Nancy Salchow

Der Bastard, mein Herz und ich


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„Und auch nicht um uns. Nein, da habe ich keine Zeit … Nein, Susanna … das hat nichts mit Lügen zu tun. Du wusstest von Anfang an, dass … nun hör mir doch mal zu … es gibt nicht den geringsten Grund, warum du … Susanna!“

      Beim letzten Ausruf ihres Namens zucke ich zusammen.

      Meine Güte, erst diese Tanja im Restaurant, nun dieser Anruf einer gewissen Susanna. Auf wie vielen Hochzeiten tanzt dieser Mann eigentlich?

      Ich schiebe meine Kamera zurück in die Tasche.

      Unbehagen überkommt mich. Noch vor wenigen Augenblicken haben wir nebeneinander im feuchten Sand gesessen und die Möwen beobachtet. Ein stiller Moment, der mir so besonders erschien, dass es beinahe schon unheimlich war.

      Und jetzt? Jetzt telefoniert er mit einer Frau, die sich – wie schon die Frau aus dem Restaurant – scheinbar mehr von ihm erhofft hat, als er zu geben bereit ist.

      Und ausgerechnet ich soll eine Story über ihn schreiben? Eine Story über einen Frauenhelden, wie er im Buche steht?

       Ruhig bleiben, Sina. Ganz ruhig. Du bist beruflich hier.

      Er schiebt das Handy zurück in seine Hosentasche und strahlt mich an, als wäre nichts geschehen – und im Grunde stimmt das ja auch. Was gehen mich schon seine Privatangelegenheiten an?

      „Also?“ Er kommt auf mich zu. „Wo waren wir stehengeblieben?“

      *

       17. Juli 2001

       Mama, Papa,

       ich weiß, ihr seht die Welt im Moment mit anderen Augen als noch vor wenigen Monaten. Und ich weiß, dass das auch der Grund dafür ist, warum ihr Clemens und mich am liebsten rund um die Uhr in eurer Nähe haben möchtet.

       Aber eben diese Nähe ist es, die ich im Moment nicht ertrage.

       Es ist inzwischen vier Monate her und trotzdem vergeht kein einziger Tag, eigentlich nicht mal eine Stunde, in der ich nicht an Jessica denken muss. Ich weiß, wir alle vermissen sie und wir alle quälen uns noch immer ununterbrochen mit der Frage, ob dieses schreckliche Drama hätte verhindert werden können, wenn jemand von uns bei ihr gewesen wäre. Wenn sie nicht allein am Meer gewesen wäre. Wenn …

       Aber es hat keinen Sinn, sich mit diesen Fragen zu quälen.

       Und genau darum geht es. Wenn ich hier bleibe, wo mich alles an sie erinnert, kann ich diesen Fragen einfach nicht entkommen. Ich muss raus aus dieser ständigen Erinnerung an Jessica. Wenigstens für eine Weile. Weg von diesen Schuldgefühlen, die wir alle mit uns herumschleppen.

       Und ihr könnt mir tausendmal sagen, dass ich keine Schuld daran trage. Als ihr großer Bruder habe ich mich für sie verantwortlich gefühlt. Gerade an diesem Tag. Und genau das kann ich vermutlich niemals vergessen.

       Ja, ich werde die Lehre als Hotelfachmann beginnen. Das habe ich euch versprochen, vor allem dir, Papa. Nur ich weiß im Moment einfach noch nicht, wann. Und vor allem auch nicht, wie.

       Ich weiß nur eins: Ich will diese Reise nach Schottland machen. Dass sich mir jetzt die Chance dazu bietet, kann kein Zufall sein.

       Bitte betrachtet es nicht als Wegrennen. Ich komme wieder. Ganz sicher. Nur jetzt, jetzt habe ich das Gefühl, dass mich alles hier erdrückt. Vor allem der Gedanke an Jessica.

       Bitte versucht nicht noch einmal, es mir auszureden. Ich fliege schon am Montag und nichts und niemand kann mich davon abhalten. Ich bin jetzt volljährig – bitte behandelt mich auch so.

       Euer Alwin

      Kapitel 4

      Das Wasser plätschert gegen den Bug des Bootes. Weich und fast lautlos, aber gerade laut genug, damit es mir ein Gefühl wohliger Vertrautheit gibt.

      Ich lehne mich auf der Decke zurück, die ich auf dem Deck ausgebreitet habe, verschränke die Hände unter dem Hinterkopf und schließe die Augen, während die Nachmittagssonne meine Lider kitzelt.

      „Wenn man dich so liegen sieht, könnte man meinen, du hättest für den Rest des Tages frei.”

      Ich nehme Sanjos Stimme nur unterschwellig wahr. Auch ohne die Augen zu öffnen, weiß ich, dass er sich auf seinen Lieblingsliegestuhl gesetzt hat, der direkt neben meiner Decke steht. In der Hand ein Feierabendbier, das er sich gerade nach einem langen Tag hinter dem Schreibtisch genehmigt.

      „Heute viel los im Architekturbüro?”, frage ich.

      „Lenk nicht ab!”

      „Ich wusste nicht, dass ich ablenke.” Meine Augen sind noch immer geschlossen. „Und wenn ja, wovon lenke ich ab?”

      „Na, von meiner Feststellung, dass du hier herumliegst, als hättest du bereits Feierabend.”

      „Mensch, Sanjo. Krieg dich wieder ein. Es ist einfach nur eine Story wie jede andere auch. Er hatte einen wichtigen privaten Termin, das ist alles, was ich weiß. Deswegen musste er kurzfristig weg. Wir treffen uns heute Abend noch mal für ein paar Fotos während des Abendessens auf der Hotelterrasse. Atmosphäre unter den Gästen einfangen und so ... du weißt schon.” Ich schiebe mich auf meinen Ellenbogen ein Stück aufrecht und schaue ihn über den Rand meiner Sonnenbrille an. „Sag mal, wo ist eigentlich Astrid? Die habe ich bestimmt schon zwei Wochen nicht mehr gesehen.”

      „Astrid ... ach das … wir sehen uns im Moment nicht, weißt du?“

      „Nur im Moment nicht?“

      „Ach, sie fing an, unseren kompletten Tag zu verplanen. Schon am Sonntag mussten alle Aktivitäten der gesamten kommenden Woche festgelegt werden. Spontaneität war praktisch unmöglich.“

      „Also auch mit Astrid wieder kein Glück.“

      „Was heißt hier auch wieder kein Glück? Wir waren einfach nicht kompatibel. So ist das Leben.“

      „Da hast du schon ein eigenes Boot und es taugt doch nicht als dauerhafter Frauenmagnet. Oder bist du in Wahrheit etwa auch ein Kerl der Gattung Alwin Teschner?“

      „Wie bitte?”

      „Das war ein Scherz, Bruderherz. Glaub mir, du bist nicht mit ihm zu vergleichen. Du hast vielleicht nicht so viel Glück mit Frauen, aber deine Absichten sind wenigstens immer ehrenhaft. Ganz im Gegensatz zu Playboy Teschner.“

      „Wie darf ich das verstehen?“

      „Na ja, der Gute scheint es einfach nicht allzu lang bei einer Frau auszuhalten.“ Ich greife nach meiner Limonade, die auf dem Boden neben der Decke steht und schiebe den Strohhalm zwischen meine Lippen.

      „Wieso?“ Sanjo wird neugierig. „Hat er dir das einfach so erzählt?“

      „Das musste er gar nicht. Ich habe unfreiwillig eine sehr peinliche Szene im Restaurant und ein Telefonat mitbekommen – und in beide Vorfälle war eine jeweils andere Frau mit hysterischer Stimme verwickelt. Erst eine Tanja, dann eine Susanna. Und später in seinem Büro“, ich stelle meine Limonade ab und lehne mich auf der Decke zurück, „hatte er noch einen Anruf, wegen dem er plötzlich ganz dringend weg musste. Und ich habe ganz deutlich gehört, dass auch da eine Frau am anderen Ende der Leitung war. Ich glaube, er hat sie Stefanie genannt.“

      „Ziemlich beschäftigt, der Gute.“

      „Ich finde so etwas abartig.“ Seufzend schließe ich die Augen. „Nur weil er halbwegs ansehnlich ist und ein erfolgreicher Geschäftsmann, muss er die Frauen doch nicht behandeln wie austauschbare Barbies. Ich kann es kaum erwarten, bis ich die Reportage fertig habe. Heute Abend noch ein paar Fotos, morgen der Rest – und das war’s dann.“

      „Denk an das Geld“, sagt Sanjo. „Immer nur an das