Jürg Hulliger

Kleider machen den Herrn


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präsentiert. Feste bieten Gelegenheiten, wo Frauen & Männer sich in Roben stürzen können. Für viele Männer ist die eigene Hochzeit typischerweise der einzige Moment im Leben, wo sie sich sehr festlich bis etwas gewagt kleiden.

      Für Frauen kreieren Modehäuser jede Saison Neues, was alltäglich zur Frage führt: „Was ziehe ich denn heute Passendes an?“ Passend zum Wetter, zu ihrer Aktivität, dem Umfeld. Männern stellt sich die Frage so nicht: Sie richten sich zumeist nach dem, was praktisch & schnell zu beschaffen ist und zum beruflichen & sozialen Umfeld passt. Für Gewagtes ist da eigentlich kein Raum. Das Grundprinzip lautet: Nur nicht auffallen, das anziehen, was man für uns allerorts bereithält.

      Das Bedürfnis, sich mal gänzlich anders zu präsentieren, wird dagegen in der Fasnacht, in historisch orientierten Vereinen (Zünfte) und insbesondere in der Street Parade ausgelebt. Möglich wird diese Art von Ausgefallenheit, weil in diesem Moment viele aus der Norm treten. So braucht man sich als Individuum nicht zu exponieren.

      Ist die Entwicklung der Herrenmode schon immer hinter jener für die Damen zurückgeblieben? Ein Blick an den Hof des Sonnenkönigs in Versailles zeigt ein gänzlich anderes Bild: Damen & Herren traten in farbigen, aufwändig hergestellten Roben auf, die sich wesentlich nur durch die Körperform unterscheiden, nicht aber hinsichtlich der Grundgestaltung des Modells sowie des Dekors. Ludwig der XIV. war ein totaler Modefetischist & Trendsetter, der durch sein extravagantes Verhalten Männer in ganz Europa angesteckt hat, sich sehr aufwändig, farbenfroh und mit viel Dekor zu kleiden.

      Bedeutende Modehäuser in Paris und deren Designer wie Christian Dior, Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld und andere liessen sich nach 1945 vom Mode- & Festzauber von Versailles inspirieren3. Die von ihnen geschaffene Mode versucht, den glamourösen touch von Versailles weiter zu pflegen: „Versailles est le plus grand salon d’essayage du monde, c’est une vitrine, un repère mouvant, fixant les usages et les caprices.“3 Und was fällt uns dabei auf? Die modische Entwicklung ist nur für die Damen weitergeführt worden. Für die Herren hat man ab etwa der zweiten Hälfte des 19. Jh.4,5 eine unauffällige, schmucklose, oft in schwarz, grau oder dunkelblau gehaltene, wenig attraktive Standardkleidung geschaffen, die selbst heutzutage jene zu festlichen Anlässen tragen, welche die faszinierenden Kreationen für die Damenwelt erschaffen. Ja, selbst bedeutende bildende Künstler bleiben gegenüber dem eigenen Outfit konventionell & phantasielos. Bei Picasso ist ein gestreiftes T-Shirt gerade mal die Ausnahme.

      Man mag sich fragen, warum die bedeutendsten ModeschöpferInnen kein Interesse daran finden, auch für die Männer die einstige Tradition weiter zu entwickeln. Auf dem Laufsteg, wo die neuesten Kreationen präsentiert werden, fehlt es nicht an Andersartigem für Männer, auch nicht in den entsprechenden Modegeschäften. Aber selbst dort stehen die Verkäufer da in ihrem business attire Look! Dass Kreationen für Männer, die klar übers Ziel hinaus schiessen, keine Realität hinsichtlich einer Mode, die auch getragen wird, nach sich zieht, zeigt ein Blick auf Fotoshootings bei Anlässen wie „The Golden Globe“6: Die Damen in hinreissenden Roben – die Herren dagegen verharren kontrastreich in der Vervielfachung von ewig Gleichem, ohne jeglichen Pfiff & Mut zu präsentieren. Die Durchsicht der vom Magazin Vanity Fair geführten international best dressed list (men) führt zum selben Resultat: Wir finden überwiegend Männer in schwarzen, konventionellen Anzügen mit Krawatte oder Fliege! Was Männern fehlt, ist eine tragbare, verfügbare Mode, welche ohne zu übertreiben, sich kreativ vom Üblichen unterscheidet.

      In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam zu hören, was Gabrielle Chanel7 über die Bekleidung eines ihrer Liebhaber, den Herzog von Westminster, sagt: Sie schätzte an ihm ganz besonders, dass er stets in einfachen Tweeds gleich angezogen war. Das ist keine gute Nachricht im Hinblick auf Veränderung. Wollen Frauen unscheinbare, förmlich gekleidete Partner? Ja, vielleicht deshalb, damit die volle Aufmerksamkeit und Bewunderung nur auf sie fällt.

      Wenn ich mit meiner Partnerin, einer sehr schönen und speziell gekleideten Frau, unterwegs bin, dann schauen die meisten Leute tatsächlich zuerst auf mich. Wohl nur deshalb, weil ich nicht das an habe, was sie für einen Mann gewohnt sind zu sehen. Glück gehabt, meine Frau hat damit kein Problem – aber andere vielleicht schon. Demgegenüber stellte in früheren Zeiten eine vergleichbare Kleidung für Damen und Herren kein derartiges Problem dar.

      Ein weiteres Hindernis zeigt Wirkung, warum Männer eine Bekleidung meiden, welche an scheinbar weibliche Formgebung & Dekor erinnert: Das ist die verbreitete Vorstellung, dass Modedesigner, Tänzer und andere, die besonders kreativ sind, homosexuell seien. Obgleich gesellschaftlich akzeptiert, möchten Männer nicht den Anschein erwecken, geltende Normen, was sie repräsentieren sollten, zu missachten.

      Damit man als Mann aus der Omnipräsenz von Dresscodes und des allgegenwärtigen saisonalen Modeangebots gelassen austreten kann, braucht es somit ein klares Ja zur Gestaltung des eigenen Outfits. Es braucht, wie Diana Vreeland sagt, einen persönlichen Stil.

      Einst schrieb das Vogue America: „Stil ist nicht von Mode abhängig. Menschen, die Stil haben, können die Mode akzeptieren oder ignorieren. Für sie ist Mode nichts, wonach man sich richten muss, sondern vielmehr etwas, das man entwickeln kann, etwas, für das sie sich entscheiden …“8 Das bedeute konkret: Die internationale Mode bringe unablässig eine große Vielfalt von Kleidung hervor, anhand derer wir unseren Stil unabhängig von momentanen Trends entwickeln können. Interessanterweise sind zumeist jene Personen zu Stilikonen geworden, die sich nicht den Modetrends angepasst haben8. Gerade durch ihre Originalität haben sie letztlich nicht Mode getragen, sondern Mode gemacht!

      Meine eigene Erfahrung in dieser Hinsicht ist überraschenderweise positiv: In der Öffentlichkeit werde ich nicht nur von Frauen angesprochen, die meine Bekleidung speziell finden, sondern auch von Männern, die eingestehen, dass sie das eigentlich auch möchten, aber sich nicht getrauen, so herumzulaufen. Einmal, in einem Grandhotel, ist mir auf dem Weg ins UG ein bekannter englischer Dirigent entgegengekommen: „Oh, isn’t that wonderful! Where may I get such a jacket?“ Es gibt also auch Ausnahmen.

      Wenn dieses Buch eines zum Ziel hat, dann dies: Ich möchte Männern Mut machen und ihnen den Weg ebnen, dass sie sich in Sachen Formgebung, Dekor & Wirkung wieder so kleiden können, dass die Damen- & Herrenmode wie einst im gestalterischen & ästhetischen Einklang steht.

      Und wenn jetzt einer meiner Leser gleich umsteigen möchte, wo findet er dann die Roben, die ihm vielleicht schon seit langem irgendwie gefallen haben? Herrenabteilungen sowie Geschäfte der großen Marken werden hierfür nur selten zur Fundgrube, weil ein derartiges und vor allem vielfältiges Angebot für Herren gegenwärtig nicht produziert wird9. Ist jetzt der Enthusiasmus schon wieder am Boden? Ganz und gar nicht: Man verlasse einfach die Herrenabteilungen und suche jene für die Damen auf! Und siehe da, abhängig vom jeweiligen Trend kann man dort fündig werden. Entlang dieses Buches werde ich mehrheitlich Beispiele präsentieren, die vom Gestell für Damen stammen.

      Merkt man dann sogleich, dass es nicht für Männer geschneidert ist? Keine Sorge, allzu weibliche Aussparungen kann man abändern. Dass Damenmäntel etc. im Gegensatz zur männlichen Kleidung üblicherweise von links nach rechts (aus der Sicht einer BetrachterIn) zugeknöpft werden, das hat bei mir in den letzten 20 Jahren kaum jemand bemerkt. Es zeigt sich, dass selbst Personen aus der Branche es oft nicht merken oder erst zu spät, wenn sie dafür schon Begeisterung gezeigt haben.

      Christian Dior, „le Maître enchanteur“:10 Als Sohn eines Industriellen waren seine Eltern besorgt, aus ihm, dem musisch Begabten, würde nichts Rechtes werden. Dior zeigte zeichnerisches Talent und zu seinen Freunden zählten Künstler wie Christian Bérard und Jean Cocteau. Um nebenbei seinen künstlerischen Neigungen entsprechen zu können, studierte er Politikwissenschaft und durchlief danach eine diplomatische Ausbildung.

      1928 eröffnete er eine kleine Kunstgalerie und förderte Maler wie Pablo Picasso und Salvador Dalí. Nach dem Bankrott seines Vaters sowie seiner Galerie geht der Mittellose ab 1931 zum Modedesign über und hat erste Erfolge mit Hutmodellen. Ab 1942 ist er im Team des Modehauses Lelong tätig. Mehr und mehr wächst in ihm der Wunsch nach einem eigenen Modehaus. Mutig sucht er 1945 den Textilkönig und reichsten Mann Frankreichs, Marcel Boussac, auf und kann den Magnaten dazu bewegen, ihm carte blanche zur gestalterischen Leitung eines neuen