Luisa Sturm

Ein ganzes Ja


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habe noch nie etwas so modern gefunden wie das“, flüstert er zurück und küsst mich verlangend und viel zu wild. Was für ein herrliches Gefühl! Meine Hände lässt er nicht mehr los.

      „Lass mich bitte los“, bettele ich gespielt.

      „Niemals. Jetzt gehörst du mir.“ Sein Gesicht spricht tausend süße Bände und schon wieder klappert der Spind laut und metallisch. „Versprich mir aber, dass du später noch Französisch lernst, schließlich ist das dein Leistungskurs“, haucht er in meinen Hals.

      „Schön, dass Sie sich so um mich sorgen, Herr Sonnberg“, wispere ich zurück.

      „Immer, Frau Santini, ich sorge mich immer um Sie.“

      „Erik, was sind AWACS?“

      Auf seinem Schreibtisch türmen sich hohe, unstrukturierte Papierstapel und unzählige graue Leitz-Ordner. Ein Stoß würde alles in sich zusammenfallen lassen. Ganz oben liegt ein handschriftlicher Zettel auf kariertem Papier mit dem Titel „AWACS“.

      „Ich muss morgen über die Flugzeuge der Luftwaffe ein Referat halten. Mein Thema sind AWACS. Eine Folie brauche ich auch.“

      „Du hast meine Frage nicht beantwortet“, beschwere ich mich grinsend und wickele Haarsträhnen mit meinem Zeigefinger auf.

      Der Kuss war Wahnsinn gewesen und ich weiß, ich werde mich noch lange daran erinnern. Erik liegt auf seinem Bett und sieht mich an. Wir haben das Zimmer wieder aufgesperrt, es ist schließlich ein Zweierzimmer und sein Zimmergenosse Axel könnte jeden Augenblick wiederkommen. Die beiden kennen sich schon von der Grundausbildung in Roth und sind inzwischen dicke Freunde geworden. Axel ist ein sehr ruhiger Typ, aber mit einem trockeneren Humor als Woody Allen. Er kann den ganzen Abend kaum fünf Sätze sprechen, aber wenn er etwas sagt, dann hat es Hand und Fuß. Sein Gesicht strahlt innere Ruhe und Wärme aus, während sein Verstand messerscharfe Bemerkungen hervorbringt.

      „AWACS sind Aufklärungsflugzeuge. Die Abkürzung steht für Air Warning And Control System. Warum?“ Er zieht mich zu sich hinunter und küsst mich noch einmal.

      Ich löse mich widerwillig. „So, Erik Sonnberg! Jetzt gehorchen Sie mir. Stehen Sie auf! Stramm stehen. Schneller!“

      Zögernd steht er auf, sieht fragend auf mich herab und tätschelt meinen Po.

      „Na, na, na, was sind denn das für Manieren, Flieger Sonnberg? Wo bleibt der militärische Gruß?“

      Spaßeshalber salutiert Erik kurz vor mir, nimmt die Hand wieder herunter und berührt zärtlich meinen Bauch.

      „Unterdrücken Sie Ihre niederen Triebe! Wir haben etwas Höheres vor. Wir machen Ihr Referat zusammen. Sie arbeiten sich in die Thematik von AWACS ein und ich mache die Folie mit einer großen Maschine drauf. Los, los, keine Müdigkeit vorschützen!“

      Wir setzen uns gemeinsam vor den Papierberg und fangen an zu arbeiten. Dann hält Erik auf einmal inne, nimmt meine Hand und sagt: „Becca, du bist toll!“

      Ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus und alles fühlt sich richtig an.

      „Du auch“, flüstere ich zurück. Ich schiebe die fertige Folie zur Seite und lege den Stift hin. Wow, die Maschine ist echt gut geworden. Überrascht über meine zeichnerischen Fähigkeiten bezüglich militärischer Flugzeuge, halte ich die Folie in die Luft. Erik bewundert sie und beobachtet mich liebevoll, als ich ihm die einzelnen Details zeige.

      Mir fällt etwas Wichtiges ein. „Erik? Am Freitagabend bin ich nicht da. Bille und ich wollen ins Enchilada nach Augsburg.“

      „Das geht nicht. Da gehen wir zusammen ins Kino. Wir wollten einen Actionfilm anschauen, Malcom X.“

      „Oh, das habe ich völlig vergessen. Können wir das mit dem Kino nicht verschieben?“

      „Ich sehe dich die ganze Woche nicht und dann willst du am Freitagabend ohne mich weggehen?“

      „Können wir nicht am Samstag ins Kino gehen?“

      „Nein!“, schnaubt er.

      „Willst du mir das etwa verbieten?“ Meine Stimme wird auf einmal lauter.

      Erik seufzt tief. „Es ist deine Entscheidung.“

      „Aber du siehst mich so an, als ob ich etwas verbrochen hätte“, werfe ich genervt ein.

      „Hast du das denn vor, etwas verbrechen?“ Er sieht mich kritisch an.

      „Verdammt noch mal. Wir wollen nur einen Mädchenabend machen!“, schreie ich schrill. Seine dämliche Anspielung macht mich rasend.

      „Dann ist ja alles gut.“

      „Nein, nichts ist gut. Du bist sauer auf mich.“

      „Du bist diejenige, die herumschreit“, entgegnet Erik ruhig.

      Wie kann er nur so beherrscht bleiben und mir das Gefühl geben, etwas falsch zu machen? Er ist wirklich unglaublich! Wütend stehe ich vom Schreibtisch auf und stoße ihn heftig zur Seite. Erik lässt es geschehen.

      „Immer soll ich machen, was du willst!“, schleudere ich ihm entgegen.

      „Ich würde mich sehr freuen, dich am Freitag zu sehen. Wenn du das nicht willst, ist das deine Sache“, bemerkt er gespielt gelassen.

      „Ich will dich doch auch sehen.“

      „Anscheinend nicht.“

      Langsam platzt mir der Kragen. „Wieso bin ich überhaupt hierher gefahren?“

      „Das frage ich mich langsam auch. Vielleicht wärst du besser nicht gekommen.“

      „Du bist so ein Idiot, Erik Sonnberg!“

      Gerade, als er etwas antworten möchte, geht die Stubentür auf und sein Kamerad Axel Sommer kommt herein. Er schenkt uns beiden ein verblüfftes, aber breites Lächeln.

      Ich mag Axel sehr, nur leider ist er in einem äußerst ungünstigen Augenblick aufgetaucht. Ich packe meine Handtasche mit einem schnellen Griff und stehe abrupt auf. „Die Folie über die AWACS ist fertig. Den Rest kannst du allein machen!“ Dann nicke ich kurz in Axels Richtung, rausche zur Tür, knalle sie laut hinter mir zu – wohl wissend, dass Erik das hasst - und stürze den Gang hinaus.

      Ich höre Schritte hinter mir und Eriks Stimme: „Becca, bitte bleib stehen. Es tut mir leid! Ich möchte nicht, dass du gehst. Bitte!“

      Ich wirbele herum und schaue in sein trauriges, besorgtes Gesicht. Seine Augen flehen mich an, nicht weiter zu laufen. Für einen Moment vergesse ich, dass ich total wütend bin. „Bitte, Kleine. Natürlich kannst du einen Mädchenabend machen. Ich war bescheuert! Verzeih mir. Vielleicht bin ich einfach viel zu viel mit Soldaten zusammen? Coole Sprüche, hartes Rumgetue, Befehl und Gehorsam, der ganze blöde Testosteron-Bundeswehrscheiß, du weißt schon.“

      Ich sehe zu ihm auf und erkenne den Anflug eines reumütigen Lächelns in seinen Augenwinkeln.

      „Erik Sonnberg. Wenn ich dich nicht so verdammt lieben würde, dann …“

      Im Bruchteil einer Sekunde drückt er mich gegen die Wand und küsst mich sanft auf dem Mund. Unsere Lippen berühren sich kitzelnd und fordernd und tausendfach Funken sprühend. Unfähig unseren Kuss zu beenden, lasse ich es zu, dass er meine Hände über meinem Kopf in seine nimmt und nun fester und leidenschaftlicher gegen die Wand drückt. Fast verzweifelt schmiegt er seinen Kopf in meine Halsbeuge und atmet ‚mich’ in tiefen Zügen immer wieder ein.

      Juni 1993

      Mir ist unendlich kalt! Es schüttet wie aus Kübeln. Ich habe mal wieder den blöden Bus verpasst und laufe jetzt nach Hause. Dass diese doofen Schulbusse auch immer auf die Sekunde genau abfahren müssen! Bis nach Hilberg brauche ich mindestens eine Dreiviertelstunde zu Fuß. Allein der Gedanke an diesen Fußmarsch lässt mich innerlich aufstöhnen. Natürlich habe ich