Eva Markert

Potpourri des Bösen


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ganz hinten lag eine Karte: „Herzlichen Glückwunsch! Sie haben es geschafft! Gleich erhalten Sie einen Anruf und dann werden Sie die Pforten des Paradieses aufstoßen.“

      „Die Pforten des Paradieses aufstoßen“, das klang vielversprechend. Er konnte sich schon denken, was das bedeutete. Und er war auch schon wieder bereit. Anders ausgedrückt: Er war haargenau in der richtigen Stimmung dafür. Eins musste man der Organisatorin mit der erotischen Stimme lassen: Die Rallye eignete sich hervorragend, um einen Mann wie ihn auf Abenteuer vorzubereiten.

      Timo dachte wieder an Gina. Er liebte Frauen, die hart im Nehmen waren, und hart im Nehmen war sie. Nicht nur Gina übrigens. Aber sie war ihm die Liebste gewesen. Hätte er sich doch besser unter Kontrolle gehabt! Zum Glück wurden die Umstände ihres Todes nie vollständig geklärt. Und nicht nur ihres Todes. Die Mordserie in der Stadt erregte viel Aufsehen, doch bisher tappte die Polizei völlig im Dunkeln.

      Erinnerungen schoben sich zwischen ihn und den schwarzen Schlund des Schließfaches. Sein Atem beschleunigte sich. Ab und zu musste er sie einfach spüren, diese fiebrige Erregung, wenn er mit den Fingerspitzen über einen weichen Hals strich, die Kehle fühlte und zudrückte, erst leicht, dann stärker. Er liebte es, wenn die Frau unter ihm vibrierte, sich wand in ihrer Lust, und er presste stärker, bis sie die Augen aufriss, ihm auf den Rücken schlug als Zeichen, dass es genug war, doch er ließ nicht von ihr ab, nicht sofort, sie bäumte sich auf, hatte sie einen Orgasmus?, er dehnte es länger aus, nur noch ein wenig, es war gefährlich, das wusste er, nur noch einen Augenblick, einen winzigen Augenblick, gleich würde er aufschreien, schwelgen, Erlösung würde ihn durchfluten ...

      Das Klingeln seines Mobiltelefons riss ihn aus seinen Träumen. Er erkannte die Stimme sofort.

      „Sind Sie so weit?“ Das heisere Lachen. „Gleich werden Sie die Pforten des Paradieses aufstoßen. Bahnhofstraße 14, dritter Stock.“

      Die Leitung war tot.

      Nummer 14 stellte sich als ziemlich schäbiges Mietshaus heraus. Im Treppenhaus roch es nach Zwiebeln. War er hier wirklich richtig? Eilig stieg Timo die Stufen nach oben.

      Er war richtig. Maja öffnete ihm die Wohnungstür. Sie trug einen kurzen seidenen Morgenmantel und er hätte wetten können, dass sie darunter nackt war.

      „Komm herein.“ Ihre Stimme klang verheißungsvoll.

      Sie trat zurück. Der Seiten des Mantels klafften ein kleines Stück auseinander. Er starrte auf die dunkle Stelle, die er zwischen ihren Oberschenkeln erahnen konnte.

      Sie drehte sich um und ging mit wiegenden Schritten vor ihm her. „Möchtest du vorher etwas trinken? Wasser vielleicht? Oder Wein?“

      „Wasser, bitte.“

      Timo sah sich um. Der Raum war sehr hell und spärlich eingerichtet. Sollte er hier wirklich die Pforten des Paradieses aufstoßen? Etwas ernüchtert ließ er sich in einen Sessel fallen.

      Das Wasser, das Maja ihm brachte, war kalt und bitter, fast ungenießbar. Oder lag es an dem üblen Geschmack in seinem Mund? Nur weil er Durst hatte, stürzte er es hinunter. Maja schenkte ihm nach.

      Er gähnte. Müdigkeit überfiel ihn mit einer Plötzlichkeit, die ihn überraschte. Er schaffte es nicht, dagegen anzukämpfen. Es tat so gut, den Kopf nach hinten zu lehnen und die brennenden Augen zu schließen. Nur einen Moment ...

      Timo fuhr hoch. War er tatsächlich eingenickt?

      Er wollte nach dem Wasserglas auf dem Tisch greifen, aber es ging nicht wegen seiner gefesselten Hände. Er sprang auf und fiel sofort in den Sessel zurück, denn seine Knöchel waren ebenfalls mit einer Schnur zusammengebunden.

      Als er das kratzige Lachen hörte, sah er, dass die Frau mit der wilden, blonden Mähne und dem Minirock neben Maja stand. Die beiden kamen auf ihn zu. Ihnen folgte ein Mann. Timo kam es so vor, als ob er ihm heute schon ein paar Mal begegnet wäre. Erst jetzt bemerkte er, dass sein Sessel von Scheinwerfern ausgeleuchtet wurde.

      Der Mann baute eine Kamera auf und probierte verschiedene Einstellungen aus.

      „Binden Sie mich auf der Stelle los!“

      Die drei Personen taten, als wäre er gar nicht da.

      „Harry, hast du das Material schon überprüft?“, fragte Maja den Mann.

      „Hat alles geklappt. Die Kamera, mit der ich ihn während der Rallye gefilmt habe, ist zwar winzig, aber sehr leistungsfähig.“

      „Und die Aufnahmen von der Peepshow?“

      Der Mann grinste. „Die sind die besten. Bisher zumindest.“

      Sie lachten.

      „Was soll das?“, schrie Timo.

      Auf jeden Fall haben wir genug Material für einen Film.“

      „Ich bring gleich alles ins Paradies der Lüste“, sagte Maja. „Die können die Szenen zusammenschneiden.“

      Timo geriet immer mehr in Panik. „Hören Sie auf damit!“

      „Ich wär’ dann so weit.“ Ungerührt stellte Harry die Kamera an. „Und los!“

      Maja schritt mit wiegenden Hüften auf Timo zu, bis ihre Beine seine Knie berührten. Sie entblößte ihn. Dann ließ sie langsam ihren Morgenmantel zu Boden gleiten. „Nun wirst du die Pforten des Paradieses aufstoßen.“ Sie lächelte, spreizte ihre Schenkel und setzte sich rittlings auf seinen Schoß. Mit geschickten Fingern machte sie sich an ihm zu schaffen, wippte in rhythmischen Bewegungen auf und ab und rieb sich an ihm, während der Mann um den Sessel herumlief und filmte.

      „Gefällt es dir, gefesselt zu sein?“ Ehe er antworten konnte, beugte sie sich über ihn und stieß ihm ihre Zunge in den Mund.

      Die Kamera surrte.

      „Lassen Sie mich!“, würgte Timo und versuchte, Maja abzuwehren.

      „Scheiße!“, fluchte Harry.

      „Das macht nichts. Wir schneiden es später raus“, meinte die Frau mit der kratzigen Stimme.

      Timo versuchte zu schreien und den Kopf wegzudrehen.

      „Scht!“ Majas kleine feste Hand legte sich auf seinen Mund. „Sei still! Das Paradies wartet.“

      Mit einem Mal krallten sich ihre Finger um seinen Hals und drückten mit erstaunlicher Kraft zu. Er zappelte, trat um sich, seine Augen quollen hervor, er bäumte sich auf. Doch es war sinnlos. Er musste sich ihr überlassen. Noch einmal dachte er an Gina. Und an all die anderen. Dann verschluckte ihn Dunkelheit.

      Glücksfälle

      Die Umstände waren für Gerrit ausgesprochen günstig.

      Da war zum Beispiel der glückliche Zufall, dass sein Bruder Frank ein Bein in Gips hatte. Dass er sich das Bein ausgerechnet im Sommer gebrochen hatte, war ein weiterer Glücksfall. Und dies waren nicht die einzigen glücklichen Fügungen ...

      Die Vorbereitungen waren denkbar einfach. Zunächst brauchte er ein starkes Schlafmittel. Kein Problem. Er hatte ein ganzes Arsenal davon in seinem Medizinschrank. Sein Arzt war beim Verschreiben von Medikamenten noch nie zimperlich gewesen.

      Der Rest war ebenfalls ein Kinderspiel. Alles, was er noch benötigte, waren Gläser, Limonade, Bierdeckel, ein wenig Zucker und eine Zeitung.

      Als er morgens aufwachte und sah, dass es ein warmer, sonniger Spätsommertag werden würde, beschloss er spontan, dass Franks letzter Lebenstag angebrochen war. Allzu lange durfte er sowieso nicht mehr warten, denn der Gips sollte bald abgenommen werden.

      Es würde ein glücklicher Tag werden, das spürte er, obwohl er sich nicht besonders fit fühlte. Seit gestern Abend kribbelte seine Nase und er hatte leichte Kopfschmerzen.

      Egal. Der Tag der Freiheit war gekommen. Er würde endlich den ungeliebten Job in der Papierfabrik aufgeben und Pferde züchten können. Pferde