Markus Ridder

Das Eisenzimmer


Скачать книгу

Kopf seiner Tochter und blickte die Treppe hinauf. Was ging hier vor? Erst sah es so aus, als stehe das Haus leer, dann wies alles auf einen Fall von Vandalismus hin. Und jetzt fand hier allem Anschein nach eine handfeste Auseinandersetzung statt.

      Konnte es vielleicht sein, dass sein Chef schon vor ihm hier gewesen war? Dass er dort oben Probleme bekommen hatte? Dollar sah zurück auf die Tür, durch die er eben in das Haus getreten war. Was hätte Plossila getan, wenn er die Tür geöffnet vorgefunden hätte?

      Dollerschell musste sich keine Antwort darauf geben. Wenn schon er ohne Not einfach in den Keller gestiegen war, dann würde es Plossila erst recht getan haben. Ihm blieb nichts anderes übrig, als dort oben nach dem Rechten zu schauen. Er wollte nicht, dass es hieß, er lasse Kollegen im Stich. Dann konnte er sich die Beförderung jedenfalls in die Haare schmieren.

      Dollerschell blickte sich um. Wo zum Teufel kann ich Kathi für einen Moment ablegen?

      Er hastete zurück in den ersten Raum, balancierte am umgestürzten Couchtisch vorbei und trat vor die stinkende Couch. „Das ist nicht schön, aber auf jeden Fall sicherer, als wenn du beim Papa bleibst“, sagte er und legte seine Tochter auf den Cordbezug. Anschließend baute er eine Burg aus Kissen um sie herum, damit sie nicht hinunterfallen konnte. Er betrachtete sein Werk und war zufrieden.

      Zurück im Flur zog er seine Heckler & Koch P7 aus dem Halfter und entsicherte die Waffe. Langsam schritt er die ersten Stufen hinauf. Als er etwa auf der Mitte der Treppe angekommen war, hörte er zuerst ein leichtes Quengeln, dann begann Kathi, aus vollem Halse zu schreien. Verdammt!

      Er sicherte die Heckler & Koch wieder, rannte zurück zum Sofa. „Also komm!“, sagte er zu seiner Tochter und legte sie wieder zurück auf die linke Schulter. „Aber erzähl das ja nicht deiner Mami!“

      Zurück auf der Treppe entsicherte er die P7 erneut. Mit Kind in der einen und der Pistole in der anderen Hand stieß er die Tür am Ende des Absatzes auf.

      Er war überrascht. Er trat in einen Raum, der an ein Wirtshaus erinnerte. Zwei dutzend Holztische standen da, über die gebügelte Decken drapiert waren. Es roch nach Bier und Bohnerwachs. Ein eigenartiges Licht lag im Raum, das von den nur locker heruntergelassenen Jalousien in hellen Streifen über Tische und Stühle fiel und vom Boden reflektierte. Es erhellte ein Regal, das mehrere Trompeten und eine Posaune enthielt. Katharina gluckste zufrieden, als sie die große goldene Tuba erblickte, die davor auf einem Stuhl stand.

      Dollerschell schlich über die alten, knarzenden Dielen und öffnete die Tür auf der anderen Seite. Sie war nur angelehnt und führte in einen gekachelten Flur.

      Auch das war nicht gerade etwas, was er von Nazis erwartet hatte: Großformatige Bootminiaturen standen da, mit vom Wind geblähten Segeln, ausgestellt in überdimensionierten Plexiglasvitrinen. Er sah sich um: Drei Türen führten vom Flur ab, eine davon war die Ausgangstür. Er trat vor die erste, die Pistole im Anschlag. Von innen war nichts zu hören, auch nicht, wenn man das Ohr an die Tür legte. Er schritt zur nächsten – die gleiche Situation, kein Mucks war vernehmbar.

      Was sollte er tun? Er hatte das Gefühl, als erwarte ihn nichts Gutes in den Zimmern. Eines der beiden musste über dem Flur unten liegen. Irgendetwas war dort drin geschehen. Jemand hatte geschrien, Putz war von der Decke gebröselt. Es musste einen Kampf gegeben haben. Sicherlich wartete jemand auf Hilfe. Und als Polizist hatte er die Pflicht, in einem solchen Fall einzugreifen.

      Er legte den rechten Ellenbogen auf die Klinke der zweiten Tür. Er spürte förmlich, wie ihm der Schweiß ausbrach. Kathi musste seinen pulsierenden Herzschlag bemerkt haben, auch sie war plötzlich ganz ruhig, schien angespannt. Dollar schluckte, seine Kehle war wie ausgetrocknet. Sollte er wirklich mit seinem Kind auf dem Arm in den Raum stürmen? Was, wenn ihn dort drinnen rechte Schläger erwarteten? Natürlich, er war bewaffnet, aber eine große Gruppe Skins konnte er allein nicht lange in Schach halten. Und konnte er sich sicher sein, dass Plossila schon vor ihm da war? Vielleicht kam er auch gar nicht. Er war in den vergangenen Wochen nicht gerade auf der Höhe gewesen, irgendetwas stimmte nicht mit ihm, Dollar wusste nur nicht, was.

      Er nahm den Ellenbogen wieder von der Klinke. Es war Wahnsinn, mit der Kleinen hierher zu kommen. Ihr war er in erster Linie verpflichtet, sie musste er als Vater schützen. In Gedanken sah er seine Frau schimpfen und sie hätte alles Recht der Welt dazu, wenn sie ihn hier sehen würde. Was um Himmels willen war nur über ihn gekommen?

      Er schüttelte den Kopf, begann, langsam in Richtung Ausgangstür zu schleichen. Er würde mit Verstärkung wiederkommen und keiner Menschenseele erzählen, was er hier gemacht hatte. Offenbar hatte er noch unter dem Adrenalinschub aus der Drogerie gestanden. Natürlich, die Frauen, die Frauen waren schuld, dass er sich zu so etwas hatte hinreißen lassen!

      Er legte den Ellenbogen an die Klinke der Haustür, wollte sie aufstoßen und dann möglichst schnell weg von hier.

      Plötzlich ein Keuchen.

      Oder war es ein unterdrücktes Husten?

      Egal, es kam jedenfalls aus dem ersten Raum, jetzt konnte Dollar sicher sein. Jemand war da drinnen und versuchte, sich möglichst ruhig zu verhalten, warum auch immer.

      Er nahm den Ellenbogen von der Klinke und ging hinüber zu Tür eins. Er atmete noch einmal schwer ein, wie vor einem langen Tauchgang, dann drückte er die Klinke langsam herunter. Er öffnete die Tür nur einen Spalt, trat dann wieder zurück. Die Pistole hielt er in Richtung Tür und die kleine Katharina an sich gepresst. Dann stieß er die Tür mit dem Fuß auf. Sie öffnete sich und schlug unter einem harten, kalten Knall an die Wandinnenseite.

      „Rauskommen, Polizei!“, rief Dollerschell.

      In diesem Moment sauste etwas Undefinierbares von einer Seite des Türrahmens zur andern. Hinterher stürzte sich ein wuchtiger Typ, der einen brachialen Schrei ausstieß.

      Plossila!

      Er hörte Schreie, etwas Morsches zerbrach, Glas klirrte. Einer rief „Du altes ...“ und schien dann einen Schlag in den Magen zu bekommen.

      Dollerschell sprang in den Raum. Er brauchte ein paar Sekunden, um die Situation zu begreifen. Vor ihm balgten sich zwei Männer auf dem Boden, dahinter lag ein zerbrochenes Geweih. Ein anderer saß unter heruntergelassenen Rollos an einem Konsolentischchen. Er war mit einem Anzug gekleidet, der ihm zu groß zu sein schien, hatte eine komisch Föhnfrisur und blickte abwechselnd auf den Kampf zu seinen Füßen und auf seine Fingernägel. Ruhig und entspannt blickte er auch zu Dollar, ohne jedoch in das Geschehen eingreifen zu wollen. Wie ein Kinofilm schienen die Ereignisse vor seinen Augen abzulaufen.

      Bei den Männern zu Dollerschells Füßen bekam der Kleine mit Backenbart die Oberhand. Gerade hatte er Plossila einen Tritt in die Magengegend gegeben, da schielte er auf eine Pistole, die auf dem Boden lag. Er hechtete in ihre Richtung, griff danach, wollte sie schon aufnehmen. Doch Dollerschell sagte bestimmt: „Liegen lassen, oder ich schieße!“

      Der Bärtige schaute ihn an und dann zu dem Kind auf seinen Armen. Er schien ihn zu mustern und die Chancen abzuwägen, ob Dollar wirklich ernst machte, wenn er die Waffe nahm.

      „Glaub nicht, dass ein Vater, der sein Kind verteidigt, auch nur eine Sekunde zögert, dir eine Kugel direkt zwischen die Augen zu setzen!“, sagte Dollar mit einer Stimme, die ihm selbst fremd war. Der Andere schluckte, schien beeindruckt. „Rüber schieben“, befahl Dollar und nickte in die Richtung seines Chefs.

      Der Bärtige schlug den Blick nieder und gab der Waffe einen Schubs, sodass sie über das Parkett zu Plossila rutschte. Erst jetzt sah Dollerschell, wie ramponiert sein Chef aussah. Das Gesicht war zerbeult, blaue Flecke hatten sich darüber gelegt wie eine Hautkrankheit. „Lieber Himmel“, entfuhr es ihm.

      Der Hauptkommissar rappelte sich dennoch auf die Beine, auf denen er sich nur schwankend halten konnte. Er nickte müde und schlapp in Richtung seines Kollegen, doch mit einem Blick voller Anerkennung. Dann sah er auf die beiden Männer. „Sie ... Sie sind festgenommen.“

      Dollerschell betrachtete seine Tochter. Auch sie guckte ernst, als hätte sie verstanden, dass es hier um Leben und Tod gegangen war.

      Dann