Luisa Sturm

Ein ganzes Ja


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      Auf einmal werde ernst und drehe seinen Kopf zu mir. „Ich liebe dich und ich werde dich immer unterstützen. Aber für mich ist es nicht wichtig, dass du Pilot wirst, du könntest auch etwas anderes machen. Schornsteinfeger, Banker oder Koch. Ich würde alles toll finden!“

      „Du bist ganz schön anspruchslos“, neckt er mich.

      Ich bin nicht mehr in der Stimmung für Scherze, stehe auf und tigere unruhig durchs Zimmer. „Mit deiner Fliegerei bist du so viel unterwegs und ich bleibe allein zurück. Jetzt waren es zwei Monate Arizona, aber bald bist du wieder weg und ich werde dich wieder vermissen. Ich bin so oft allein. Ich werde mich nie daran gewöhnen.“

      „Fliegen ist mir wichtig, aber du bist mir wichtiger. Das musst du mir glauben. Meine Liebe zu dir ist viel stärker als mein Wunsch zu fliegen.“

      „Ich will ja nicht, dass du deinen Traum für mich aufgibst. Es ist nur schwer für mich. Du gehst und ich mache mir Sorgen.“

      „Dass ich was mit einer anderen anfangen würde?“

      „Nein, du Idiot! Dass dir etwas passieren könnte. Jeden Tag stürzen Flugzeuge ab. Warum verstehst du das nicht?“ Jedes Mal, wenn er wieder geht, habe ich Angst um ihn. Genervt davon, dass er meine Sorgen nicht teilt, drehe ich mich zu seinem großen Bücherregal und fange an, wahllos Bücher herauszunehmen und wieder einzusortieren, ohne auf die Titel zu achten.

      Erik steht vom Sofa auf, stellt sich hinter mich, drückt seinen Körper sanft an mich und haucht einen Kuss auf meinen Nacken. „Mir kann gar nichts passieren. Ich trage doch immer deinen ‚Glücksbringerbrief’ in der linken Brusttasche von meinem Fliegerkombi.“

      „Den Brief, den ich dir zu deinem allerersten Flug geschrieben habe?“

      „Ja, genau den. Es ist nur ein Stück Papier mit Worten … deinen Worten. Ich weiß nicht warum, aber er gibt mir Sicherheit.“

      Jetzt drehe ich mich zu ihm herum. Mit meinen Fingern berühre ich seinen Nacken.

      „Du siehst gut aus in deinem Fliegerkombi“, bemerke ich und denke an das Bild, das ich von seinem ersten Soloflug auf meinem Schreibtisch stehen habe. Es hat den Moment festgehalten, als er die Hand seines Fluglehrers schüttelt und übers ganze Gesicht strahlt.

      „Du sähest viel besser darin aus.“ Er überlegt kurz. „Zieh dich aus.“

      „Was?“

      „Zieh dich aus, Becca!“

      „Ist das ein Befehl?“

      „Ja, ein klitzekleiner. Und mein Dienstgrad ist höher als deiner. Also, los!“

      Bitte! Ich habe gar keinen Dienstgrad, Witzbold! Unschlüssig ziehe ich mich bis auf die Unterwäsche aus und hoffe, dass Eriks Papa nicht ins Zimmer kommt. Er hat ein Talent dafür, in den unmöglichsten Augenblicken im Türrahmen zu stehen.

      Erik hält mir einen grauen Ganzkörperanzug mit runden Fliegerpatches hin.

      Nach kurzem Zögern schlüpfe ich hinein. Die Ärmel hängen mir weit über die Handgelenke. Ich muss lustig aussehen. Wie ein Kind in einem Riesenoverall.

      Erik strahlt mich an. „Das sieht so süß aus! Der Kombi steht dir echt gut. Schade, dass Frauen keine Jets fliegen dürfen. Ich muss ein Foto von dir machen. Das klebe ich an meinen Spind. Die anderen Jungs werden mich beneiden.“ Erik saust davon und kommt mit einer Kamera bewaffnet zurück. Schnell schießt er ein paar Bilder von mir und ich stelle mich schüchtern lächelnd in Pose.

      Während Erik die Kamera wegbringt, lasse ich gedankenverloren meine Hand wieder über die Buchrücken gleiten. Plötzlich rutscht ein Buch nach vorne und reißt einige Taschenbücher mit sich. Dazwischen liegt ein Brief.

      Er ist nicht von mir. Ich hebe ihn auf. Er ist an Erik adressiert. Auf einmal klopft mein Herz stärker. Eine hässliche Angst lässt meine Hände zittern. Der Poststempel ist von August 1991. Ich drehe den Brief um. Absender: Svea Walzmann aus Lollar. Der Brief ist aus Hessen? Erik war vor drei Jahren zur Ferienarbeit dort. Svea? Wer ist Svea? Mein Magen zieht sich zusammen. Ein Brief von einem anderen Mädchen an meinen Freund? Es muss nichts bedeuten. Rein gar nichts. Vielleicht nur eine Bekannte oder eine Schulfreundin. Aber er hat mir nichts von einer Svea erzählt … Ich sollte den Brief einfach wieder zwischen die Bücher stecken. Mir ist ganz komisch und mir wird heiß. Eine hässliche Hitze überzieht meinen Körper. Ich kann nicht anders. Ich muss ihn öffnen. Ich nehme den Zettel heraus und stecke ihn sofort wieder zurück. Lass das, Becca! Man liest keine fremde Post. Erik würde dich nie betrügen. Doch meine Hand übernimmt das Kommando und überstimmt mein Herz. Nervös und wohl wissend einen Fehler zu machen, falte ich die Blätter auf und beginne zu lesen:

      Lieber Erik,

      nun bist Du schon seit zwei Wochen fort und ich kann Dich nicht vergessen. Ich denke jeden Tag an Dich. Am liebsten würde ich mich in den Zug setzen und Dich besuchen. Es war wunderbar, Dich kennenlernen zu dürfen. Der Abend mit Dir war wunderschön. Unvergesslich schön. Weißt Du noch, wie wir über den Jahrmarkt gelaufen sind? Und all die Lichter des Riesenrads! Schade, dass Du so weit weg wohnst und eine Freundin hast. Ich muss immer wieder daran denken, wie wir … na ja, du weißt schon. Vielleicht könntest Du …

      Mein Herz rast. Tränen tropfen auf die handschriftlichen Zeilen, die mit blauer Tinte geschrieben sind und nun verschmieren. Ich kann nicht weiterlesen. Mir ist auf einmal schwindlig. Ich halte mich am Bücherregal fest. Einige Bücher fallen heraus. Ich hebe sie nicht auf.

      Dann steht Erik vor mir. Er sieht mich bittend an und sagt: „Du musst ihn zu Ende lesen.“

      Mehr nicht? Mehr hat er nicht zu sagen? Billes Worte hallen in meinem Gedächtnis wider: „Erik ist wirklich toll, aber keines der Mädchen konnte ihn auf Dauer halten. Er ist ein Sunnyboy und ich glaube, er hat es bisher nie ernst gemeint. Er meint es noch nicht mal böse, er ist einfach so.“

      Ich muss weg von hier! Ich renne zur Tür und falle hin. Erik fängt mich auf und ich spüre den festen Griff um meinen Körper. „Bitte, Becca. Es ist nicht so, wie du denkst. Hast du den ganzen Brief gelesen?“ Er hält mich mit beiden Armen fest und lässt mich nicht los. Sein Blick strahlt unendliche Hilflosigkeit aus.

      „Ich habe genug gelesen. Lass mich los! Du hast was mit einem anderen Mädchen gehabt und es mir die ganze Zeit verschwiegen!“

      „Nein, das habe ich nicht. Das würde ich nie tun!“

      „Was ist dann mit dieser … dieser Svea? Was für ein Scheißname!“

      „Nichts. Ich wusste, du würdest so reagieren, deshalb habe ich dir nichts erzählt.“

      „Was? Geht das schon länger?“

      „Nein!“, schreit er.

      „Lüg mich nicht an!“, brülle ich.

      Ich will mich losreißen, aber er hält mich immer noch fest. „Bitte, Becca! Du verstehst das völlig falsch.“

      „Dann erkläre es mir?“

      „Ich habe sie vor drei Jahren, als ich zu Ferienarbeiten in Lollar war, kennengelernt und wir haben uns gut verstanden. Sie hat sich in mich verliebt. Aber ich mich nicht in sie!“

      Ich versuche immer noch, mich freizukämpfen, aber Eriks Arme umschlingen mich wie ein Schraubstock. „Und deshalb gehst du gleich mit ihr aus?“, würge ich hervor.

      „Ja“, antwortet er knapp.

      „Auf einen Jahrmarkt? Wie romantisch!“

      Er schweigt hilflos.

      „Hast du sie geküsst?“

      „Ja.“

      Ich schnappe nach Luft und versuche meine Atmung zu kontrollieren.

      „Du hast ein anderes Mädchen geküsst? Schon vor drei Jahren! Wie konntest du das tun?“ Bäche von