Markus Ridder

Das Eisenzimmer


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sich berufen fühlt, kann in ihrem Namen morden.

      Als es 1999 in London zu einer Reihe von Anschlägen in einer Gegend kam, die überwiegend von Asiaten und Schwarzen bewohnt wird, nahm die Polizei auch Middleman vorübergehend fest. Ein Zusammenhang mit den Anschlägen, bei denen mehrere Menschen starben, konnte Middleman aber nicht nachgewiesen werden.

      In den vergangenen Jahren ist es ruhig um den 53-Jährigen geworden. Das letzte Mal fiel er medienwirksam vor drei Jahren auf: Er versuchte, einen Perserteppich, der angeblich aus Hitlers Münchner Privatwohnung stammte, aus Deutschland zu schmuggeln. Doch wurde Middleman vom Zoll gestoppt, der Teppich wurde beschlagnahmt. Da sich Zeitzeugen allerdings nicht erinnern konnten, den Teppich jemals in Hitlers ehemaliger Wohnung am Münchner Prinzregentenplatz 16 gesehen zu haben, durfte Middleman den Teppich schließlich behalten.

      Was Middleman nach Landsberg am Lech geführt hat, ist noch ungeklärt. Da er allerdings durch einen SS-Dolch getötet wurde, ist ein rechtsradikaler Hintergrund der Tat mehr als wahrscheinlich. Sebastian Lutz

      Der Text war nicht schlecht recherchiert, das musste Jenny zugeben. Der Reporter hatte innerhalb eines Tages mehr über Middleman herausgefunden als sie. Und sie wusste somit schon einmal, was es mit diesem ominösen C18 auf sich hatte. Diese Vereinigung machte Angst, nicht auszudenken, wenn Anhänger dieser Gruppierung Oberbayern unsicher machen würden. Ein kalter Schauder jagte ihr den Rücken herunter, als sie an die Opfer der NSU-Attentate denken musste. Auch in Bayern hatten diese Irren zahlreiche Unschuldige umgebracht. Da war es ihr in der Tat lieber, die Rechten metzelten sich gegenseitig nieder.

      Ein dunkles „Guten Morgen“ riss sie aus den Gedanken.

      Sie zuckte zusammen, blickte auf. In der Tür stand ein drahtiger Typ, etwa Mitte Dreißig mit braunem, seitlich in die Stirn gelegtem Haar und einem gestutzten Vollbart. Er trug einen azurblauen Bademantel, auf dessen linke Brustseite die Initialen „A.C.“ gestickt waren. Er hielt ihr seine Hand entgegen, seine Augen funkelten wie geschliffener Bernstein. „Arno. Du musst Jenny sein! Schön, dich kennenzulernen.“

      „Ich ja, das bin ich ... danke ...“, stotterte sie und stand auf. Sie spürte, wie sich seine langen, festen Finger um ihre Hand schlossen, entzog sie ihm aber direkt wieder, um sich den Gürtel des Bademantels fester zuzuziehen.

      „Entschuldigung, aber wir haben dein IKEA-Regal in den Keller geräumt, um Platz für die Anrichte zu schaffen. Ich hoffe, es ist dir recht. Wenn nicht, können wir das natürlich wieder ändern. Aber ich wäre dir schon sehr dankbar, wenn du einverstanden wärst. Ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob ich diese Fabrikware schon morgens ertragen kann.“

      Jenny blickte auf das Möbelstück. Es bestand im Grunde aus einer Kommode, auf der ein Aufsatz stand. Offenbar war der Schrank nachträglich weiß lackiert worden, deutlich sah man das hellbraune Holz hindurch schimmern. Überall standen kleine Splitter ab, Macken übersäten das Furnier und die beiden Türknöpfe waren abgebrochen. Immerhin verbreitete die bauchige Emaille an den oberen Fächern des Möbels eine warme Atmosphäre und auf dem Oberteil der Anrichte prangte ein schöner geschwungener Aufsatz in der Form einer Muschel.

      Sie trat einen Schritt näher und ließ ihren Blick über die kleinen, schwarzen Löcher gleiten, die der Holzwurm hinterlassen hatte. Wenn sie ehrlich war: Das Ding war für sie eher ein Kandidat für den Sperrmüll als ein gleichwertiger Ersatz ihres mehr oder weniger neuen IKEA-Sideboards.

      Sie blickte zu Arno, der sich eine Hand unter das Kinn gelegt hatte und versonnen auf sein Möbelstück blickte. Offenbar sah er das vollkommen anders.

      „Das ist Shabby Chic“, rief plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund.

      Sie gehörte Silvani, die auf ihren halbhohen Knöchelspangensandaletten aus ihren Zimmer gestöckelt kam. Es war überraschend genug, dass die Studentin bereits vor acht Uhr morgens ihr Zimmer verließ. Dass sie dies aber bereits komplett geschminkt und frisiert tat, war kaum zu glauben.

      „Guten Morgen, Arno, ich hoffe, du hast gut geschlafen. Es war ja deine erste Nacht hier bei uns, die ist ja immer von Bedeutung. So wie man die erste Nacht in der neuen Wohnung schläft, so schläft man auch während der kommenden Zeit, nicht wahr?“, sagte sie tussig und schob sich in die Küche. „Ihr habt euch schon bekannt gemacht?“

      Jenny nickte, setzte sich wieder zu ihrer Zeitung und begann, den Artikel herauszureißen.

      Silvani drehte sich wieder zur Anrichte. „Wunderschön, nicht wahr? Gründerzeit, wenn ich das richtig verstanden habe, Arno?“

      „Ja, ich schätze um 1890 etwa. Ich habe das gute Stück bei einem Umzug in Köln auf einem Dachboden gefunden. Die Besitzer wollten es schon wegwerfen und haben es mir dankenswerterweise umsonst überlassen. Kaum zu glauben, oder? Ein Freund hat es dann leicht restauriert, da die Substanz nicht mehr so gut war, habe ich es dann selbst im Shabby-Look lackiert. Ist gelungen, denke ich.“

      Silvani nickte und zog sich dabei einige Haarsträhnen ihrer roten, kurzen Mähne zurecht. Sie trug einen champagnerfarbenen Seidenbademantel, aus dem ein schwarzes Spitzenoberteil lugte. Ihre Fußnägel waren perfekt manikürt, ein neues Fußkettchen schmiegte sich um ihre enthaarten Fesseln. Jenny kannte sie vor dem Mittagessen eigentlich nur in Jogginghose, Wollsocken und Kapuzenpullover. Offenbar hatte Arnos Bernsteinblick seinen Einfluss hinterlassen. Silvani sagte: „Arno hat das ganze Zimmer voller Antiquitäten. Du musst dir das einfach einmal ansehen! Und kannst du das riechen? Arno sagt, die alten Hölzer reinigen die Luft.“ Sie fächelte sich mit frischlackierten Fingernägeln Luft zu. „Ein bisschen wie im Wald, findest du nicht?“

      In diesem Moment fiel ihr ein, was sie schon eben mit dem Duft assoziierte hatte. Es war das Waldfruchtaroma von Arnos Kondomen XXL. Sie konnte in diesem Moment nichts dagegen tun, doch ihr Blick fiel wie automatisch in Arnos Schoß. Ein eigenartiger Faltenwurf ließ sie Grandioses erahnen. Der lange Gürtel, der bis hinunter zu den Kniescheiben schlackerte, trieb ihr einen kurzen Schauer über den Rücken. Sie wusste nicht – aus Wonne oder Schrecken.

      Arno grinste und warf ihr einen funkelnden Blick zu.

      Er hat doch nicht bemerkt, dass ich ihm zwischen die ... nein, nein, das kann nicht sein, das darf auf gar keinen Fall sein. Sie stand hektisch auf, sah für einen Wimpernschlag ihr zerwuscheltes Haar in der Emaille der Anrichte gespiegelt. Silvani steckte derweil eine Patrone in das Nespresso-Gerät, schob eine Tasse unter das Ventil. Sie drückte den Startknopf, ein Geräusch, das an eine Bohrmaschine erinnerte, erfüllte die Luft; die Emaille klapperte im Takt gegen den Holzrahmen. „Arno kommt aus Köln, wusstest du das? Schade, dass du beim Umzug nicht dabei sein konntest.“

      „Das macht rein gar nichts“, fiel ihr Arno ins Wort. „War ja meine Schuld, dass es nicht vorgestern Abend schon geklappt hat. Aber ich habe plötzlich einen ersten Auftrag bekommen und der Kunde wollte schon am Vorabend mit mir sprechen. Damit habe ich gar nicht gerechnet, ich öffne ja erst nächste Woche.“

      „Und jetzt rate, was Arno von Beruf ist, Schätzchen!“, rief Silvani und reichte ihm die Tasse Kaffee. „Schwarz, oder?“

      Arno nickte und bedankte sich mit einem innigen Blick.

      „Detektiv!“, platzte es aus Silvani heraus.

      „Na so was“, war das Einzige, was Jenny sagen konnte. Sie war verwirrt durch diese zwei fremden Personen in ihrer Küche. Eigentlich hatte sie gedacht, Silvani zu kennen, aber so tussig hatte sie sie noch nie erlebt. Hatte sie sie tatsächlich eben „Schätzchen“ genannt? Nein, das konnte nicht sein, sie musste sich verhört haben. Aber vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. Fürs Erste beschloss Jenny, sich später mit Arno auseinanderzusetzen. Sie hatten noch ein Hühnchen zu rupfen, aber das musste warten. Sie schob sich an Arno und Silvani vorbei und wunderte sich, wie Silvani den neuen Duft des Waldes in ihrer Wohnung überhaupt wahrnehmen konnte, schließlich steckte sie selbst in einer undurchdringlichen Parfümwolke.

      „Ihr entschuldigt mich, ich muss dringend auf‘s Revier. Ihr kommt sicher auch ohne mich zurecht.“

      3

      Das