Anouk Bindels

Die Weisheit des Traumas


Скачать книгу

können

      Ich habe mich natürlich gefragt, welche neuen Erkenntnisse mein Buch den vielen bereits erschienenen Werken über Liebe, Energie, Bewusstsein und Selbstheilung hinzufügen würde, die im Laufe der Jahrhunderte bereits geschrieben worden waren.

      Zunächst schrieb ich es erst nur für mich in meinen Gedanken. Als ich es zu Ende gedacht hatte, begann ich zu zweifeln und fragte mich, ob ich nicht dabei wäre, das Rad neu zu erfinden. Die Worte des französischen Phänomenologen Merleau Ponty (1908-1961), beruhigten mich dann. Ihm zufolge ist alles, was geschrieben wird, im Grunde eine Wiederholung. Er unterscheidet dabei deutlich zwischen ›Parole parlée‹ und ›Parole parlante‹. Parole parlée ist Plagiat. Parole parlante ist eine Neuanordnung, mit der jemand ein neues Werk erschafft. Das Geschriebene erhält dadurch eine neue Bedeutung, es berührt eine andere Seite im Leser und gibt einer Thematik, die vielleicht schon sehr alt ist und über die auch bereits viel geschrieben wurde, einen neuen Gefühlswert.

      Dieses Buch, in dessen Mittelpunkt meine persönlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen stehen, gehört zur Kategorie Parole parlante. Das Fundament dazu fand ich in verschiedenen Strömungen der westlichen Psychologie und Philosophie, in alten Schriften aus der östlichen Psychologie und in diversen Philosophien über Energieheilung. Des weiteren habe ich neue Erkenntnisse aus dem Blickwinkel der Quantenphysik und Quantenpsychologie genutzt.

      Dieses Buch ist für interessierte Laien gedacht, aber auch für Fachleute – Therapeuten, Coaches und Trainer. Ich berichte darin in Form des Herz-Gehirn-Heilungsprozesses ausführlich über meine eigene Reise, die ich auf drei Pfaden beschreibe: persönliche Erfahrungen mit Trauma, Verlust und Heilung; theoretischer Unterbau und Ausarbeitung und schließlich praktische Übungen.

      In meinem Leben gab es mehrere traumatische Ereignisse: schwerwiegende Verluste, emotionalen Schmerz und Krankheit. Mein eigener Heilungsprozess stellt sowohl die Ursache als auch den Hintergrund für eine Anzahl wichtiger Fragen dar, die ich in diesem Buch anspreche.

       Was geschieht in unserem Herzen, unserem Kopf und unserem Körper, wenn wir durch ein Trauma oder einen schwerwiegenden Verlust emotional verletzt werden?

       Wie erschaffen wir aus den beiden wichtigen Organen Herz und Gehirn ein zusammenhängendes, starkes System der Heilung?

       Was ist selbstgelenkte Neuroplastizität?

       Wie bereiten wir Herz, Kopf und Körper auf eine neue emotionale Erfahrung und die erwünschte Zukunft vor?

       Wie verkörpern wir die Veränderung und wie wird sie zur bleibenden Erfahrung?

       Wie manifestieren wir uns ein neues Leben?

       Wie können wir wieder Liebe und Vertrauen fühlen?

      Wenn wir ein Trauma, eine oder mehrere Verlusterfahrungen erlebt haben – erst vor Kurzem oder schon vor einiger Zeit, als junger oder alter Mensch –, haben wir wahrscheinlich eine Zeit lang mit intensiven emotionalem Schmerz gelebt. Bewusst oder unbewusst. Traumata und Verluste hinterlassen tiefe Spuren in unserem Leben.

      Wir alle wohnen in einem lebenden, atmenden Körper, in dem sowohl Herz als auch Gehirn durch traumatische Erfahrungen berührt werden und bei der Übersetzung von Gefühlen, Sinneserfahrungen und Gedanken eine wichtige Rolle spielen. Körper und Geist arbeiten hierbei eng zusammen. Verlust und Trauma überfallen uns oft sehr plötzlich und haben starke Auswirkungen darauf, wie wir danach weiterleben. Ihre Spuren können unsere ursprüngliche Persönlichkeit vollkommen verändern. Geschieht dies in jüngerem Alter, beeinträchtigt es möglicherweise Wachstum und Entwicklung. Die Spuren können auch dafür sorgen, dass wir im Alltag nicht mehr glücklich sind, nicht mehr lachen können, keine Liebe mehr empfinden und die Fähigkeit verlieren, Freude und Intimität zu erleben.

      Der Schmerz setzt sich im Körper fest, mit allen Folgen, die das nach sich zieht. Wir werden vielleicht depressiv oder ängstlich und fühlen uns erschöpft. Manche verlieren sogar die Kraft, weiterzuleben. Möglicherweise nehmen wir, um mit diesem Schmerz umgehen zu können, viele Medikamente (zum Beispiel Antidepressiva), Alkohol oder Drogen ein. Vorstellbar ist auch, dass wir täglich Schuld, Scham, Wut, Hass, Angst und Trauer empfinden und ein Leben voller emotionalem, mentalem und körperlichem Stress führen. Dazu gehört meist auch, dass wir uns nicht fit fühlen und uns die Vitalität für ein sinnerfülltes Leben fehlt.

      Letztlich befinden wir uns dann permanent im Überlebensmodus. Wir verspüren wahrscheinlich große Einsamkeit und leben in dem Gefühl, von unseren Mitmenschen abgeschnitten zu sein. Körperliche Krankheiten können entstehen, darunter Autoimmun- oder Krebserkrankungen. Wenn wir uns von unserer Umwelt getrennt fühlen, wenn das Lebensfeuer im Inneren erloschen ist, wird es schwierig, andere um Hilfe und Unterstützung zu bitten. Wir haben dann keine Kraft mehr, mit dem täglichen Leben umzugehen und haben unsere Lebenslust verloren.

      Leben bedeutet Anpassung und Veränderung. Um nach einer überwältigenden Erfahrung wieder aufzublühen, das Leben zu genießen und uns vorwärts zu bewegen, brauchen wir Resilienz. Wir wissen, dass wir Menschen eine widerstandsfähige Spezies sind, denn es ist uns als Individuen und als Kollektiv immer wieder gelungen, uns nach Krankheiten, Kriegen, Katastrophen, Gewalt und traumatischen Erlebnissen zu erholen. Das ändert jedoch nichts daran, dass dies unannehmbare, unerträgliche Erfahrungen sind, die große Auswirkungen auf unseren Seinszustand haben. Unsere Herzen werden durch traumatische Geschehnisse ernsthaft verletzt. Gebrochen und ohne Liebe bleiben wir meist niedergeschlagen und verzweifelt zurück.

      Was ich hier beschrieben habe, war lange Zeit meine Realität: Ich war ein emotionales und mentales Wrack, ging durch die dunkelste Nacht meiner Seele und wurde körperlich schwer krank.

      Am 10. Juni 2007 setzte mein zweiter Mann seinem Leben ein Ende, indem er vom Parkhaus des Kaufhauses Bijenkorf in Amsterdam sprang. Ein selbst gewählter Tod! Unsere beiden Kinder, ich selbst, Verwandte und Freunde, Bekannte und Kollegen blieben verstört zurück. Der Tod meines Mannes versetzte mir eine tiefe emotionale Wunde, ich führte ein Leben voller Stress. Die nächsten vier Jahre funktionierte ich, ohne dass ich mir dessen bewusst war, nur noch im Überlebensmodus. Eine schwere Erkrankung war die Folge.

      Wie sollte ich meine Traumata und meinen emotionalen Schmerz heilen? Wo Resilienz hernehmen? Ich wusste es nicht, also begab ich mich auf die Suche. Vor dem Selbstmord meines Mannes war ich körperlich gesund. Das traumatische Ereignis setzte dann eine Abwärtsspirale in Gang. Es gelang mir nicht, mithilfe von Behandlungen aus dem Bereich der konventionellen Medizin daraus auszubrechen.

      Im Jahr 2011, als ich durch mein tiefstes Tal ging, brachte mich eine aufmerksame Freundin auf die Spur mehrerer wissenschaftlicher Pioniere auf dem Gebiet des Traumas und der Selbstheilung, darunter Candace Pert, Peter Levine, Bessel van der Kolk, Gabor Maté, Stephen Porges, Daniel Siegel, Kelly Turner, Bruce Lipton, Gregg Braden, Joe Dispenza und Amanda Blake. Einige von ihnen veranstalteten in dieser Zeit einen Lesungszyklus mit Workshops in den Niederlanden, an dem ich mit großem Interesse teilnahm. Was sie über Heilung und die Möglichkeiten der Selbstheilung des menschlichen Körpers erzählten, inspirierte mich. Als Psychologin sprach mich besonders der Aspekt an, dass sie alle ihre Theorien in verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen begründeten, darunter Neurowissenschaft, Traumapsychologie, Genetik und Epigenetik, Physik, Quantenphysik und Heilkunde.

      Inzwischen bin ich, unter anderem durch ihre Arbeit, davon überzeugt, dass ein traumatisches Erlebnis erst dann richtig verstanden werden kann, wenn verschiedene Wissensgebiete in den Heilungsprozess integriert werden. Des Weiteren hat sich meine Erkenntnis bestätigt, dass wir nach einer traumatischen Erfahrung lernen können, unseren verwundeten Körper und Geist zu heilen, indem wir uns der Programme bewusst werden, die in Gang gesetzt wurden.

      Nach einem ersten Kennenlernen der Arbeit dieser Wissenschaftler beschloss ich, mich beruflich weiter in diesen neuen Heilungs-Ansatz zu vertiefen und gleichzeitig meinen eigenen, neuen Heilungsweg einzuschlagen. Ich wandte die praktischsten, leicht anwendbaren Methoden und Werkzeuge an, lernte, in Möglichkeiten zu denken und