Markus Ridder

Das Eisenzimmer


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ja, natürlich, ich ...“ Dollar blickte sich hilflos im Raum um. Fragend schaute er zu Jenny, als habe sie als Frau eine natürliche Kompetenz bei dem Thema. Doch Jenny hatte sich hinter der verdorrten Yuccapalme versteckt und sah genauso ratlos aus wie diese. „Sorry, Dollar, hab leider nie mit Püppchen gespielt, damals. Ich bin schon froh, wenn ich weiß, wo bei Babys oben und unten ist.“

      Plossila gab einen Brummlaut von sich, legte seinen Unterarm auf den Schreibtisch und ließ ihn einmal von links nach rechts über die Platte sausen. Ein kegelförmiger Stiftehalter kippte zur Seite um, spuckte Kugelschreiber, Bleistifte und mehrere dicke Eddings auf den Boden. Dann donnerte ein schwerer Locher metallisch auf den Industrieteppich. Aus dem Augenwinkel sah Plossila noch, wie sich der Plastikdeckel löste und es einen wahren Konfettiregen zu seinen Füßen gab. Die Tastatur von Dollars PC schnitt besser ab: Sie tauchte unter einem leichten Klackern in einen Stapel mit Akten und Papieren ein, während Tacker, Heftklammern und Computermaus einfach nach oben auf Plossilas Schreibtischseite gedrückt wurden.

      „So“, sagte der Hauptkommissar, „Wickelunterlage!“

      Nachdem die beiden Männer das Baby gewickelt und die Windel im Büroabfalleimer entsorgt hatten, fühlte sich Plossila wie ausgewechselt. Er hatte keine Ahnung, warum, und auch nicht die Zeit, darüber nachzudenken, schließlich hatten sie noch einen Job zu erledigen. Er lief im Zimmer auf und ab, wippte dabei das Baby seines Kollegen im Arm. „Also“, stieß er hervor, „was haben wir?“

      „Ich fasse noch einmal zusammen“, sagte Dollerschell: „Kenneth Antony Middleman, 53 Jahre, wurde am Montag, 11. August, gegen 21 Uhr erdolcht. Die Tatwaffe haben wir ...“ Er machte eine kurze Pause, suchte etwas auf seinem Schreibtisch. Schließlich zog er eine Plastiktüte hervor, in welcher der Nazidolch steckte. „Die Tatwaffe. Ein SS-Dolch, der Middleman mitten ins Herz gerammt wurde. Auf dem Dolch befanden sich einige Fingerabdrücke, wir haben sie gesichert, aber keine Übereinstimmungen in der Datenbank gefunden. Zu dem Dolch gibt es zahlreiche offene Fragen: Woher stammt er? Lässt der Dolch auf einen rechtsradikalen Hintergrund der Tat schließen? Wollte uns der Täter damit ein Zeichen geben? Oder wollte er sogar anderen ein Zeichen geben, eine Warnung senden? Außerdem: Die Klinge ist zweiundzwanzig Zentimeter lang. Sie wurde mit voller Kraft in den Leib des Briten gestoßen, die Spitze trat, das hat Isenbarth erst im Labor festgestellt, sogar wieder aus dem Rücken aus. Wie lässt das auf Tat und Täter schließen?“

      Plossila lief nach wie vor mit der kleinen Katharina auf dem Arm durch das Zimmer. Das Baby wirkte zufrieden mit seiner frischen Windel und dem Finger des Hauptkommissars im Mund und gab keinen Mucks von sich. Plossila sagte: „Der Täter muss kräftig sein, wenn er den Dolch bis zur anderen Körperseite des Opfers durchgestoßen hat, immerhin sind da ja Knochen, Organe und so weiter. Hat Isenbarth noch etwas gefunden, was auf einen Kampf hindeutet ...?“

      „Nein, bisher nichts dazu aus dem Labor.“

      „Angenommen, ich will so einen Dolch haben – wo bekomme ich so was?“, fragte Jenny.

      „Im Internet?“, fragte Dollerschell rhetorisch. „Der Handel mit Nazidevotionalien ist ja nicht strafbar, solange man die Hakenkreuze abklebt und die SS-Runen.“

      „Da gibt’s doch diesen Laden hier in Fürstenfeldbruck, ihr wisst schon, über diesem Freizeitbad, wie heißt das?“, fragte Plossila.

      „Amper Oase“, warf Jenny ein.

      „Genau, oberhalb der Amper Oase die Landsberger rein, da ist so ein Laden, der hat auf jeden Fall Waffen und auch so alten Krempel, ob Nazidolche dabei sind, weiß ich nicht, aber wir sollten dem mal einen Besuch abstatten.“

      „Guter Punkt“, sagte Dollar und legte das Messer wieder auf den Schreibtisch. Er platzierte es genau auf einem noch mit Babykacke beschmierten Wattepad, das er offenbar übersehen hatte, als er eben das Reinigungsmaterial entsorgt hatte. „Verflucht!“, stieß er aus und begann fieberhaft nach den Feuchttüchern in seiner Wickeltasche zu suchen. Sie stand genau auf dem Platz, wo er sonst seine Arbeitsmappe positionierte. Während er schließlich die Plastiktüte abwischte, sagte er: „Über den Hintergrund Middlemans muss ich ja nichts mehr sagen, ihr habt ja sicherlich alle den Zeitungsartikel gelesen ... Plossila?“

      „Ja, ja klar, habe ich gelesen. Aber falls ihr noch irgendwo eine Ausgabe findet, ich glaube, die Kleine hier kennt noch nicht alle Details.“

      Dollar blickte seinen Chef irritiert an und wenn Plossila das richtig sah, tauschte er mit Jenny einen abfälligen Blick aus. Jenny hatte mittlerweile ihren sicheren Platz hinter der Yuccapalme verlassen und sich auf den gelben Plastikball gesetzt, den irgendjemand einmal beim Materialservice geordert hatte, um seine Rückenschmerzen in den Griff zu bekommen. Dollerschell sagte: „Laut diesem Journalisten deutet alles in die Richtung von Neonazis.“

      „Nicht auszuschließen, dass hier einer eine falsche Spur legt, es wäre nicht das erste Mal“, gab Plossila zu bedenken.

      Jenny meldete sich zu Wort: „Die Zeugenbefragung im Altersheim brachte aber ein ähnliches Bild. Karl Donhofer, kennt den jemand?“

      Die beiden Männer schüttelten den Kopf, das Baby gluckste, weil Plossila ihm immer wieder den Finger wegzog und hinhielt.

      „Der war mal Kommissar bei uns, muss aber schon länger her sein. Nachkriegszeit oder so. Jedenfalls hat dieser Donhofer Middleman mit Skinheads im Alten Hasen gesehen. Einer hatte eine Totenkopftätowierung. Bei dem Opfer haben wir ein T-Shirt der Gruppe Combat 18 gefunden, die auch in dem Artikel erwähnt wird. Ihr Logo besteht ebenfalls aus einem Totenkopf. Nicht auszuschließen, dass das der Grund war, warum Middleman hier war: eine Besprechung einer bestimmten Nazigruppierung, um eine internationale Geschichte zu vereinbaren.“

      Frage Nummer Eins: Was machte Middleman hier in Deutschland, ging es Plossila durch den Kopf. Er wusste nicht, was Combat 18 war, aber wenn er Gesinnungsgenossen getroffen hatte, konnte diese Besprechung der Grund für seine Reise nach Landsberg sein. Verdammt, er musste wissen, was in dem Artikel stand. Er sagte: „Gut, die Nazis treffen sich im Alten Hasen. Doch warum sollte einer den anderen umbringen? Kam es zu einem Streit?“

      „Darüber haben die Zeugen leider nichts gesagt.“

      „Was ist mit Esch – er muss die Gruppe auch bemerkt haben. ‚Ich will keinen Ärger haben‘, hat er gesagt. Jetzt wissen wir warum: Diese Jungs sind in der Lage, eine Menge Ärger zu machen. Wir müssen ihn noch mal ins Gebet nehmen. Dollar, kannst du das erledigen? Jenny und ich hatten wenig Glück. Und: Was wissen wir über Nazis in der Region, Dollar?“

      Das Kind jauchzte vor Freude und Plossila hatte das Gefühl, Dollerschell schaue ein wenig eifersüchtig zu ihm und seiner Katharina herüber. „War ruhig in letzter Zeit, glaube ich ...“, sagte er.

      „War da nicht was mit einem Grünen-Politiker neulich?“, fragte Jenny.

      „Ach ja, stimmt, die Kollegen haben da ermittelt. Ich glaube, es gab eine Nazidemonstration auf dem Hauptplatz von Landsberg, ein Grünen-Politiker hatte ein Schild hochgehalten mit Nazis raus, was die da halt immer so haben. Und dann hat er einen Schlag ins Gesicht bekommen, musste ins Krankenhaus.“

      „Und die Polizei? Die muss doch da gewesen sein, wenn es eine Demo gab“, sagte Jenny.

      „Ja, ja, waren da.“

      „Und?“

      „Die haben dem Grünen-Politiker das Plakat abgenommen.“

      „Und der Schläger?“

      Dollerschell atmete laut und vernehmbar aus. „Der war dann weg.“

      „Meisterleistung“, sagte Jenny.

      Dollar zuckte mit den Schultern. „Ich recherchiere mal, was es in letzter Zeit an rechtsradikalen Aktivitäten gab und wo die Hauptnester sind. Wir sollten das Thema nicht unterschätzen, diesen Fehler haben andere vor uns gemacht. Stichwort NSU-Skandal.“

      Plossila nickte. „Dollar, noch mal zurück zum Tatort, was gab‘s da noch an Zeugenaussagen, als wir weg waren?“

      „Ach