Markus Ridder

Das Eisenzimmer


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      „Wann war das?“

      „Kurz nach neun, würde also passen. Der Wagen soll aus einer Parkbucht vor dem Autohaus gefahren sein. Allerdings kann er sich nicht an das Modell des Autos erinnern. Etwas Kleineres, meint er, vielleicht Golf oder Skoda, er wusste es nicht genau.“

      „Wir sollten dieser Autovermietung einmal einen Besuch abstatten“, sagte Jenny und wippte ungeduldig auf ihrem Ball umher.

      „Könnte ich heute Nachmittag übernehmen“, sagte Dollerschell.

      „Was ist eigentlich mit dem Namen auf der Rechnung dieses Autohauses. Der, die wir im Alten Hasen gefunden haben? Hattest du nicht gesagt, dass dir der Name etwas sagt, der hinten drauf gekritzelt war?“

      Plossila hatte gestern nicht mehr erklärt, woher er Adrian von Dost kannte. Er wollte auf Nummer sicher gehen und den Namen abends zunächst bei Google eingeben. Aber er hatte sich nicht getäuscht, die Suchergebnisse ließen keinen Zweifel zu. Er blickte zu Jenny. „Adrian von Dost ist einer dieser rechten Strippenzieher. Er saß ein paarmal im Knast wegen kleinerer Gewaltdelikte, hält sich aber in letzter Zeit vornehm im Hintergrund, sieht sich als Kopf der Bewegung, wenn du so willst. Wir sollten ihn so bald wie möglich in die Mangel nehmen, aber vorher will ich noch etwas mehr über die Hintergründe wissen, vor allem über diesen Dolch.“

      „Wenn er der Kopf dieser Bande ist, passt er vielleicht zu der Beschreibung, die mir der alte Kommissar aus dem Altenheim gegeben hat. Hat Dost so eine Föhntolle?“

      „Wo du es sagst – könnte tatsächlich sein.“

      „Dann wissen wir schon mal, mit wem Middleman noch kurz vor seinem Tod gesprochen hat.“

      „Wir sollten dennoch ein kleines Memo zusammenstellen, über die aktuellen Aktivitäten der Rechtsradikalen in den angrenzenden Landkreisen. Dollar, kannst du das ebenfalls übernehmen?“

      „Muss es wirklich ein Memo sein? Reicht es nicht, wenn wir unseren Experten in Sachen Extremismus befragen oder ihn kurz referieren lassen?“, fragte Dollerschell.

      „Auch gut, wer sitzt derzeit auf dem Thema?“

      „Mäuser.“

      Plossila zuckte leicht zusammen, als er den Namen seines Kollegen hörte. Er war heute Morgen nicht gerade freundlich mit ihm umgegangen, nicht auszuschließen, dass Mäuser eine Entschuldigung erwartete oder zumindest eine Erklärung. Das Baby in seinem Arm schien seine Nervosität zu spüren, wurde ebenfalls unruhig und begann, unregelmäßige Quieklaute auszustoßen.

      „Gut, dann soll er das tun. Hier ist deine Kleine ...“ Plossila schob das Baby auf den Arm seines Vaters, wo es von alleine den Schnuller fand, der nach wie vor an einem grünen Band von Dollars Pullover baumelte. Es war augenblicklich still. „Jenny und ich werden zu diesem Waffenhändler in der Landsberger fahren und schauen, was sich da ergibt.“ Er blickte auf das Kind: „Wenn ich das richtig verstanden habe, kannst du ja bis mittags ohnehin schlecht weg.“

      Die Antik- und Waffenloge lag etwas von der Straße zurückgesetzt, ein weißer Stuhl stand seitlich vor der Tür, die dennoch geschlossen war. Das Schaufenster wurde von einer schellackpolierten Kommode mit bauchigen Schubladen und verzierten Beschlägen eingenommen, daneben befand sich eine Vitrine, die aus Plossilas Sicht allerlei Nippes enthielt: geblümte Vasen, grün angelaufene Münzen, ein Marmor-Pferd, das auf den Hinterbeinen stand, goldgerahmte Eierbecher, kleine Tässchen und schwarze Figuren mit roten Mützen, die offenbar Mohren darstellen sollten. Waffen sah Plossila fürs Erste nicht.

      Er rüttelte an der Tür, doch schien sie abgeschlossen. „Komisch, lässt seinen Stuhl hier draußen stehen und macht die Biege“, sagte er.

      Jenny legte eine Hand an die Scheibe und blickte hinein. „Da hinten tut sich was.“

      Plossila sah, wie im Inneren ein Licht eingeschaltet wurde, ein dunkler Schatten fiel auf die Auslage hinter der Glasscheibe, dann zog jemand einen grünen Samtvorhang zur Seite, Glöckchen bimmelten. Die Tür öffnete sich.

      „Entschuldigen Sie, ich musste nur kurz etwas erledigen. Warten Sie schon lang?“

      Vor ihnen stand ein kleiner weißhaariger Mann, dessen Haare nach rechts abstanden, als herrsche Wind von links. Er trug einen marineblauen Pullover, über dessen Ausschnitt sich der Kragen eines olivgrünen, verwaschenen Polohemds krümmte. Plossila konnte sich nicht helfen, doch der Mann wirkte auf ihn wie eine vertrocknete Pflanze.

      Plossila hielt ihm seine Marke unter die Nase. „Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck, wir müssten kurz mit Ihnen sprechen.“

      Der Mann betrachtete die Marke. „Und ich dachte schon, Sie wären ein Kunde. Sie wären der erste gewesen heute. Aber bitte, kommen Sie rein!“

      Sie folgten dem Mann in den Laden. In Plossilas Blick fiel ein gedrungener Schrank mit eigenartigen Schnörkeln, auf dem ein kleines Schild angebracht war. „Louis Philippe, 1.300 Euro“, murmelte er vor sich hin. „Alle Achtung.“ Plossila hatte keine Ahnung von Antiquitäten, aber dass ein so kleiner Schrank, der mit Sicherheit schon den Holzwurm zu Gast hatte, so teuer war – damit hätte er nicht gerechnet. Er schritt weiter in den röhrenartigen Raum hinein, in dessen Flucht eine geöffnete Tür zu sehen war, die in eine Werkstatt zu führen schien, jedenfalls glaubte Plossila, eine Werkbank zu erkennen. Linker Hand befanden sich ausschließlich Weichholzmöbel, die meisten von ihnen lieblos mit weißem Lack überpinselt. Auch von diesen Möbeln war keines unter eintausend Euro zu haben.

      „Dann ist das hier wohl Shabby-Chic“, sagte Jenny und strich mit ihrer Hand über das Aufsatzstück eines Büfettschranks mit gedrechselten Säulen.

      Der alte Mann drehte sich um, seine wässrigen Augen weiteten sich leicht. „Sie scheinen sich offenbar ein wenig auszukennen, Frau Kommissarin.“

      „Oberwachtmeisterin“, sagte Jenny und hob die linke Augenbraue.

      Plossila war überrascht, er hätte nicht gedacht, dass seine Kollegin ein Faible für Antiquitäten hatte, doch erinnerte er sich an ihren letzten Fall. Seinerzeit hatte sie sich schon als Kennerin klassischer Musik erwiesen. Sie war wirklich immer wieder für eine Überraschung gut. Er wendete sich dem Mann zu. „Wir kommen nicht wegen der Antiquitäten, sondern hatten gehofft, Sie handelten auch mit alten Waffen“, sagte er.

      Der Mann drehte sich kurz zu Plossila um, setzte dann den Weg zur Kasse fort. Es war eine alte Kasse mit rotem Holzfurnier, zahlreichen undefinierbaren Knöpfen und einer Kurbel an der Seite. Sie stand auf einem Holztisch mit Intarsien und geschnitzten Löwenköpfen am oberen Ende der Tischbeine. Er ging um den Tisch herum, stellte sich neben einen Stuhl mit geflochtener Sitzfläche, blieb aber stehen.

      „Waffen, ja ... Ich habe damit angefangen, damals. Mit alten, unbrauchbaren Dekorationswaffen und Möbeln. Wegen der Waffen habe ich aber Ärger bekommen, da ist ein Kindergarten die Straße hoch, Eltern haben sich immer wieder beschwert. Also habe ich Waffen und Militaria ausgelagert. Zuerst in meine Wohnung ... das komplette Haus gehört mir, die Wohnung liegt also direkt über dem Ladengeschäft, was praktisch war ...“ Er blickte andächtig zur Decke hinauf. „Danach habe ich aber einen Großteil in ein externes Lager verbracht, ich wollte nicht mit den Büsten der Diktatoren im Wohnzimmer leben, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wer Interesse daran hat oder etwas Bestimmtes sucht, kann mich im Laden kontaktieren, und wenn ich es im Lager habe, bringe ich es hierher.“ Er sah Plossila erwartungsfroh an. „Suchen Sie etwas Bestimmtes?“

      Plossila zog die Tüte mit dem SS-Dolch hervor. „Wir wollten Sie eher um Ihre Einschätzung als Experte bitten.“ Er nahm den Dolch aus der Tüte. „Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?“

      Der Mann nahm den Dolch, spitzte leicht die Lippen, als schmecke er eine Soße ab, dann legte er die Waffe auf den Tisch. Er schob eine Hand unter den Pullover, begann, sich die Brust abzutasten, und zog dann eine eingeklappte Lesebrille heraus. Mit der Brille auf der Nase nahm der den Dolch erneut auf, spitzte wieder die Lippen. Nach einer Weile des Guckens und Spitzens sah er auf: „Es ist ein SS-Ehrendolch, mit ziemlicher Sicherheit ein Original.“

      „Kommt