage wurde ignoriert. Stattdessen kam der Herr einige Schritte näher. Instinktiv trat Frow bis zum Brunnenrand zurück. Dieser Typ hatte etwas Bedrohliches, wenn nicht sogar Teuflisches an sich. Sein Blick schien durch ihn hindurchzugehen. Er fühlte sich wie ein eingeschüchtertes Tier, das in die Enge getrieben wurde. Dieses Schauspiel gefiel ihm gar nicht. Er musste den Herrn so schnell wie möglich loswerden. All seine Muskeln spannten sich an, bereit, jederzeit loszurennen. Weshalb er sich vor ihm fürchtete, war Alester ein Rätsel. Muskulös sah er nicht gerade aus. Der stechende Blick des Hutträgers richtete sich auf die kleine Blutlache vor ihm.

      Der Fremde streckte seine Hand nach einer schwarz-roten Feder aus und hielt sie zwischen seinen behandschuhten Fingern. Abwesend und gelangweilt betrachtete er den Fund, während er sich wieder erhob. Seine Körpergröße betrug etwas mehr als sechs Fuß.

      „Blut verlangt nach Blut, nicht wahr?“, erhob der Mantelträger wieder das Wort, und seine Augen richteten sich auf des Landstreichers blutende Hand, dessen Verletzung leicht brannte. Betroffen verdeckte der Verletzte die Wunde. Hat er deswegen tatsächlich seine Beherrschung verloren? Die Müdigkeit nahm ihm doch mehr jegliche Hemmungen und Anstand, als er dachte. Das war doch nicht nötig gewesen. Aber diese Einsicht kam nun ein bisschen zu spät. Dies war definitiv nicht sein Tag. Ob dies auch sein letzter war? So viel Pech auf einmal hatte ihn schon lange nicht mehr verfolgt. War das möglicherweise das Werk der Hexe? Hat sie ihn mit ihrem Fluch belegt? Panik stieg in ihm hoch. Innerlich flehte er den Himmel an, dass dies hoffentlich nicht der Fall war. Frow begann zu zittern. Erschrocken zuckte er zusammen, als die schwarze Gestalt zu sprechen begann. „Wären Sie so freundlich, mir ein paar Fragen zu beantworten?“, grinste er amüsiert. „Zu welchem Zweck?“

      Seine Stimme klang heiser, drohte zu versagen. Idiot. Er war ein Idiot. Sein Gegenüber zischte: „Das hat Sie nicht zu interessieren, Mr. Frow. Beantworten Sie mir lediglich folgende Frage, und ich verspreche Ihnen, dass Sie mich nie wiedersehen werden!“ Der Kleinere setzte an, um zu antworten, stutzte aber. Woher kannte er seinen Namen? Sein Gedanke stand ihm wohl ins Gesicht geschrieben, da der Andere erwiderte: „Woher ich Ihren Namen kenne, spielt keine Rolle. Ich möchte bloß ein paar Angaben bezüglich Vincent Gregwood!“

      Moment mal. Gregwood? „Wie bitte?“, war alles, was er entgegnen konnte. Nun knurrte der Schwarzgekleidete. Seine Geduld war langsam am Ende.

      Verdammt. Wollte er sich wirklich schon heute von der Welt verabschieden? Der Hutträger zog eine Pistole aus seinem Mantel und richtete sie auf den Kleineren. Hörbar schluckte Alester. „Ich weiß es nicht. Er hat mir nichts erzählt. Ich schwöre bei meinem Leben!“, antwortete Frow wahrheitsgemäß mit zitternder Stimme und versuchte seinen Peiniger zu besänftigen. „Und das soll ich Ihnen glauben?“, meinte der Bewaffnete kalt. Seine Stimme war ruhig. Zu ruhig. „Versuchen Sie mich doch zu verstehen. Wir sind uns ähnlicher, als Sie denken!“ Ein spöttisches Glucksen entfloh seinem Mund. Da hatte er sich doch hoffentlich verhört. „Richten Sie bitte Ihr Augenmerk auf Ihr Werk und sagen Sie mir, bereuen Sie Ihre Tat? Ich wage es zu bezweifeln!“ Eine kurze Pause folgte. „Nein. Ganz im Gegenteil. Sie haben es genossen. Es genossen, jeden einzelnen und letzten Lebensfunken aus diesem unbedeutsamen Tier auszuhauchen. Und aus welchem Grund?“ „Aus Rache!“, beantwortete Frow wie benommen die Fragestellung, seine Augen auf die rote Pfütze gerichtet. Das dunkle Kichern ließ ihn aufschauen. „Genau. Sie und alle anderen Menschen auch sind rachsüchtige Wesen, die dazu bereit wären, alles und jeden zu zerstören, nur um ein Gefühl der Befriedigung hervorrufen zu können!“ Seine Stimme wurde lauter. „Deswegen bitte ich Sie höflichst, mir dabei nicht im Wege zu stehen!“

      Er wollte sich also an Vincent Gregwood rächen. Aber weshalb? Was hat Gregwood denn diesem Herrn angetan?

      Der Mann war definitiv verrückt. Wer war er überhaupt? Eingeschüchtert schluckte der Dieb, als er feststellte, dass der Größere immer näher kam. „Ich gebe Ihnen mein Wort. Ich weiß wirklich nichts. Ich habe keinerlei Kenntnis darüber, wo Gregwood sich aufhält!“, beschwichtigte Frow. Als die beiden sich näher als zuvor gegenüberstanden, packte der Hutträger ihn seufzend am Hals. Reflexhaft griff der Obdachlose nach der Hand des Anderen. Es wurde immer