Markus Ridder

Das Eisenzimmer


Скачать книгу

säuerlich roch. Eine komische Mischung aus Hefe und Putzmittel mit Zitrusaroma.

      „Alleine, ja.“

      „Wer war noch alles hier gestern Abend?“

      „Gestern ...? Montag. Da ist es immer sehr leer hier. Die Leute nehmen sich nach den durchzechten Wochenenden montags was vor. Weniger trinken, weniger Geld für die Gastronomie ausgeben. Sich auf die Arbeit konzentrieren und so weiter. Ich würde dichtmachen am Montag. Aber geht ja nicht.“ Jetzt zeigte das Kinn in Richtung Treppe. „Hab ja das Hotel. Da bin ich ohnehin hier.“

      „War gar kein Gast da gestern?“

      Er schloss den Hahn und ließ den überlaufenden Schaum in ein anderes Glas tropfen, anschließend hielt er es erneut an die Ausschanksäule und spritzte einen weiteren Schuss Bier ins Glas. „Eigentlich nicht“, sagte er. Dann pulsierte seine Unterlippe nach oben, sodass er für einen Moment noch grimmiger wirkte. Etwas zuckte unter seinem linken Auge. „Außer den Skatbrüdern.“

      Plossila wurde ungeduldig, ballte die Hände zu Fäusten und legte sie auf den Tresen. „Wer ist das?“, fragte er gereizt.

      „Ist eine Runde, die jeden Montag kommt. Sind schon älter. Die treffen um fünf ein und bleiben bis neun. Trinken was, essen was, spielen Karten. Dann werden sie abgeholt. Jeden Montag. Seit Jahren.“

      Plossila zog einen Kugelschreiber aus seiner Brusttasche, suchte nach einem Blatt Papier in seiner Jeans. Da er erfolglos blieb, nahm er sich eine Serviette aus einem Spender, der seitlich vor ihm stand. „Adresse? Telefonnummer?“

      „Keine Ahnung. Aber Sie können gerne nächsten Montag kommen und mit den Herrn reden.“

      „Das ist in einer Woche. Solange können wir nicht warten.“

      „Warum, was hat er denn angestellt, der Herr Middleman?“

      Die Brünette drückte sich erneut an Esch vorbei, um ihre Zettel zu platzieren. Sie schien Plossila für einen Wimpernschlag zu mustern. „Aegidienhof“, sagte sie und drückte sich wieder von der Theke ab.

      Plossila benötigte etwas länger, um die Information zu verarbeiten, war leicht benommen von ihren kastanienfarbenen Augen, über deren Lider sie deutlich zu viel Lidschatten gelegt hatte.

      „Das Altersheim?“, sprang Jenny ein.

      Die Brünette nickte. „Ja, der Skatabend ist ihr Wochenendausflug. Ich habe die Nummer, wenn Sie wollen? Hat mir einer der Pfleger mal aufgeschrieben. Wenn mal was ist. Hat er recht: Kann man nie wissen in dem Alter.“

      „Wie alt sind die denn?“, fragte Plossila, während die Pobacken zur Kasse wackelten.

      „Alt“, sagte die Brünette und zog eine Schublade auf. Sie schrieb die Nummer auf ein Stück Papier und schritt zurück zu den Polizisten. Sie legte den Zettel vor Plossilas Bauch auf den Tresen, der den Kaffeefleck etwa mittig durchschnitt.

      Plossila steckte den Zettel zusammen mit dem Stift in seine Brusttasche. „Können wir das Zimmer von Middleman sehen?“

      „Ich denke, dazu brauchen Sie einen Durchsuchungsbefehl, nicht wahr?“ Esch blickte in Richtung Schlüsselhaken. „Aber Sie können ihn ja selber fragen. Der Schlüssel ist nicht da, wahrscheinlich ist er oben. Zimmer Sechs.“

      Plossila blickte zum Haken, dann zu Jenny und wieder zu Esch. „Ja, da haben Sie recht, warum fragen wir ihn nicht ganz einfach selbst?“

      Zweiter Stock, Plossila war außer Puste. Sein Kreislauf war nicht der Beste, ein leichter Schwindel verwandelte die Welt in ein waberndes Gelee.

      Jenny war vorausgeeilt und schritt den Zeigefinger in die Luft haltend über den Flur an den Türen vorbei. „Fünf ... Sechs. Hier ist es!“ Sie drehte sich um, Plossila spürte ihren Blick, drückte automatisch das Kreuz durch und zog den Bauch leicht ein.

      „Alles in Ordnung? Vielleicht solltest du mal Urlaub machen“, sagte sie schnippisch.“

      Plossila presste die Lippen zusammen und folgte seiner vorlauten Oberwachtmeisterin, die ihr Ohr an die Tür gelegt hatte. „Tut sich was da drinnen?“

      Sie wedelte mit dem Arm, bedeutete ihm, leiser zu sein. Dann blickte sie auf. „Ich höre nichts.“

      „Hätte mich gewundert.“

      Sie legte die Hand auf die Klinke. „Soll ich?“

      Plossila schob Jenny zur Seite. „Nein, lass mich, wer weiß ...“

      „Aber ...“

      Er schickte ihr einen strengen Blick und sie trat mit widerwilligem Blick zur Seite. Anschließend legte er die Hand auf die Klinke, drückte diese langsam herunter. Tatsächlich, die Tür war nicht abgeschlossen. Er gab ihr einen Schubs, damit sie langsam nach innen aufschwingen konnte und zog sich hinter den Türrahmen zurück, presste den Rücken gegen die Flurwand. Die Tür öffnete sich nur einen Spalt, stieß dann gegen irgendetwas auf dem Boden.

      „Hallo, Polizei!“, rief Plossila, doch es kam keine Reaktion.

      Er schickte Jenny einen ratlosen Blick, trat dann an die Schwelle und schob die Tür gegen den Widerstand auf dem Boden weiter auf. Irgendetwas kratzte dahinter über die braunen, stumpfen Teppichfasern.

      Er betrat das Zimmer. Fahles, bleistiftgraues Licht kämpfte sich durch die zugezogenen Vorhänge. Es legte sich wie ein Schleier über einen umgestürzten Stuhl, ein zerrauftes Bett unter einer Schräge, einen kleinen Schreibtisch, Blätter auf der Tischplatte und darunter auf dem Boden. Überall verstreut lagen Socken, Hemden, Schuhe und dergleichen. Plossila blickte zur Tür, hinter der ein durchwühlter Koffer an die Wand gedrückt wurde.

      „Hier war offenbar schon jemand“, hörte er Jenny sagen.

      Plossila machte einen Satz über mehrere Bücher und ein Wirrwarr von Kabeln, dann öffnete er die Badezimmertür. Er tastete nach dem Schalter, nach einer kurzen Verzögerung sprang eine Neonröhre an. „Das Gleiche: Anscheinend hat jemand etwas gesucht“, sagte Plossila und wies mit der Hand über am Boden liegende Rasierklingen, verschiedene Tuben und Döschen, die aus einem ausgeleerten Kosmetiktäschchen in Camouflage-Optik quollen. Handtücher lagen auf den Fliesen und der Badvorhang war halb heruntergerissen, über den Spiegel hatte sich ein unterarmlanger Riss gelegt.

      „Er scheint es eilig gehabt zu haben – so wie es hier aussieht“, sagte Jenny.

      „Ja, und er hat dabei eine Menge Lärm gemacht, vielleicht hat ihn jemand gehört.“

      „Die Tür musste er jedenfalls nicht auftreten“, sie zeigte auf den Schlüssel, der von innen steckte. „Nicht auszuschließen, dass Middleman ihn dabei hatte und der Mörder ihn nach der Tat an sich genommen hat.“

      Plossila nickte.

      „Vielleicht hat ihn auch einfach jemand vom Haken genommen. Glaube nicht, dass das hier jemandem auffallen würde“, sagte Plossila und öffnete einen Kleiderschrank. Die Wäsche war aus den Fächern herausgerissen worden, zwei Böden hingen schief in ihrer Verankerung. Das darüber geklebte Schrankpapier war alt und verblichen, die darauf gedruckten Blumen lagen hinter einem Nebel, den die Jahre hinterlassen hatten. Zwei Jacken hingen unversehrt an ihren Kleiderbügeln.

      „Er scheint auf jeden Fall ein Armee-Freak gewesen zu sein.“ Jenny hielt mehrere Ausgaben einer Zeitschrift mit dem Titel „Military Modelling“ in die Luft, auf der Kettenfahrzeuge und wüstentaugliche Autos zu sehen waren.

      „Ist ja nichts Neues, Engländer sind doch alle irgendwie Kriegsfans. Außerdem ... zeig mal!“

      Jenny reichte ihm die Hefte.

      „Sieht nach jemandem aus, der abends gerne an seiner Modelleisenbahn bastelt – da geht’s um Miniaturen.“

      „Oder es ist einer, der gerne im Wohnzimmer Krieg spielt. Ach, und schau mal hier: Das regt sicher die Fantasie beim Spielen an: David Irving, The Trail of the fox: the life of Field-Marshal Erwin Rommel. Den Namen kenne ich, ist das nicht dieser ...“