Markus Ridder

Das Eisenzimmer


Скачать книгу

hatte, zahlt nur jemand, der sich in der geistigen Nachfolge dieses Verbrechers sieht.“

      „Was ist denn der übliche Preis für eine Waffe wie diese?“, warf Jenny ein, die den alten Mann nach wie vor gebannt ansah.

      „Ich würde sagen, maximal 2.000 Euro. Der Restwert geht allein auf den Geist des Trägers zurück. Es ist wie mit einer Jacke von Elvis, die vielleicht einen Materialwert von 200 Euro hat. Dadurch, dass Elvis sie getragen hat, ist sie auf einmal 20.000 Euro wert.“

      „Was?“, warf Jenny ein und blickte wie versteinert auf Rheser. „Nur weil der Dolch diesem Typen gehört hat, den heute keiner mehr kennt, kostet der gleich fünfmal soviel? Was würde der denn kosten, wenn er Hitler gehört hätte?“

      Ein eigenartiges Lächeln schwappte über Rhesers Gesicht, das Plossila nicht zuordnen konnte. War es abschätzig? Triumphierend? Oder einfach nur irgendwie wissend?

      „Wenn ein Dolch wie dieser Hitler gehört hätte?“, wiederholte Rheser Jennys Frage, „dann würde ihn erst einmal die bayerische Landesregierung einfordern und wahrscheinlich in irgendeiner Asservatenkammer verstecken, die für die Bevölkerung nicht zugänglich ist. Aber angenommen, das Land Bayern hätte kein Interesse daran. Dann würde ich den Dolch sicherlich entweder an einen Sammler in die USA oder nach China verkaufen. Und weniger als 80.000 bis 90.000 Euro würde ich als Preis nicht akzeptieren.“

      „Aber wieso sollte irgendjemand so viel Geld für ein bisschen Ebenholz und Nickel ausgeben, das ist doch absolut unlogisch.“

      „Mit Logik hat es wenig zu tun, da gebe ich Ihnen recht. Dennoch ist das Geschäft mit denjenigen Dingen, die einer hochrangigen oder berühmten Person gehörten, eines der Ältesten überhaupt. Schon im Mittelalter wurden Vermögen für die Reliquien von Heiligen gezahlt. Ganze Dome hat man errichtet, um diese Schätze angemessen zu präsentieren. Eine persönliche Waffe Hitlers kann eine Menge wert sein. Hitler hat viele Fans und er wird mehr und mehr zu einer historischen Figur, der etwas Magisches anhaftet.“

      „Das ist doch nicht zu ...“

      Plossila wurde unruhig und fiel Jenny ins Wort: „Lassen Sie uns auf den Dolch zurückkommen. An wen haben Sie ihn denn nun verkauft?“

      Augenblicklich nahm sein Gesicht den Ausdruck feierlichen Ernstes an. Er nahm seine Brille ab und fingerte sie wieder in die Tasche seines Polohemdes. Er legte eine Hand zurück auf die Stuhllehne, trat einen Schritt vor und platzierte die andere Hand auf einem schwarzen Buch, das neben der Kasse lag. „Ich könnte jetzt hier hineinschauen und Ihnen die Überweisungsquittungen zeigen, doch dies wird nicht nötig sein, dazu ist mein Gedächtnis einfach zu gut.“

      Er blickte auf, ließ seine Hand aber auf dem schwarzen Buch liegen, wie zum Schwur auf einer Bibel. „Die Rechnung wurde von einer Organisation bezahlt, die sich Wehrsportgruppe Deutschland nennt.“

      „Wehrsportgruppe Deutschland“, wieder holte Plossila nachdenklich. „Wann haben Sie den Dolch verkauft?“

      „Ich denke, es wird letztes Jahr um diese Zeit gewesen sein.“

      Plossila nickte. „Können Sie sich an den Käufer erinnern? Er war doch in ihrem Laden?“

      „Ja, mehrmals, ein unangenehmer Mann. Kam in einem neuen, schwarzen Anzug, in dem er wie verkleidet aussah. Dunkle Haare, eine komische Föhntolle. Mitte Vierzig. Draußen vor dem Laden wartete immer ein kleiner Drahtiger mit einer dieser grünen Jacken und Militärstiefeln.“

      Jenny wandte sich Plossila zu. „Das müssen die gleichen Männer gewesen sein, die auch Middleman getroffen haben!“

      Plossila nickte und verabschiedete sich. Alles schien derzeit auf Adrian von Dost und seine Leute zuzulaufen. Sie würden ihn und diese Wehrsportgruppe ins Zentrum der Ermittlungen rücken, wer weiß, vielleicht hatten sie den Täter früher als gedacht.

      „Ach, Frau Oberwachtmeisterin“, rief Rheser ihnen hinterher, „wenn Sie an den Shabby-Chic-Möbeln interessiert sind – die Preise sind natürlich nur Richtwerte und Verhandlungssache.“

      Jenny drehte sich auf dem Fußballen um, ging zwei Schritte rückwärts weiter. „Danke Ihnen, aber ich habe davon schon mehr zu Hause, als mir lieb ist.“

      4

      Fast panisch riss er das Handy an sich, als es klingelte. Er war gerade durch das Bayertor gefahren und Katharina war endlich eingeschlafen, wahrscheinlich wegen der Pflastersteine, die den Wagen ordentlich durchgerüttelt hatten. Das Rütteln kam dem Effekt einer Wiege gleich, hatte seine Tochter schläfrig gemacht. Jetzt wollte er nicht riskieren, dass die Kleine durch das Klingeln wieder geweckt wurde.

      „Dollerschell?!“

      „Ja, hier auch, siehst du das nicht auf dem Display?“

      Hmm, gute Laune hört sich anders an, dachte Dollerschell. „Nein, hatte gerade Anderes zu tun. Gut erholt beim Yoga?“

      „Ja, ich war gut erholt, aber jetzt stehe ich hier im Präsidium und du bist nicht da. Wir hatten abgemacht, dass ich die Kleine hier um zwölf abhole.“

      Er bog in den Kreisverkehr ein und verpasste direkt im Anschluss die Ausfahrt, die er nehmen wollte. Also fuhr er eine Extrarunde und bog dann in die Weilheimer ab. „Ja, tut mir leid, musste dringend weg zu einem Außeneinsatz, ich ...“

      „Was? Du nimmst unsere Tochter mit zu einem Außeneinsatz – das kann nicht dein Ernst sein! Das ist doch viel zu gefährlich für ein Kind! Was da alles passieren kann! Stell dir vor, du gerätst in eine Schießerei! Hast du denn gar kein Verantwortungsgefühl?“

      Was war nur los mit Doris? Er hatte sie noch nie so emotional erlebt, wie in den vergangenen Monaten. Sie hatte sich verändert, seit Katharina da war, eine Veränderung um hundertachtzig Grad. Er kannte seine Frau als ausgeglichenen Menschen, Streit und Aggressionen waren ihr fremd. Auch wenn es ihm niemand sagen wollte, wusste er doch, was seine Freunde über sie dachten: Sie sahen sie als eher langweiliges Mauerblümchen, eine Beamtenseele, für die schon der Job am Schalter der Kreissparkasse ein Abenteuer darstellte. Man konnte sich mit ihr gepflegt über ein Thema unterhalten und dabei angenehm schläfrig werden. Was man nicht konnte, war: sich mit ihr streiten. So war das zumindest damals gewesen. Dollerschell sagte: „Bitte, Doris, reg dich ab, ich war nur in einem ... Restaurant und habe dort mit dem Pächter gesprochen. Es sind keine Kugeln durch die Luft gezischt.“

      „Hast du deine Dienstwaffe etwa dabei?“

      „Was soll die Frage?“

      „Hast du sie dabei?“

      „Ja, natürlich habe ich sie ...“

      „Dann schließt du also nicht aus, dass du sie benutzen musst.“

      „Wieso ich ... Als Polizist hat man grundsätzlich seine Waffe dabei.“

      „Ach, beschwerst du dich nicht ständig, dass Plossila sie immer im Präsidium lässt?“

      „Plossila!“

      „Dein Chef, genau.“

      Dollerschell atmete aus. Vorne rechts tauchte bereits die Apotheke auf, dahinter musste sich irgendwo die Autovermietung befinden. „Plossila ist nicht irgendein Polizist. Er interessiert sich nicht für Vorschriften und er ist ... er ist auch nicht ganz auf der Höhe in letzter Zeit. Er vergisst seine Dienstwaffe, wie er vieles vergisst. Das weißt du. Du kennst meine Sorgen bezüglich Plossila.“

      „Diese Sorgen hast du doch erst seit ein paar Wochen.“

      „Monaten!“

      „Ein paar Monaten, gut. Das mit der Dienstwaffe hast du mir schon vor Jahren erzählt. Mal hat er die Waffe dabei, mal hat er sie nicht dabei, das hast du gesagt.“

      „Ganz genau. Und warum stört mich das? Weil ich sie immer dabei habe. Ich habe sie also jetzt nicht mit, weil ich annehme, ich könnte in eine Schießerei geraten, sondern aus Gewohnheit.“

      „Man kann nie wissen, das ist das, was du immer sagst.