Markus Ridder

Das Eisenzimmer


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Mängel festgestellt.“

      „Haben Sie mit dem Mann gesprochen?“

      „Ich habe die Liste abgehakt und fertig.“

      „Er hat nicht gesagt, wozu er den Anhänger benötigte?“

      „Hmm, er ... er sprach ja nur gebrochen Deutsch und hat nicht viel gesagt. Er ...“ Wieder blickte er sich zur Blonden um, doch die hob nur in einer ironischen Geste die gezupften Augenbrauen. „Als wir in den Anhänger schauen, sagt er: ‚riechen Sie das?‘“ Er fächelte sich dabei Luft zu, offenbar die Geste Middlemans imitierend. „Sätz him.“

      „Sätz him?“

      „Also englisch jetzt: Das ist er, oder?“ Er sah fragend in die Runde.

      Dollerschell begann wieder damit, die Haare zu drehen. „Und ... was haben Sie gerochen?“

      Er zuckte mit den Schultern. „Nichts. Mottenkugelgeruch. Riecht oft so, wenn die Leute Möbel transportieren, ganz normal. Aber dann machst du die Plane auf, fegst einmal durch, dann ist es weg.“

      „Möbel“, sagte der Kommissar gedankenverloren. Dann klingelte sein Handy.

      Hoffentlich ist es nicht schon wieder Doris. Er ließ sich den Zettel zurückgeben, der immer noch zwischen zwei rot lackierten Eispickeln steckte, und nickte zum Dank in die Runde.

      Er drehte sich auf dem Absatz um und hielt sich das Gerät ans rechte Ohr. „Dollerschell?!“

      Es war Plossila!

      Dollerschell verließ das Büro, lief über den Hof der Autovermietung, wippte sein Kind im Arm und berichtete von seinen Recherchen hier und im „Alten Hasen“.

      „Also kein böses Wort zwischen den Nazis im Alten Hasen?“, fragte Plossila nach.

      „Esch jedenfalls behauptet es.“

      „Und er hat keine Ahnung, um was es bei den Gesprächen ging?“

      „Er versteht kein Englisch, sagt er.“

      „Na, das glaube ich ihm sogar.“

      Dollerschell blieb vor einem der Anhänger stehen. Er betrachtete die Illustration, die auf die Planen gedruckt war. Sie zeigte eine gelbe Ente, deren Ohren im Wind flatterten. Statt Füßen hatte sie zwei Räder, die sich drehten. Gelbe Funken sprühten in die Luft.

      „Bist du noch da?“, fragte Plossila.

      „Ja. Aber ich verstehe es nicht: Da leiht sich Middleman letzte Woche einen Wagen mit Anhänger für einen Tag. Und genau an seinem Todestag wird ein Wagen mit Anhänger vor dem Autohaus gesehen, in dem er umgebracht wurde.“

      „Zufall?“

      „Schwer zu glauben, aber möglich ist es natürlich.“

      „Es gibt eine Menge Autos mit Anhängern. Wir sind hier ziemlich ländlich, ständig muss man doch irgendetwas transportieren. Die Bauern, die Holzfäller, die Werkstätten.“

      Dollerschell nickte, drehte sich auf dem Absatz um. Ihm wurde langsam heiß mit seinem Sakko und dem Kapuzenpullover. Und dem Baby im Arm. Die kleine Katharina begann zudem, wieder unruhig zu werden. Er würde ihr ein Fläschchen zubereiten und sie dann nach Hause bringen. Er blickte auf die Uhr: Kurz nach zwei, er hatte schon mindestens drei Stunden keine geraucht, der Filter seiner Zigarette, die nach wie vor in seinem Mundwinkel steckte, war bereits durchnässt.

      „Und wie erklärst du dir den Geruch nach Möbeln in dem Anhänger? Middleman hatte ein Hotelzimmer – er wollte sich sicher nicht häuslich einrichten“, sagte Plossila.

      „Das wird dieses Rednerpult gewesen sein. Nimm die Lampen dazu, die er geordert hat: Der Typ hatte irgendeine Veranstaltung im Sinn, sicher mit den rechten Brüdern.“

      Dollerschell schüttelte den Kopf. „Mit der Veranstaltung gebe ich dir recht, aber das Rednerpult kam von der gleichen Firma wie die Lampen. Es wurde nur schon früher geliefert. Er musste dafür also nicht selbst ein Auto mieten.“

      „Hmmm“, brummte Plossila. Dann gab es eine Pause, der Hauptkommissar schien nachzudenken. „Hat Doris die Kleine eigentlich pünktlich im Revier abgeholt?“

      Dollerschell zögerte einen Augenblick, war überrascht von dem Themenwechsel. Er räusperte sich. „Ja klar, war nur eine Ausnahme, dass ich Kathi hatte, kommt nicht wieder vor. Für Kinder sind die Frauen zuständig – meine Meinung.“

      Plossila gab einen erneuten Brummlaut von sich, ob er Zustimmung oder Ablehnung signalisieren sollte, war Dollerschell nicht ersichtlich. „Tu mir einen Gefallen, Dollar! Ich wollte dieser Wehrsportgruppe einen kleinen Besuch abstatten. Jenny habe ich zu Isenbarth geschickt – der Obduktionsbericht ist fertig und du weißt, wie es ist ...“

      „... am Telefon kann man den immer so schlecht besprechen“, imitierte Dollerschell den Forensiker.

      Plossila stieß einen dunklen Lacher aus, der sich allerdings mehr wie ein Huster anhörte. „Ich würde gerne zu zweit gehen, bei den Jungs mit den Glatzen weiß man nie. Die sehen schlimmer aus, als sie sind, ist klar, aber ...“

      „Ist eh Vorschrift: So was macht man nicht allein.“

      „Genau, Vorschrift!“ Das Wort hörte sich aus Plossilas Mund an, als habe er es in zwei dicke Anführungsstriche gestellt und halte es mit Pinzette und angewidertem Blick möglichst weit von sich weg.

      Dollerschell ließ sich die Adresse geben. Die Wehrsportgruppe befand sich in Dießen am Ammersee. „Das muss direkt in der Nähe des Carl Orff Museums sein.“, sagte Plossila.

      „Carl Orff Museum – ist da nicht auch die Polizeidienststelle?“

      „Glaube, ja.“

      „Komischer Ort für eine Gruppe verkappter Nazis, wenn du mich fragst. Bin in einer dreiviertel Stunde da, okay?“

      „Bis gleich!“

      Dollerschell bereitete seiner Tochter auf der Rückbank des Wagens ihre Milch zu. Danach verpackte er sie wieder in den Maxicosi und machte sich auf den Weg nach Dießen. Er würde sich irgendeine Ausrede einfallen lassen, warum er seine Tochter dabei hatte. Vielleicht konnte er sie auch kurz im Auto lassen und Plossila würde sie gar nicht bemerken.

      Als er vom Hof fuhr, sah er durch die Fenster der Autovermietung, wie der Dunkelhaarige ganz nah an die Blonde geschmiegt war. Er schien sie zu küssen.

      Plossila liebte diese Landschaft: Sanfte Hügel und Weiden, die sacht zum Wasser hin abfielen. Immer wieder tauchten alte Gehöfte und kleine Wälder auf und verstellten den Blick auf den See, der ruhig und mächtig in der Landschaft lag. Hinter Utting lenkte er den Wagen in eine lange Kurve, der See verschwand eine Zeit lang hinter einer Siedlung, dann ging es eine Anhöhe hinauf und der See blitzte ihm wieder sein strahlendes Blau entgegen. Der einzige Wermutstropfen waren die Wolken, die über den Bergen hingen und ein Gewitter ankündigten.

      Kurz vor Dießen überholte er einen Campingbus. Er wählte dazu eine uneinsichtige Stelle, die Mittellinie war durchgezogen. Der alte Mercedes, der ihm auf der Gegenfahrbahn entgegen gekommen war, und dem er erst in letzter Sekunde ausweichen konnte, hupte noch wütend in der Ferne, als Plossila bereits nach Dießen einfuhr.

      Rechts ging es in die Landsberger Straße, in der sich auch das Gebäude der Wehrsportgruppe befinden musste, links führte die Mühlstraße in Richtung See. Er hatte noch Zeit, eine halbe Stunde mindestens, also setzte er den Blinker nach links, parkte den Wagen direkt vis-a-vis des Gasthofs „Oberbräu“, den er noch aus seiner Kindheit kannte. Er stieg aus, setzte sich unter einen gelben Sonnenschirm und bestellte einen Espresso.

      Das Café war nicht sonderlich gut besucht, nur eine Dame in Bikini und mit einem Tuch um die Hüften saß am Nachbartisch und blätterte durch eine Illustrierte, von drinnen drang das Klappern von Besteck nach draußen, irgendwo bellte ein Hund. Die Straße war menschenleer, der Teer wölbte sich leicht unter der Hitze, als sei er mit Hefe angerührt. Weiter unten querte die Bahntrasse, über die sich gerade