Peter Maier

Schule – quo vadis?


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gehörige Portion Mitschuld am schlechten Abschneiden in der Pisa-Studie. Von tatsächlichen oder selbsternannten Bildungsexperten wurde den Gymnasialpädagogen vorgeworfen, dass sie methodisch und informationstechnisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit seien und dass der Bildungsstandort Deutschland mit solch einer Einstellung zu Schule, Unterricht und Bildung im entfesselten Bildungswettkampf einer globalisierten Welt schnell den Anschluss verlieren würde. Diese Warnung darf natürlich nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die gleichen Leute sparten dann nicht mit Verbesserungsvorschlägen, mit deren Hilfe schnell und einfach alle Schulprobleme zu bewältigen seien. Hier einige dieser Forderungen, die meist von außen an die Schulen herangetragen wurden:

       vollkommene Auflösung des Frontalunterrichts;

       Verzicht auf möglichst jeden lehrerzentrierten Unterricht;

       dafür nur noch neue Unterrichtsformen: Gruppenarbeit, Partnerarbeit, selbständiger Unterricht der Schüler;

       ein Computer an jedem Schülertisch;

       vollkommen digitalisierter Unterricht nur noch mit Whiteboards und Computern;

       Verzicht auf gedruckte Bücher; dafür nur noch digitalisierte Bücher, die bei Bedarf heruntergeladen werden können;

       Kommunikation Lehrer – Schüler zunehmend über Smartphone oder Mailkontakt;

       Verzicht auf Noten und Hausaufgaben;

       Lehrerraumprinzip: die Schüler haben keine Klassenzimmer mehr, sondern müssen zum Lehrer kommen;

       nur noch Unterricht im Doppelstundentakt usw.

      Natürlich hatten diese Vorschläge Konsequenzen für das Lehrerbild: der Lehrer als Bildungs-Manager, als Bildungs-Organisator und Bildungs-Initiatior, als Kompetenzvermittler, als bloßer Dienstleister bei der selbständigen Wissensorganisation der Schüler.

      Es dauerte einige Zeit, bis sich die eine Gruppe der Hauptbetroffenen der Bildungsreformen – die Lehrer selbst – zu Wort meldete und sich gegen diese Fundamentalkritik an ihrer Tätigkeit und an den ihnen von außen her zugeschriebenen neuen Rollenbildern zu wehren begann: über ihre Berufsverbände, aber auch über Buchveröffentlichungen. Daher sollen im Folgenden einige solcher Stimmen exemplarisch für viele zur Sprache kommen: der Deutsche Philologenverband; Arne Ulbricht mit seinem Buch „Schule ohne Lehrer?“; und Michael Felten, Gymnasiallehrer für Mathematik und Kunst in Nordrhein-Westfalen. Er möchte mit seinem Buch „Auf die Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule“11 den Finger in die Wunden legen, die Schülern und Lehrern durch übereilte und naive Reformen im Bildungssektor immer mehr geschlagen werden.

      Lehrer sind Helden des Schulalltags

      Die Lehrer sind seit dem Pisa-Schock einem ständigen bildungspolitischen und vor allem medialen Veränderungsdruck ausgesetzt. Da jeder Bürger selbst einmal Schüler war, glaubt er, in Fragen der Bildung ein Experte zu sein. Meist erinnert man sich als Erwachsener jedoch nur noch an schlechte Lehrer, die es natürlich genauso gibt wie beispielsweise auch schlechte Ärzte oder Juristen. Lehrer zu loben, leistet sich die Gesellschaft viel seltener. Dies geht schon bei der Grundfrage los, wer denn ein guter Lehrer sei und was einen solchen ausmache. Die eigentlich Betroffenen, die Schüler, müssten dies am besten wissen. Die Vorschläge für den „Deutschen Lehrerpreis“, der jedes Jahr einmal vergeben wird, kommen daher teilweise von den Schülern selbst. In den Begründungen für die Preise kann man ihn finden – den guten Lehrer:

      „Lehrer müssen zuhören können, sie müssen Vertrauen vermitteln; andererseits wird Verbindlichkeit geschätzt, kein Heute-so-und-morgen-so. Ein Klassenzimmer-Despot scheitert vor den Schülern ebenso wie ein Luftikus. Das Idealbild ist eine kuriose Mischung: der Lehrer auf Augenhöhe, zu dem man trotzdem aufblicken kann.“12 Soweit die ehrliche Vorstellung von Schülern.

      Eine der größten Lehrervertretungen in Deutschland, der Deutsche Philologenverband, will aus verständlichen Gründen das Lehrerbild stärken – nach innen im Verband und nach außen in der öffentlichen Wahrnehmung. Einen guten Anlass dazu bot eben dieser „Deutsche Lehrerpreis – Unterricht innovativ 2014“, bei dem 15 Lehrkräfte und sechs innovative Unterrichtsprojekte ausgezeichnet wurden. Daher titelte die verbandseigene Zeitschrift „Profil“ in ihrer ersten Ausgabe 2015 „Deutschlands Pädagogen: Helden des Alltags“.13 Für 2014 wurden Initiativen gewürdigt, in denen fächerübergreifend unterrichtet und die Zusammenarbeit im Team in besonderem Maße gefördert wurde. In der Kategorie „Schüler zeichnen Lehrer aus“ nominierten Schülerinnen und Schüler aus Abschlussjahrgängen an weiterführenden Schulen „... besonders engagierte Lehrer, die interessant unterrichten, eine hohe fachliche Kompetenz besitzen und die Jugendlichen motivieren und unterstützen.“14

      Eine der Preisträgerinnen dieser Kategorie war Michaela Bauer von der Dr.-Karl-Grünewald-Realschule Bad Königshofen/Bayern, Lehrerin für Mathematik und Katholische Religionslehre. Sie wurde von ihren Schülern nominiert, „... weil sie sich durch ihre Herzlichkeit, Offenheit und Ehrlichkeit selbst auszeichnet. Sie motiviert und unterstützt die Jugendlichen. Selbst trotz einer 'manchmal strengeren Herangehensweise' verliert Michaela Bauer ihren Respekt vor den Schülern nicht und peppt 'den Unterricht durch den einen oder anderen Spaß auf.'“15 Es fällt auf, dass die Qualitäten, die sich Schüler vom Lehrer wünschen, nur wenig mit den vielfältigen Reformvorschlägen zu tun haben, die auf Schule und Lehrer im Wochentakt von außen her einprasseln. Darum tut es gut zu hören, was sich gerade Schüler unter einem guten Lehrer vorstellen.

      Bei dem Festakt in Berlin, bei dem die Preise vergeben wurden, sprach der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Oberstudiendirektor Heinz-Peter Meidinger, auch das Ziel des Deutschen Lehrerpreises an: „... dass Lehrkräfte in Deutschland zur kreativen Nachahmung angeregt werden, denn die ausgezeichneten Projekte seien keine, durch besondere Umstände ermöglichten Leuchturmprojekte, sondern 'Konzepte, die bei entsprechendem Engagement und bei Unterstützung durch die Schulleitung überall umsetzbar sind.'“16

      Zu kurz gesprungen im digitalen Klassenzimmer

      „Klick-Clique. Smartphone-Nutzer werden immer jünger, die Geräte prägen spätestens von der fünften Klasse an die Kindheit.“17 Mit dieser Überschrift kommentiert die Süddeutsche Zeitung das Ergebnis der sogenannten KIM-Studie 2014 zum Umgang von sechs- bis 13-jährigen Kindern mit Medien, die vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest Anfang 2015 veröffentlicht wurde. Das Ergebnis: Smartphones, also jene Handymodelle, die Apps und Internetzugang bieten, finden immer mehr Verbreitung bei Kindern. Laut dieser Studie hat unter den Zwölfjährigen heute fast jeder ein Handy, die Hälfte ein Smartphone.

      Die Kommentatorin dieser Studie in der SZ, Juliane von Wedemeyer, sieht diese Entwicklung ambivalent: „Der Sprung zum Smartphone, der oft zeitlich mit dem Wechsel auf eine weiterführende Schule zusammenfällt, ist allerdings Segen und Fluch. Möglich wird dadurch nämlich nicht nur der brave Anruf bei den besorgten Eltern, sondern auch die besagte Whatsapp-Kommunikation und jeder Blödsinn, der im Internet vorhanden ist. Und davon gibt es eine ganze Menge.“18 Frau Wedemeyer empfiehlt im Folgenden den Eltern Gespräche über die Risiken dieser „Allerskönner“ Smartphone in den Hosentaschen ihrer Kinder – über die möglichen Inhalte, die auf ihre Kinder einströmen und über Fragen des Datenschutzes.19

      Es ist kein Wunder, dass viele Lehrer an weiterführenden Schulen glauben, nur noch dann bei ihren Schülern bestehen und sie motivieren zu können, wenn sie in ihrem Unterricht auf dieser digitalen Welle mitsurfen und ihren Schülern in deren vertrauten „Lebenswelten“ von Facebook, Twitter, Whatsapp oder Instagram begegnen. Wasser auf diese „Digital-Mühlen“ kommt auch von aktuellen Studien wie einer, die im November 2014 veröffentlicht wurde. Sie bescheinigt Deutschlands Achtklässlern nur Mittelmaß im weltweiten Vergleich, wenn es um die Computer-Nutzung geht.20

      Der Lehrer und Autor Arne Ulbricht nimmt in seinem Artikel „Im digitalen Klassenzimmer“ diese Studie jedoch zum Anlass,