Luisa Sturm

Ein ganzes Ja


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du bedrängst mich! Ich bin noch nicht so weit.“

      „Becca, es tut mir leid. Natürlich kann ich noch etwas warten. Wir machen es nur, wenn du es wirklich willst. Irgendwann ist der richtige Moment, wenn nicht heute, dann vielleicht in ein paar Wochen oder Monaten.“ Er streichelt meinen Rücken und ich fange an zu schluchzen. „Bitte nicht weinen! Alles ist gut. Ich bin ein Hornochse, ein tierisch verliebter Hornochse. Es tut mir leid.“

      Verdammt! Ich fühle mich furchtbar. Wie ein Versager. Ich wollte es doch auch, oder nicht? Wir haben schon so lange gewartet. Tue ich ihm Unrecht? Warum muss immer alles so verwirrend sein?

      Juli 1992

      „Erik, es ist schon morgen. Du musst jetzt langsam gehen.“ Aus meiner Stereoanlage ertönt Nirvana, „Smells Like Teen Spirit“. Ich liebe dieses Lied und summe den Refrain mit. Natürlich hassen meine Eltern diesen Sound. Dabei ist Grunge gerade total in. Sie denken, es sei fürchterlicher Krach. Aber was soll man schon von Menschen erwarten, die Peter, Paul and Mary’s ‚Puff the Magic Dragon’ hören – freiwillig!

      Erik hat mir die Nirvana-CD gestern mitgebracht. Wahnsinn, dass man jetzt nur noch eine so kleine Scheibe braucht und keine Vinylplatten mehr! Es erstaunt mich immer noch, dass da so viel Musik draufpasst.

      „Geh jetzt. Ich muss gleich zum Frühstück“, sage ich und schalte die Musik aus.

      „Warum nimmst du mich nicht einfach mit?“ Erik zieht sich seine 501-Jeans hoch und schlüpft in ein graues Poloshirt. Er sieht unglaublich sexy aus.

      Seit einigen Monaten klettert Erik nachts durch mein Fenster in mein Zimmer und bleibt bis zum Morgengrauen. Es hat was von Romeo und Julia und es ist herrlich, mit ihm zusammen zu sein. Er kitzelt mich durch bis ich nach Luft japse, hört sich mein Referat über Reiner Maria Rilke an und schleudert mit mir im Doppel Tennisbälle übers Netz - wir haben tatsächlich den 3. Platz bei den Mixed Meisterschaften im Verein gewonnen. Zuerst war er etwas zerknirscht, weil er unbedingt gewinnen wollte. Aber dann hat er sich sehr gefreut. Jeder von uns bekam einen großen Pokal und unsere beiden Namen wurden nebeneinander eingraviert. Nach der Siegerehrung wirbelte er mich überglücklich im Kreis herum.

      Ich reiße mich aus meinen Gedanken. „Erik, bist du wahnsinnig? Du hast hier offiziell nicht übernachtet. Du bist bei dir, in deinem Zimmer bei deinen Eltern. Hast du das vergessen?“

      „Deine Eltern sind doch nicht doof. Sie wissen sicher, dass ich fast jede Nacht hier schlafe. Nur, um mich dann wie ein Räuber über dein Fenster davonzustehlen. Ich finde das langsam albern“, protestiert er und stemmt seine Hände in die Hüfte.

      „Ich weiß nicht. Ich bin froh, dass mein Vater inzwischen akzeptiert hat, dass ich einen Freund habe. Weißt du noch, wie er sich am Anfang aufgeführt hat? Ich will einfach nichts riskieren. Er ist in dieser Hinsicht schwierig.“

      „Immerhin redet ihr wieder miteinander. Er schleppt dich nicht mehr ins Schwimmtraining und ich glaube, er fängt an, mich zu mögen. Inzwischen hat er verstanden, dass du nicht wegen mir aufgehört hast.“ Erik fährt sich lächelnd durch die Haare und blinzelt mir mit einem Auge zu.

      Ich habe tatsächlich mit dem Schwimmen aufgehört. Bei den letzten Langstreckenmeisterschaften stand ich für die 800 Meter Kraul vor dem Startblock und etwas Seltsames ist passiert. Das ganze Schwimmbad war voller jubelnder Menschen und Fähnchen und die Atmosphäre war zum Zerreißen gespannt. Sonst schlug mir das Herz immer bis zum Hals, wenn ich vor dem Block stand und wusste, der Kampfrichter pfeift gleich zum Start. Aber dieses Mal spürte ich nichts. Keine Aufregung, kein Kribbeln in den Beinen, nichts. Die ersten Meter im Wasser kamen mir fremd vor und ich spürte keinen Drang schnell zu schwimmen. Im Gegenteil. Ich badete die Bahnen herunter, als wäre ich an einem sonnigen Tag im Baggersee. Mein Wille zu siegen war weg. Auf einmal, nach 12 Jahren Leistungssport! Als ich mit einer völlig inakzeptablen Zeit, die meinen Verein bestimmt jede Menge Bußgeld kosten würde, anschlug, beschloss ich, das Schwimmen an den Nagel zu hängen. Alle waren schockiert. Mein Trainer Gerry, meine Schwimmerfreundin Melanie, aber vor allem Papa. Wochenlang haben wir kein Wort miteinander gesprochen. Wäre es nach ihm gegangen, dann wäre ich bis zu meinem Lebensende Wettkämpfe geschwommen, er hätte am Beckenrand gestanden und hätte mich mit ‚Go Becca!’ lauthals angefeuert. Aber damit ist jetzt Schluss.

      „Er mag dich, sonst hätte er dich schon längst getötet.“

      Jetzt müssen wir beide kurz lachen, dann verlangt Eriks Blick eine Entscheidung. Mir ist mulmig zumute.

      „Also, ich schleiche mich nicht wieder weg. Das ist doch lächerlich. Wir leben nicht mehr im Mittelalter.“ Erik streckt seine Hand nach mir aus und sieht mich mit einem Lächeln souverän an.

      „Ganz ehrlich, ich habe ein bisschen Angst. Was, wenn er ausflippt?“ Ich fühle leichte Panik in mir aufsteigen.

      „Glaube ich nicht. Außerdem bin ich größer als dein Papa. Jung, dynamisch und stark.“ Erik zeigt mir spaßeshalber seinen linken Bizeps und der kann sich wirklich sehen lassen.

      „Ich halte das für keine gute Idee, ehrlich nicht.“

      „Wir sind seit fast zwei Jahren ein Paar. Wir sind jeden Tag zusammen, wir rauchen nicht, wir nehmen keine Drogen, wir lassen uns kein Tattoo stechen, obwohl das gerade so ziemlich jeder macht.“

      „Eine offizielle Übernachtung ist etwas anderes. Mein Papa ist Sizilianer, da kommt so etwas einer Verlobung gleich!“

      Erik sieht mich selbstsicher an, sagt aber nichts. Er scheint offensichtlich großen Spaß an unserer Diskussion zu haben.

      „Weißt du, es ist nach dem Motto: Du hast meine Tochter verführt und jetzt kommst du auch noch zum Frühstück!“, füge ich hilflos erklärend hinzu.

      Ich habe mich über seinen Schreibtisch gebeugt, um mir seine Fliegerunterlagen anzusehen, Karten, Flugablaufpläne. Plötzlich steht er hinter mir und zieht mich hoch, spontan, unvorbereitet und voller Kraft. Er presst seinen Unterleib gegen meinen und küsst zärtlich meinen Nacken. „Ich liebe dich, mehr als du dir nur vorstellen kannst“, haucht er. Ich erschauere, genieße das kribbelnde Gefühl, schließe die Augen und lasse es geschehen, einfach so. Irgendetwas ist in diesem Moment anders, das spüre ich. Er umfasst meine Hüfte und diese Berührung lässt meinen gesamten Körper erbeben. In großen Wellen. Er löst eine Hand und lässt sie zärtlich vom Nacken bis zu Po gleiten. Alles in mir zieht sich wohlig zusammen und ich will mehr, viel mehr. Mein Körper entflammt.

      „Du machst mich total heiß“, flüstert er in meinen Nacken.

      „Hör nicht auf“, bettele ich.

      „Womit denn“, fragt er scheinheilig und lässt dabei seine Hand zwischen meine Beine gleiten.

      „Mich willenlos zu machen“, flüstere ich zurück und drehe mich zu ihm um.

      Er mustert mich mit einem Blick, der vollkommen neu ist und der mich durchdrehen lässt. „Süße, dein Wunsch ist mir Befehl.“

      Er beginnt meine Bluse langsam aufzuknöpfen. Dabei sehen wir uns unentwegt in die Augen. Als er meinen BH öffnet und seine warmen Hände meine Brüste umfassen, lasse ich meinen Kopf in den Nacken fallen und ziehe ihn näher an mich heran.

      „Lass es raus“, haucht er, „alles was du fühlst.“

      „Mach weiter“, fordere ich ihn auf und spüre, dass wir heftig zu atmen begonnen haben. Wir fangen an uns gegenseitig auszuziehen, hektisch und unanständig und wild. „Lass es uns machen“, fordere ich leise.

      Erik trägt mich zum Bett. Alles in mir verlangt nach ihm und will ihn spüren, endlich. Als Erik sich auf mich legt, fühlt sich seine Schwere an, wie ein wundervolles Geschenk. Ein Geschenk von dem ich nicht genug kriegen kann und will. Er drückt mich tiefer in die Laken, schiebt meine Beine leicht auseinander, küsst mich immer wieder und flüstert in meine Lippen. „Bist du dir wirklich sicher?“

      „Ja“, hauche ich ihm entgegen. „Mach weiter, sonst werde