Markus Ridder

Das Eisenzimmer


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Pokalen, wie er sie von Fußballturnieren kannte. Er blähte die Backen. Dollerschell würde jeden Augenblick da sein. Und dann? Er konnte sich auf eine Rechtsbelehrung seines Kollegen einstellen. Aber es half nichts, er musste an dieser Stelle abbrechen und die Strategie gemeinsam mit seinem Kollegen besprechen.

      Doch als er sich der Ausgangstür zuwendete, stieg ein eigenartiges Gefühl in ihm auf. Er konnte es zuerst nicht zuordnen, doch dann wusste er es plötzlich.

      Es war das Gefühl, beobachtet zu werden.

      Instinktiv drehte er sich um, blickte in Richtung Flurtür, die nur schemenhaft zu erkennen war.

      Ein kalter Schauer kroch ihm über den Rücken, seine Handflächen wurden feucht und er spürte, wie er immer schneller zu atmen begann.

      Ganz ruhig, sagte er zu sich selbst. Er wusste, dass man sich in solchen Situationen schnell von Gespenstern umstellt fühlte. Ich darf mir jetzt nichts einbilden! Der größte Feind in der Dunkelheit war die eigene Phantasie.

      Das Licht flackerte. Auf einmal Tageshelle.

      Ein Gesicht.

      Ein Mann mit dichtem Backenbart stand in der Tür. Reglos, mit kalten Blick, die Arme verschränkt.

      Flackern, Dunkelheit.

      Plossilas Herz stand still, für die Ewigkeit einer Sekunde konnte er sich nicht rühren. Vorne eine reglose Silhouette, im fahlen Türspaltlicht. Dann, mit einem Mal Zugluft, sie umgriff Plossilas Nacken, durchfuhr sein Haar, kroch in sein Hemd. Es donnerte, die Wände vibrierten. Die Kellertür hinter ihm, sie war zugefallen.

      Vollkommene Dunkelheit. Schwarze Nacht.

      Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden. Plossila stand still, doch er hatte das Gefühl, er beginne zu taumeln. Plötzlich drehte sich alles. Er versuchte, die Hand auszustrecken, um sich an der Schrankwand festzuhalten. Doch er konnte nicht. Er war wie versteinert.

      Das Deckenlicht zitterte.

      Der Türrahmen. Er war wieder leer. Der Mann wie vom Erdboden verschluckt.

      Hatte er sich das alles eingebildet?

      Doch wenn dort einer war, dann musste er ihn stellen. Es konnte der Mörder gewesen sein. Er gab sich einen Ruck, um wieder zu funktionieren. „Halt!“, stieß Plossila hervor, „stehen bleiben, Polizei!“

      Er wollte rennen, doch stieß er mit dem Knie gegen irgendetwas am Boden. Ein Tisch. Er ignorierte den Schmerz, warf den Tisch zur Seite, rannte in Richtung Tür, rannte auf den Flur. „Verflucht, bleiben Sie stehen!“

      Wieder stand er im Dunkeln. Hinten schlug erneut die Kellertür in der Zugluft gegen den Rahmen. Schemenhaft sah er drei Türen: Eine links, eine geradeaus und eine am Ende einer Treppe, die nach oben ins Erdgeschoss zu führen schien.

      Na warte, dich kriegen wir schon, Bürschchen, dachte er im Anflug eines neuen, plötzlichen Selbstbewusstseins. Im Selbstbewusstsein des Jägers.

      Er legte die Hand an den Türrahmen links neben sich, schritt vorsichtig über die Schwelle. Das Einzige, was er sah, waren zwei leuchtende Punkte, ein grüner und und ein oranger. Sie waren zwei Körperlängen von ihm entfernt, schienen in der Mitte des Raumes zu schweben. Er trat einen Schritt in den Raum hinein, es roch unangenehm nach Öl und Gummi.

      Er strich über den rauen Putz der Wände, dann tickten seine Fingerspitzen gegen das glatte Plastik eines Schalters, etwa auf Schulterhöhe. Es war ein Drehschalter, wie er ihn nur aus dem Haus seines Opas im finnischen Savonlinna kannte. Er legte Daumen und Zeigefinger daran, wollte umdrehen. Doch hielt er im letzten Moment inne.

      Der Bärtige. Es lief ihm kalt über den Rücken, als er sich den Mann im Türrahmen vergegenwärtigte. Er hatte im zuckenden Licht gestanden und war plötzlich wieder weg gewesen. Ein weißes, blutleeres Gesicht. Ein Bart wie ein mittelalterlicher Henker. Eine Aura wie ein Geist.

      Er drehte den Schalter.

      Es gab ein leises Zzzzt, eine eisengefasste Baulampe sprang an. Das Licht war kalt und weiß und unerbittlich. Plossilas Muskeln zogen sich zusammen. Er war bereit zu kämpfen. Wenn er es musste. Wenn es nicht anders ging.

      Doch nichts geschah, keine Bestie sprang ihn an.

      Der Heizungsraum, wurde ihm klar, zwei Mal drei Meter groß, höchstens. Rechts eine Heizungsanlage aus orange lackiertem Metall, mit bunten Leuchten, kleinen Zeigern überall, Schläuchen, Metallrädchen, Ventilen und großen goldenen Muttern. Geradeaus eine Waschmaschine, darüber ein Trockner. Zwei große Bullaugen, schweißbenetzt. Keine Menschenseele.

      Plossila schob sich in den Raum, presste sich mit dem Rücken an die Wand, spürte den Drehschalter genau zwischen den Schulterblättern.

      Es wollte sich keine Beruhigung einstellen.

      Wer immer er war, er weiß jetzt ganz genau, wo ich bin. Des Lichtes wegen.

      Er war nicht mehr Jäger. Er war Beute.

      Erst jetzt merkte er, dass er schweißgebadet war. Dabei war es angenehm kühl im Keller. Doch sein Hemd klebte auf seinem Körper und sein nasser, runder Bauch schimmerte durch den glitschigen Stoff.

      Er zog sein Handy aus der Hosentasche. Kein Empfang. Es war Fünfzehn Uhr, Dollerschell musste jeden Moment kommen. Vielleicht stand er schon oben auf dem vertrockneten Rasen und hielt Ausschau nach Plossilas BMW. Doch den würde er nicht entdecken, der stand ja vor dem Oberbräu.

      Warum hatte Plossila nicht gewartet? Warum hatte er sich in dieses unkalkulierbare Abenteuer gestürzt?

      Er atmete ein, atmete aus. Das Adrenalin, er spürte, wie es durch seine Venen zog. Er spürte, dass er leben wollte. Der Nebel, der sein Gemüt verdunkelt hatte wie der Dunst die Alpen, hatte sich verflüchtigt. Seine Halsschlagader pulsierte. Das Leben hatte ihn an den Eiern. Trotz seiner Angst: Irgendetwas in ihm durchlebte die Situation mit Lust.

      Mit einem Satz sprang er aus dem Heizungskeller. Das Licht war stark genug, um auch den Flur zu erhellen. Deutlich sah er die Treppen, ein kleiner Absatz führte zur Kellertür. Die Wände waren grau und nackt, Spinnweben nisteten in den Ecken. Eine Reichskriegsflagge hing als einziger Wandschmuck über dem bröselnden Putz.

      Plossila drehte seinen schwerfälligen Körper um neunzig Grad, sah in den Raum zu seiner Linken. Die Tür war nach innen geöffnet, ein leuchtendes Viereck aus Licht lag auf dem grauen Boden. Irgendetwas Platingrünes schimmerte im Raum, etwas Flächiges, Langes. Plossila baute sich unter dem Türsturz auf. „Los, rauskommen, Polizei!“

      Nichts rührte sich.

      „Mein Team ist unterwegs, ihr Versteckspiel macht keinen Sinn!“

      Stille.

      Aus dem Raum gegenüber flackerte es. Die Tür am oberen Ende der Treppe klackerte, die Türfalle stieß immer wieder leicht gegen den Metallrahmen.

      Er konzentrierte sich wieder auf den Raum, der vor ihm lag. Diesmal fand er den Schalter schneller.

      Er drehte den Knopf.

      Das Gesicht eines Mannes. Ein Bart, ein offener Mund. Die Hand nach oben gereckt, das Haar gescheitelt. Eine Zornesfalte auf der Stirn. Teufelsfratze.

      Plossila hob die Hände über den Kopf, duckte sich, wollte sich vor Schlägen schützen, die jede Sekunde auf ihn niederprasseln konnten. Erst dann wurde ihm klar: Er kannte den Mann. Jeder kannte ihn.

      Hitler.

      Der Führer starrte ihn an, von einem Poster an der Stirnseite des Raums. Hinter Glas und eingefasst in einen Eichenrahmen oder eine Eichenimitation. Er würde ihn nicht attackieren. Niemand würde ihn angreifen, denn auch hier war kein Mensch. Der platingrüne Widerschein stammte von einer Tischtennisplatte. Mehrere Schläger und Bälle lagen in Regalen, auch ein Volleyballnetz sah er, silberne Bocciakugeln und im obersten Fach thronte ein Eisstockset. Wenn Wehrsport so aussah, würde er mit sich reden lassen, dachte Plossila.

      Mit pulsierendem Herzen verließ er den Raum, ging in den Flur, schritt die Treppen hinauf. Offenbar war der Mann