Markus Ridder

Das Eisenzimmer


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Stehst du noch im Büro?“

      Sie schniefte. „Ja. Das heißt im Flur, vor dieser Kaffeeküche.“

      „Herrgott, da kann dich doch jeder hören!“ Er schlug mit einer Hand gegen das Lenkrad. Es war ihm ohnehin schon unangenehm gewesen, dass er seine Tochter mit ins Präsidium nehmen musste. Er hatte sich einiges vorgenommen, wollte aufsteigen, einen weiteren Karriereschritt machen, gerade jetzt, wo er Vater geworden war. Sie hatten erst kürzlich gebaut und die Kleine war auch nicht umsonst. Sie konnten das Geld gebrauchen. Es war nicht gerade hilfreich, wenn die Kollegen das Gefühl hätten, seine Frau hielte ihm nicht den Rücken frei oder er hätte Probleme, sich in der eignen Beziehung durchzusetzen. Wie sollte jemand, der sein Mauerblümchen nicht bändigen konnte, ein Polizeiteam führen?

      „Das ist also das Einzige, was dich interessiert, ja? Das ich eine Mutter bin, die sich Sorgen macht – das ist dir egal!“ Sie stockte, fuhr dann in einem anderen Ton fort: „Danke, das ist ja nett!“

      „Was ist nett?“

      „Ein Kollege von dir hat mir ein Taschentuch gegeben.“

      Dollerschell griff zu den Zigaretten, die auf dem Armaturenbrett lagen und schob sich wie automatisch eine der Kippen in den Mund. Erst als er sie angezündet hatte, fiel ihm ein, dass seine Tochter auf dem Rücksitz im Maxicosi schlief. Er drückte die Zigarette aus und sagte: „Doris, bitte geh jetzt heim, ich bringe die Kleine gleich bei dir vorbei. Und um Himmels Willen, jammere die Kollegen jetzt nicht voll.“

      Die Leitung blieb stumm.

      „Doris?“

      Sie hatte aufgelegt.

      Wieder zog Dollerschell sich wie aus Reflex eine Zigarette aus der Schachtel und steckte sie in den Mund. Obwohl er sie nicht anzündete, zog er daran. Immerhin entfaltete sich so ein leichtes, kaltes Tabakaroma auf seiner Zunge. Er bog auf den Parkplatz der Autovermietung ein und stellte den Wagen vor einem weißen Ford Transit mit einer eingedrückten, rostigen Seitentür ab.

      Mit dem schlafenden Baby auf dem Arm trat er in einen kalten, mit Fliesen ausgelegten Raum, der von beige lackierten Sperrholzmöbeln dominiert wurde. An einer langen Theke saß eine junge Frau mit eng anliegendem Top und schneehasenweißen Haaren hinter einem Computerbildschirm. Ein Mann, der etwa in ihrem Alter war, saß mit einer Pobacke auf der Theke und fixierte ihr Dekolleté. Er trug einen ölverschmierten Blaumann und trotz der Hitze dicke Trekkingstiefel. Seine Haare schienen frisch frisiert und während die Seiten kurz geschoren waren, erwuchs aus seiner Schädelplatte ein nach hinten frisiertes Ungetüm, das zu fünfzig Prozent aus Haar und und zu fünfzig Prozent aus Gel bestehen musste.

      „Du, ein Kunde, ich muss jetzt arbeiten“, sagte sie und ließ die Augäpfel zu Dollerschell wandern, ohne dabei den Kopf zu bewegen.

      Er rutschte von der Tischplatte. „Dann überleg‘s dir, acht Uhr.“ Er lächelte sie verheißungsvoll an und schritt zurück in die Werkstatt, die direkt hinter dem Empfangstrakt begann.

      Sie wendete sich Dollerschell zu, zeigte ein breites, professionelles Lächeln. „Was kann ich für Sie tun?“

      Dollerschell, dem immer noch die nicht angezündete Zigarette im Mundwinkel steckte, zog umständlich mit der linken Hand seine Marke aus der rechten Hosentasche. Anders ging es nicht, denn auf dem rechten Arm trug er seine schlafende Tochter. „Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck, ich brauche ein paar Informationen von Ihnen!“

      Die Blonde blickte auf die Marke und legte sich dann fünf manikürte Fingernägel an die Brust. „Oh, da weiß ich nicht, ob ich Ihnen helfen kann“, entfuhr es ihr. Sie blickte zu Dollerschell auf, sah erst ihn an, dann auf das Kind. Eine Falte legte sich über ihre Stirn und sie sah erneut auf die Marke. „Kann ich mal?“

      „Bitte!“

      Zehn manikürte Nägel betasteten die Marke. Sie begann, mit einem Daumen leicht daran zu kratzen, als habe sie den Eindruck, das Ding könnte vielleicht aus Schokolade bestehen. Sie blickte wieder auf, gab ihm die Marke unter einem verkniffenen Lächeln zurück. „Ist das normal, dass Sie ein Kind ... das sieht man ja selten bei der Polizei ... ich meine, im Tatort oder so ...“

      „Ist eine Ausnahme.“ Er steckte die Marke wieder ein und versuchte, mit seiner linken Hand an die linke Innenseite seines Sakkos zu kommen, das er sich trotz der Hitze über den Kapuzenpulli gezogen hatte. Da das Unterfangen aussichtslos erschien, legte er Katharina vorsichtig von der rechten auf die linke Schulter. Während er so endlich den Zettel aus Middlemans Hotelzimmer aus seiner Innentasche fischen konnte, begann die Kleine, sich zu räkeln und die Augen aufzuschlagen. „Können Sie mir sagen, welchen Wagen dieser Kunde von Ihnen gemietet hat?“

      Sie nahm den Zettel, der in einer durchsichtigen Schutzfolie steckte. Aus den Augenwinkeln beobachtete Dollerschell wie die Kleine auf seiner Schulter nach einer nicht vorhandenen Brust suchte.

      „Na, wenn das alles ist.“ Sie begann eine Nummer in die Tastatur zu tippen, was trotz der langen Fingernägel offenbar kein Problem darstellte. „Da ist er: Kenneth Middleman. Hat den Wagen letzte Woche gehabt, am Dienstag um 16.30 Uhr abgeholt und am Mittwoch gleich in der Früh um acht zurückgebracht. Betrag wurde bar bezahlt.“

      „Was für ein Wagen war es?“

      Die roten Nägel huschten erneut über die Tastatur. „Passat mit Anhängerkupplung und mit Anhänger.“

      Das könnte genau der Wagen sein, der gestern fast den Computerexperten umgefahren hat, durchfuhr es Dollerschell. „Hat er das Auto nochmals zu einem späteren Zeitpunkt gemietet?“

      Katharinas Schrei übertönte die Antwort, doch konnte er an den Bewegungen der dunkelrot bemalten Lippen erkennen, wie sie ausgefallen war: negativ. Er begann damit, die Kleine auf dem Arm zu wippen, und schob ihr dann den Schnuller in den Mund. Das Schreien erstarb augenblicklich.

      „Sind Sie sicher? Könnte er den Wagen nicht auch gestern Abend gehabt haben?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Nein, der Wagen war gestern hier, er wurde nicht vermietet.“

      Dollerschell fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und begann, leicht daran herumzuzupfen. Bis vor einigen Monaten hatte er sich die Haare noch gegelt und igelig nach oben gestylt, als eine Art letzten Gruß aus seiner Zeit als Grufty. Noch immer war er der Meinung, dass The Cure und die Pixies die besten Bands aller Zeiten waren, doch musste er diese Einstellung jetzt nicht mehr durch seine Frisur unterstreichen. Er war mittlerweile um mehr Seriosität bemüht. Doch wenn er wie jetzt nachdachte, drehte er aus alter Gewohnheit immer noch kleine Haarbüsche zusammen. „Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, als er den Wagen zurückgegeben hat?“

      „Ich habe jedenfalls keinen Vermerk – scheint alles in Ordnung gewesen zu sein.“

      „Wer hat denn den Wagen abgenommen?“

      „Das war ...“ Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung Werkstatt, „der Kollege von eben.“

      „Könnte ich kurz mit dem Kollegen sprechen?“

      Sie verdrehte die Augen, als wäre sie froh, ihn endlich losgeworden zu sein. Dann drückte sie einen gelben Knopf und sagte etwas in ein Mikrofon. „Alex, bitte mal zum Empfang kommen, Alex bitte“, hallte es aus der Werkstatt wider. Dollerschell beobachtete, wie der Dunkelhaarige von vorhin unter einer Hebebühne hervor trat und sich mit einem breiten Grinsen zu ihnen in Bewegung setzte.

      „Na, schon Sehnsucht gehabt?“, sagte er, als er vor die Empfangstheke trat.

      „Die Polizei hat Sehnsucht nach dir“, sagte die Blonde und zeigte mit einem Finger, spitz wie ein Eispickel, auf Dollerschell.

      Der Dunkelhaarige blickte irritiert auf den Kommissar mit dem Baby im Arm, zog sich dann umständlich die Hose hoch. „Okay?“

      „Der Passat mit dem Anhänger, den Sie letzte Woche abgenommen haben, letzte Woche Mittwoch – Sie erinnern sich?“

      „Von dem Engländer, ja.“

      Katharina spuckte den Schnuller wieder aus und entdeckte das