Luisa Sturm

Ein ganzes Ja


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tut mir leid. Mein Vater hat das bestimmt nicht so gemeint. Er ist eben manchmal ein Holzklotz, aber er ist sonst wirklich in Ordnung.“

      Auf einmal fange ich an zu weinen. „Doch, er hat es so gemeint! Jetzt denkt er, wir haben es getan. Das ist schrecklich peinlich. Was, wenn er es meiner Mutter erzählt? Oder, noch schlimmer, meinem Vater?“

      Erik springt mit einem Satz aus dem Bett. „Ich spreche mit ihm. Jetzt sofort.“

      „Nein! Das macht alles nur noch schlimmer.“ Auch ich stehe auf, mit wackligen Beinen und einem nicht enden wollendem Gefühl von Scham. Tränen laufen mir herunter und ich verberge mein nasses Gesicht hinter meinen Händen.

      Erik kommt auf mich zu, nimmt meine Hände herunter und streichelt mir über die Wange. „Bitte, Becca, sieh mich an. Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass das passiert. Das musst du mir glauben. Ich bringe es wieder in Ordnung. Ich spreche jetzt mit meinem Vater. Er kann nicht einfach so in mein Zimmer platzen.“

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      „Du kommst über eine Stunde zu spät!“, donnert Papa. Es scheint, als hätte er hinter der Haustür auf mich gelauert. So als wäre ich ein Einbrecher und er vom Secret Service. Noch bevor ich den Schlüssel im Schloss hatte, riss er die Tür so heftig auf, dass ich den Luftzug zischen hören konnte. Nicht auch noch das!

      „Ist doch nicht so schlimm“, maule ich patzig zurück.

      Papa schnaubt wie ein Walross. „Non é possibile. So geht das nicht! Du musst dich an die vereinbarten Zeiten halten!“, brüllt er.

      Meine Güte! Muss er so einen Aufstand machen? „Ich war nur nebenan.“

      „Darum geht es nicht!“

      „Worum dann?“

      Papa wird immer wütender. „Du benimmst dich wie ein … ein leichtes Mädchen!“

      Zorn kocht in mir hoch. Wie kann er so etwas behaupten? Das hat mir gerade noch gefehlt! Erst Eriks Vater und jetzt meiner. „Das stimmt nicht!“

      „Was machst du mit ihm?“

      „Papa, das geht dich nichts an!“

      „Und ob, du bist minderjährig!“

      „Was denkst du denn, dass wir machen?“, frage ich und will ihn auf einmal provozieren. „Wir haben Spaß!“

      Jetzt wechselt Papas Gesichtsfarbe von dunkelrot zu schneeweiß.

      „Was ist? Schockiert dich das?“

      Urplötzlich holt er aus und versetzt mir eine heftige Ohrfeige. Mama kommt angerannt.

      „Giovanni, was machst du? Du kannst Becca doch nicht schlagen!“ Sie ist den Tränen nahe. Fassungslos und geschockt halte ich mir meine brennende Wange.

      „Geh in dein Zimmer!“, poltert er.

      „Nichts lieber als das“, speie ich ihm entgegen, „du bist ein gemeiner Idiot!“ Dann rausche ich in mein Zimmer und schließe ab, Papas stampfende Schritte hinter mir. Er rüttelt am Türgriff.

      „Mach die Tür auf! Sofort!“

      „Nein! Geh weg!“, schreie ich zurück. Die Tränen, die ich gerade erst bekämpft und heruntergeschluckt hatte, schießen mir wieder in die Augen. Ich wische sie schnell mit dem Handrücken weg.

      „Mach die Tür auf!“

      „Nein!“ Papa schlägt kräftig mit seiner Hand gegen die Tür, Mama fängt an zu weinen. Mein Atem geht schneller und ich wische mir immer wieder die Tränen ab. Auf einmal höre ich ein Klopfen am Fenster. Überrascht schaue ich auf. Kann es noch schlimmer kommen? Leise öffne ich das Fenster. „Was machst du hier, Erik?“

      „Ich wollte dich noch einmal sehen. Tiefe Sehnsucht. Tut mir leid, dass mein Pa gerade so doof war. Er hat sich bei mir entschuldigt.“ Erst jetzt bemerkt er meine Tränen. „Aber wie siehst du denn aus? Ist alles in Ordnung?“

      Papa hat inzwischen aufgehört, wie ein schäumender King Kong gegen die Tür zu schlagen. Danke, Mama. Aber ich kann sie heftig diskutieren hören. Ich habe ihn noch nie so wütend erlebt.

      „Äh, nein“, antworte ich leise und hoffe, dass meine brennende Wange mich nicht verrät. „Mein Papa ist etwas durchgedreht, wegen … uns.“

      Erik blickt mich verständnisvoll an und streckt mir eine Hand entgegen. „Lass uns von hier verschwinden. Wollen wir in die alte Scheune gehen?“ Ich schüttele ängstlich den Kopf.

      „Wenn ich jetzt auch noch abhaue, flippt er völlig aus.“

      „Er muss ja nichts merken.“

      „Ich weiß nicht.“

      „Komm, Becca.“

      Ich denke fieberhaft nach. Mein Zimmer ist im Erdgeschoss zum Garten. Die Zimmertür ist abgeschlossen und das Licht der Nachttischlampe ist an. Ich kann später auf demselben Weg zurück kommen. Schließlich atme ich sehr tief aus. „Gut, lass uns abhauen“, flüstere ich und springe aus dem Fenster.

      Erik fängt mich gekonnt auf, lächelt mich aufmunternd an, gibt mir einen Stups auf die Nase und küsst mich dann zärtlich auf den Mund. Schlagartig fühle ich mich sicher und geborgen. So wie Jennifer Grey aus Dirty Dancing, als Johnny am letzten Abend der Saison zurückkehrt, um den abschließenden Tanz zu ‚The Time of My Life’ mit ‚seinem Baby’ zu tanzen. Erik nimmt meine Hand fest in seine und wir rennen los.

      Weihnachten 1990

      Es schneit. Alles ist in ein zauberndes, glitzerndes Licht gehüllt und die Luft ist so kalt, als könnte man sie in Scheiben schneiden. Unser Spaziergang im Wald ist wunderbar. Ich laufe so schnell ich kann und meine Lunge schmerzt. Erik ist direkt hinter mir. Seine Schritte knirschen im Schnee. „Gleich habe ich dich“, ruft er schnaufend und siegessicher.

      „Niemals!“, schmettere ich ihm entgegen. Ich biege in den kleinen Waldweg ab und renne zu den großen Tannen. Sie werfen lange Schatten in den Schnee.

      „Ein großer Fehler. Jetzt bist du mir ausgeliefert.“

      Wir lachen und laufen und ich bekomme schlimmes Seitenstechen. Ich brauche eine Pause! Also, verstecke ich mich hinter den Bäumen, versuche mich so dünn zu machen wie ein Blatt Papier. Immer wenn Erik mich entdeckt hat, laufe ich kichernd einen Baum weiter.

      „Becca? Wo bist du? Ich komme …“

      Ich muss wieder ein Kichern unterdrücken. Nicht bewegen, nicht atmen. Ganz klein machen! Plötzlich schnellt er um den Stamm, erschrickt mich und drückt meinen Körper mit beiden Händen gegen die Tanne.

      „Hey, das ist unfair“, beschwere ich mich schmollend.

      „Nichts da. Ich habe gewonnen.“ Er beugt sich zu mir herunter und seine Lippen berühren sanft die meinen. Sie sind warm und ihre Berührung prickelt.

      „Gut, du hast gewonnen.“ Eine Weile vergeht schweigend, in der wir uns einfach nur küssen.

      „Das könnte ich ewig machen“, flüstert er an meinem Hals.

      „Ich auch.“

      „Weißt du, was ich wirklich gut finde?“, haucht er.

      „Nein, verrate es mir.“

      „Dass ich dein erster Freund bin. Ich bin der Erste, der dich berühren darf.“

      „Und ich? Das ist gemein. Du hast schon einige Mädchen vor mir geküsst …“

      „Aber mit noch keinem geschlafen.“

      „Na immerhin“, necke ich ihn.

      „Die anderen Mädchen sind mir scheißegal.“

      „Ihr Vokabular