Nancy Salchow

Der Bastard, mein Herz und ich


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er in seinem Privatleben treibt?“

      „Eben.“

      Wir verfallen in ein wohliges Schweigen, sodass sich das Plätschern des Wassers am Rumpf des Bootes erneut in mein Bewusstsein drängt.

      Der Kirchdorfer Hafen, so bunt das Treiben hier auch für gewöhnlich ist, hüllt sich an diesem späten Nachmittag in eine angenehme Stille. Eine Stille, die jedoch einer Frage, die in mir brennt, umso mehr Raum zum Wachsen gibt: Warum, zum Teufel, mache ich mir Gedanken darüber, dass ein augenscheinlich so sensibler und tiefgründiger Mann wie Alwin Teschner so wenig Respekt vor dem anderen Geschlecht hat? Und wie passen die melancholischen und nachdenklichen Aussagen, die er am Strand von sich gegeben hat, zu dem Bild, das ich mittlerweile von ihm habe? Dem Bild eines Weiberhelden, der Frauen wie heiße Kartoffeln fallen lässt, sobald sie ihm lästig werden?

       Denk an das Geld. Immer nur an das Geld. Der Rest ist egal.

      „Woran denkst du?“, fragt Sanjo.

      „An das Geld“, antworte ich. „Nur an das Geld.“

      *

      Als ich die Hotelterrasse betrete, bin ich überrascht, nicht nur speisende, sondern auch tanzende Hotelgäste vorzufinden.

      Die Ostsee im Hintergrund als idyllisches Panorama. Der weiche Schein der Laternen, in dessen Licht die Wangen der Gäste weich und geheimnisvoll schimmern.

      Hier der Ärmel eines weiten Leinenhemdes, dort der fließende Stoff eines lavendelfarbenen Sommerkleides. Das gelbgraue Gewebe der Überdachung, das im milden Ostseewind flattert.

      Instinktiv wandert meine Hand zu der Kamera in meiner Tasche, doch anstatt sie auszupacken, verharren meine Finger auf dem Leder.

      „Frau Ritter, da sind Sie ja wieder.“ Er kommt aus dem Inneren des Restaurants direkt auf mich zu.

      „Herr Teschner.“ Ich stehe in der Mitte der Terrasse, während die besinnlichen Klänge von „Have You Ever Really Loved A Woman“ in der Luft schweben.

      Das Lächeln, mit dem er auf mich zukommt, ist so weich und sanft, dass mich ein kurzer Ruck durchfährt.

      Ob es dieselbe Art und Weise ist, wie er alle Frauen ansieht, bevor sie sich auf ihn einlassen? Meine Güte, so gut sieht er doch nun auch wieder nicht aus!

      Aber warum fällt es mir dann so schwer, einen Frauenhelden in ihm zu sehen, wenn er mich auf diese Weise anschaut? Sein Charme wirkt weder berechnend noch übertrieben, seine Augen aufrichtig und voller Wärme.

      Er legt seine Hände seitlich an meine Schultern, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen.

      „Auf Sie habe ich gewartet“, sagt er.

      „Auf mich?“

      Er nickt. „Sie sprachen vom Einfangen der abendlichen Atmosphäre auf der Hotelterrasse. Und hier vergeht kein Sommerabend, an dem nicht getanzt wird. Und genau deshalb“, er nimmt mir meine Kameratasche ab und stellt sie auf einen unbesetzten Stuhl, „ist es wichtig, dass Sie diese Atmosphäre am eigenen Leib spüren, um wirklich wahrheitsgetreu darüber schreiben zu können.“

      Ehe ich etwas entgegnen kann, spüre ich seine Hand an meiner Taille und meine Finger in seinen.

      Mit achtsamen Schritten beginnt er, mit mir zu tanzen. Langsam und bedächtig, aber äußerst sicher in seinen Bewegungen führt er mich durch den Rhythmus der Musik.

      „Glauben Sie mir“, beginne ich unsicher, „ich bin wirklich eine ganz grauenvolle Tänzerin.“

      „Blödsinn. Sie machen das wunderbar.“

      Unser Tanz ist vielmehr ein Wiegen. Sanft und besonnen, als würden wir nur dastehen und einander umarmen.

      Ich spüre seine warme Wange an meiner, während mein Blick ungewollt zu seinem offenen Hemdkragen wandert.

       Was tue ich hier eigentlich? Ich will einen Artikel schreiben und Fotos machen – und nicht tanzen.

      „Herr Teschner“, ich löse mich aus seiner Berührung, „eigentlich wollte ich …“

      Doch er zieht mich sanft, aber mit Nachdruck, wieder an sich heran.

      „Noch ist das Lied nicht zu Ende“, sagt er. „Nur noch ein paar Takte. Sie müssen mir versprechen, die Augen zu schließen und sich ganz auf die Atmosphäre einzulassen. Ich möchte wirklich, dass sie diesen Ort so kennenlernen, wie es auch die Gäste tun.“

      „Aber ich …“

      „Tun Sie mir den Gefallen?“

       Nur noch ein paar Schritte. Nur noch ein paar Klänge.

      Sein Gesicht ist so nah neben meinem, dass ich einen Hauch von Rotwein in seinem Atem wahrnehme.

      Ich sträube mich innerlich dagegen, trotzdem spüre ich, wie mich der Rhythmus gefangen nimmt. Nicht nur der Rhythmus der Musik, nein, vielmehr ist es der Rhythmus zwischen uns beiden, der mich nicht loslässt.

      Nur unterschwellig nehme ich das Rauschen des Meeres in der Ferne wahr, das so vertraut ist und doch in diesem Moment etwas seltsam Geheimnisvolles in sich trägt. Fast so, als wäre es darum bemüht, dem Augenblick eine mystische Note zu geben.

       Kämpf dagegen an, Sina. Du hast keine Zeit für Melancholie.

      „Ich wollte Sie eigentlich fragen“, beginne ich schließlich, „ob ich eines der Zimmer – am besten Ihr schönstes – bei Sonnenuntergang fotografieren dürfte. Das abendliche Ostseepanorama, das von drinnen durch das Fenster zu sehen ist, Sie wissen schon. Es geht ja nicht nur um Sie, sondern auch um das Hotel in meinem Artikel.“

      „Sicher. Was auch immer Sie wollen.”

      Doch während er das sagt, macht er keinerlei Anstalten, mit dem Tanzen aufzuhören. Nichts scheint ihm wichtiger zu sein, als sich hier und jetzt zu genau diesem Lied zu bewegen.

      „Und was, wenn ich Sie bitten würde, dass wir das jetzt erledigen?”, frage ich über seine Schulter hinweg.

      „Das Lied ist zu kitschig, ich weiß.”

      „Das meinte ich nicht.”

      Er bleibt stehen. „Was ist es dann?”

      „Nichts. Ich würde einfach nur wahnsinnig gern meine Arbeit erledigen, Herr Teschner. Immerhin bin ich ja deswegen hier.”

      Seufzend lässt er die Arme sinken. „Dann hoffe ich, dass es Ihnen trotzdem gelingen wird, die Atmosphäre des Hotels zu spüren und auch zu übermitteln.”

      „Keine Sorge, das schaffe ich auch ohne Bryan Adams.”

      Kapitel 5

      Es ist der perfekte Ausblick. Perfekt für frisch vermählte Brautpaare, für die diese Suite eigentlich bestimmt ist. Und perfekt für ein Foto.

      Die hauchdünnen Vorhänge, die an den Seiten des wandbreiten Fensters zurückgebunden sind, lassen das zarte Violett der untergehenden Sonne nur erahnen, doch durch das freigelegte Fensterglas in der Mitte bietet sich mir ein unverstellter Blick auf das Meer.

      „Es ist einfach ...”, ich lasse meine Hand mit der Kamera sinken, „... wunderschön.”

      „Was habe ich Ihnen gesagt?”

      Er schließt die Tür hinter mir und kommt zu mir ans Fenster.

      „Von hier aus hat man die beste Sicht auf das Meer”, sagt er. „Frei und unverstellt.”

      „Sie haben nicht zu viel versprochen.” Ich hebe meine Kamera und beginne zu fotografieren.

      „Genau deshalb ist dies hier auch die Hochzeitssuite”, antwortet er. „Nirgends kommt die besondere Atmosphäre der Umgebung so zur Geltung wie hier.”

      Während