Luisa Sturm

Ein ganzes Ja


Скачать книгу

rechte ganz locker in der Hosentasche.

      „Und wie läuft’ s?“

      „Wieder ein Scheißtag – ohne dich! Gestern hatten wir Geländetag, das heißt, den ganzen Tag auf den Füßen und mit dem schweren Gepäck marschieren: Rucksack, Essbesteck, Essgeschirr, ABC-Tasche, Helm, Spaten, 4 Magazine und G3. Wir armen Schweine mussten natürlich gleich 20 km zum Eingewöhnen laufen, während die normalen W12er nur 7-8 km unterwegs waren.“

      „Ganz schön gemein. Das wäre die Hölle für mich!“

      „Nicht nur für dich. Ich habe an beiden Fersen Blasen. Jeder hier, der herumläuft, humpelt irgendwie, hinkt, stöhnt, jammert und geht wie auf Eiern. Die blöden Stiefel sind so unbequem.“

      „Oh je, du tust mir so leid. Das klingt echt hart.“

      „Heute steht auf dem Dienstplan auch noch ‚Dauerlauftraining bzw. 5000 m-Lauf’, aber ich glaube das müssen die wieder streichen, da keiner richtig laufen kann.“

      „Das musst du alles in deiner Grundausbildung machen?“

      „Sieht so aus.“ Er seufzt. „Ach, Becca, ich möchte dich so gerne spüren, dich halten, riechen, küssen und schmecken, dir den Rücken massieren, dich streicheln und dir leise und zärtlich ins Ohr flüstern, wie sehr ich dich ...“

      „Ich vermisse dich auch sehr“, unterbreche ich ihn. „Es ist komisch, dich nur noch am Wochenende zu sehen. Dafür habe ich dein Soldatenbild immer in meinen Geldbeutel dabei.“

      „Echt?“

      „Ja.“ Ich lächele. Ich mag die kleine, schwarz-weiße Fotografie, auf der er so ernst schauen musste.

      „Oh Becca, ich muss Schluss machen, die anderen schauen schon ganz ungeduldig.“

      „Na gut. Ach ja, und danke.“

      „Wofür?“, fragt er ahnungslos.

      „Dafür, dass du mit mir vier Stunden Integrale für diese blöde Matheklausur gerechnet hast.“

      „Gern geschehen. Mathe ist wichtig.“

      „Ist es nicht!“

      „Doch. Der Lehrer fragt: Becca, wie viel ist vier und vier? Becca: Acht. Richtig, zur Belohnung bekommst du acht Bonbons von mir. Wenn ich das gewusst hätte, entgegnet Becca, hätte ich hundert gesagt!”

      „Hahaha, sehr lustig“, antworte ich kichernd und gespielt beleidigt. „Kreativer Mathewitz, Herr Sonnberg. Sie waren übrigens ein strenger Mathelehrer! Viel schlimmer als mein Grundkursleiter. Und vor dem haben alle Mädchen Angst.“

      Er lacht kurz: „Ich dachte, meine Schülerin brauchte das so. Sie war am Anfang recht begriffsstutzig.“

      „Pfff!“ Ich und begriffsstutzig! „Nur weil ich wissen wollte, wofür man diese vermaledeiten Nullstellen überhaupt ausrechnen muss!“ Gut OK, ich habe für die Infinitesimalrechnung stolze 14 Punkte bekommen, eindeutig Eriks Verdienst.

      „Becca?“, sagt er nun leise. „Ich möchte dich an meiner Seite haben. Immer.“

      „Ich bin doch immer an deiner Seite. Auch jetzt. Und so oft in Gedanken.“

      „Das ist schön. Wenn ich am Wochenende wieder da bin, koche ich uns was Leckeres. Lass dich überraschen. Ich muss jetzt auflegen. Die anderen Jungs hier killen mich schon mit Blicken.“

      „Na gut, wenn’s sein muss. Ich freue mich auch aufs Wochenende. Du kochst so lecker! Wenn du nicht Pilot werden würdest, müsstest du Koch werden.“

      Er lacht laut auf und ich muss sofort mitlachen. Sein Lachen ist unverkennbar und ansteckend. Er kann gar nicht mehr aufhören.

      „Was hast du denn?“

      „Ich habe mir gerade vorgestellt“, beginnt er, „wie ich mit Schürze und Kochmütze aussehen würde.“

      Jetzt müssen wir wieder beide lachen und mir kommen schon fast die Tränen.

      „Becca, ich muss wirklich Schluss machen. Die anderen haben gerade angedeutet, mich gnadenlos an die Wand zu tackern, wenn ich nicht sofort auflege. Bis zum Wochenende, meine Süße. Ich vermisse dich abartig.“

      Wir legen auf. Es war herrlich, seine Stimme und sein einzigartiges Lachen zu hören. Nur jetzt fühle ich mich schrecklich allein, ohne ihn.

      Aber hatte er nicht schon immer gesagt, er ginge zur Luftwaffe und würde Jets fliegen? Erik - mit dem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht, das Schiffchen auf dem Kopf, breite, sportliche Schultern in Uniform, das passt einfach zu ihm. Gäbe es im Duden neben jedem Begriff ein Bild, müsste sein Foto neben dem Wort ‚Pilot’ stehen.

      Trotzdem habe ich Angst. Die Bundeswehr und sein Traum – ich befürchte, sie trennen uns!

      März 1993

      Freiheit! Die große Freiheit! Endlich! Seit einem Monat habe ich meinen Führerschein. Es ist früher Abend und die Sonne wagt schon einen vorsichtigen Ausflug über die Felder. Ich düse durch Kaltenberg, drehe das Radio auf volle Lautstärke und Haddaway und ich singen in Dauerschleife ‚What is love?‘ Dann nehme ich die Ausfahrt Fürstenfeldbruck/Fliegerhorst und wenig später stehe ich mit dem braunen Wagen meiner Eltern vor der Kaserne. Der Schlagbaum ist unten und überall stehen Männer in Uniform. Ein kleines Wachhäuschen gibt es auch.

      Ich gebe brav meinen Personalausweis an der Pforte ab und der Mann erfährt von mir, wen ich besuchen will. Er notiert sich meinen und Eriks Namen und beschreibt mir den Weg zu seiner Stube. Bereits am Schlagbaum merke ich, dass ich offen angestarrt werde. Überall drehen sich die Köpfe der Männer nach mir um, als ich langsam vorbeifahre. Eine völlig andere Welt ist das hier.

      Ich fühle mich unwohl dabei, so direkt angegafft zu werden. Aber Hauptsache, ich kann Erik überraschen. Der denkt nämlich, ich muss für die Französischklausur lernen. Müsste ich auch, aber mache ich später. Pardon Monsieur Bachmann, aber die Liebe geht vor! Das Kasernengelände ist riesig, eine kleine Stadt umgeben von Zäunen. So groß hatte ich mir das gar nicht vorgestellt. Als ich vor dem großen, grauen Gebäude aussteige und versuche, die Stubennummer nicht zu vergessen, laufen ein Hauptmann und ein Oberstleutnant lächelnd an mir vorbei und tippen sich dabei kurz an ihre Kopfbedeckung. Ich habe die Dienstgrade auswendig gelernt und Erik damit eine Riesenfreude gemacht. Überrascht als Zivilist so offiziell begrüßt zu werden, laufe ich weiter und gehe durch die Eingangstür. Ein paar dunkle Gänge, Stubennummern und Treppenstufen später stehe ich endlich vor der richtigen Tür. Ich klopfe drei Mal.

      „Becca?“ Erik schaut verdutzt und überglücklich zugleich. „Was für eine wunderschöne Überraschung! Ich dachte, du hättest keine Zeit? Müsstest du nicht Französisch lernen?“

      „Ich hatte Sehnsucht nach dir.“

      Erik zieht mich in seine Stube und küsst überschwänglich meinen Nacken. Gleichzeitig dreht er den Schlüssel im Schloss um.

      „Du sperrst ab?“

      „Tja, Becca Santini, warum auch immer Sie doch Zeit haben, Sie sind jetzt meine Gefangene und müssen mir vollends zu Willen sein.“ Seine Hände wandern zu meiner Taille.

      Ich steige in das Spiel ein. „Was habe ich denn verbrochen?“

      „Oh, da fällt mir viel ein. Sie sind stur, unpünktlich, ein Morgenmuffel dazu, rechthaberisch ohne Ende, Sie machen immer das, was Sie wollen, Sie gehorchen mir überhaupt nicht und …“

      „Dir gehorchen? Warum sollte ich?“, kontere ich lachend und versuche, mich aus seinem festen Griff zu winden.

      „Die Frau muss dem Manne untertan sein.“ Er drückt mich plötzlich und heftig gegen seinen Spind. Ein metallenes Klappern ertönt. Meine Hände hält er verschlungen