Michael Bardon

Mörderische Spiele


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Herr Ali jetzt?«, fragte der Kommissar und blickte sich suchend um.

      »Er macht gerade seine Zeugenaussage. Meine wurde von euren Kollegen bereits aufgenommen.«

      Brittas Blick ruhte für einen Moment auf meinen Schülern und eine besorgte Falte legte sich über ihr sommersprossiges Gesicht. Nachdenklich wanderte ihr Blick durch den Wald, als sie fragte: »Haben deine Schüler viel von der ganzen Sache mitbekommen? Ich meine, haben sie die Tote gesehen oder waren sie die ganze Zeit hier unten?«

      »Naja«, sagte ich und setzte mich auf einen Stapel Baumstämme, »sie haben natürlich die Schreie der beiden Frauen gehört und sind Ali und mir gefolgt. Die meisten dürften einen Blick auf die tote Frau erhascht haben. Schau dir ihre Gesichter an! Die sprechen doch Bände, oder?«

      »Verdammt, das ist nicht gut. Meinst du, dass wir Psychologen für deine Schüler anfordern sollten?«

      »Kann auf jeden Fall nicht schaden«, sagte ich.

      »Ich habe bereits unseren Schulleiter verständigt und mit Pfarrer Milch gesprochen. Sie sind beide auf dem Weg hierher und werden in Kürze eintreffen. Ich mache mir große Sorgen um meine Schüler. Sie wirken zwar ruhig und machen einen auf cool, aber wie es in ihrem Inneren aussieht, will ich mir gar nicht vorstellen«, meinte ich.

      »Gut, ich kümmere mich um alles. Mach dir keine Gedanken, für deine Schüler wird bestens gesorgt«, erwiderte die Kommissarin und schaute sich erneut suchend um.

      »Nach was schaust du dich denn immer um? Suchst du irgendwas?«, fragte nun der Kommissar und blickte sich ebenfalls um.

      »Keine Ahnung! Ich habe irgendwie das Gefühl, ständig angestarrt zu werden. Irgendjemand ist da draußen und beobachtet uns! Ich kann es förmlich spüren. Jede Faser meines Körpers signalisiert mir Gefahr«, sagte die Kommissarin mit unsicherer Stimme.

      »Sicher treiben sich bereits ein paar Reporter hier im Wald herum«, meinte Kommissar Bach und unterstrich seine Worte mit einer abfälligen Geste.

      »Oder der Täter beobachtet uns aus sicherer Entfernung!«, warf ich ein und blickte mich ebenfalls suchend um.

       *

      Das Kätzchen da unten gefiel ihm. Das war eine Frau nach seinem Geschmack. Gebannt schaute er durch seinen Feldstecher und verfolgte jede ihrer Bewegungen. Sie war geschmeidig wie eine Wildkatze und bestimmt auch ebenso gefährlich. Ihr schönes, schulterlanges Haar wehte verführerisch im Wind und schien ihm geradezu zuzuwinken.

      Nach so einer Frau hatte er gesucht! Von so einer Frau hatte er sein Leben lang geträumt! Sie war das perfekte Gegenstück zu seiner Nummer 1: blond, ein wenig blasshäutig und von extrem zartem Körperbau. Aber alles an ihr schien wohl proportioniert und wirkte absolut perfekt.

      Seine Nummer 1 hingegen hatte dunkelbraune Haare, sonnengebräunte Haut und eine umwerfend weibliche Figur. Zwei Frauen, die gegensätzlicher nicht sein konnten. Zwei Frauen, die das wilde Verlangen nach Sex, Liebe und Zärtlichkeit in ihm weckten.

      Diese beiden Schlampen von vorhin waren einfach nur hässlich gewesen. Die eine pummelig und die andere groß und hager. Was sollte man mit solchen Weibern anfangen?

      Welcher Mann würde sich für so hässliche Frauen überhaupt interessieren?

      Eigentlich hätte ich die Welt von diesen Geschöpfen befreien müssen, dachte er und Ekel stieg in ihm auf. Stattdessen war er gnädig gewesen und hatte sie nur erschreckt.

      Spontan hatte er den Entschluss gefasst, die beiden Frauen am Leben zu lassen und sie der Menschheit als lebendigen Köder wieder zurückgegeben. Sie sollten der Garant für viele neugierige Menschen sein, die seinen Wald von nun an bevölkern würden.

      So waren die Menschen nun einmal. So funktionierten sie eben! Allein das Wissen um eine schreckliche Tat reichte schon aus, um die Neugierde der Menschen zu entfachen. Man liebte das Gute, wurde jedoch von dem Bösen magisch angezogen.

      Ein Schauer der Lust lief über seinen Rücken und zwischen seinen Beinen fühlte er ein wildes, ungezügeltes Verlangen. Sein Blick ruhte noch immer auf der schönen blonden Frau. Gerade sprach sie mit diesem großen dunkelhaarigen Typ, der mit einem Haufen Jugendlicher in seinen Wald eingefallen war.

      »Dich kenne ich doch. Du bist der Typ aus Frankfurt. Und in der Garage habe ich dich auch gesehen. Du hast dort mit einem Mann gekämpft und mit meiner Nummer 1 gesprochen. Warum mischst du dich schon wieder in Dinge ein, die dich nichts angehen?«, murmelte er leise vor sich hin.

      Wahrscheinlich ist der Typ Lehrer oder Sozialarbeiter und hat mit seinen Schülern einen Wandertag veranstaltet, dachte er und rümpfte die Nase.

      Wandertag. Nannte man das überhaupt noch so? Oder hatten die jungen Leute dafür auch schon wieder einen anderen Namen gefunden? Heute musste bei denen ja alles englisch klingen! Wo blieb nur die schöne, deutsche Sprache?

      Verrückte Zeit! Verrückte Welt! Verrückte Menschen, dachte er angewidert und verzog sein Gesicht zu einer schrumpeligen Maske.

      Doch er würde sich diesem Zwang bestimmt nicht unterordnen. Nein! Er, der Fuchs, spielte nach seinen eigenen Regeln. Er war der Herrscher über Leben und Tod. Über Freiheit und Gefangenschaft. Wer sich in seiner Falle verfing, durfte nicht auf Gnade hoffen

      Ein letztes Mal blickte er zu der blonden Frau herunter, dann flüsterte er mit leiser Stimme: »Und du, meine kleine Wildkatze, wirst mir auch bald gehören. Das verspreche ich dir!«

      Behutsam nahm er den Feldstecher herunter, verstaute ihn sorgfältig in seinem olivfarbenen Rucksack und verließ seinen Platz unter dem großen, knochigen Baum. Es wurde Zeit, dass er wieder nach seiner Nummer 1 sah. Bestimmt wartete sie bereits voller Ungeduld auf ihn. Er jedenfalls konnte es kaum noch erwarten, ihren erregenden, wohlgeformten Körper zu liebkosen.

      Und vielleicht, aber nur vielleicht, würde er ihr sogar etwas von dieser schönen, blonden Frau erzählen.

      8

      Wild entschlossen umfasste sie die Glieder der Kette, stemmte die Füße gegen die Wand und legte alle Kraft in ihre Beine.

      Mit einem unterdrückten Schrei spannte sie ihre Muskeln und stieß sich ruckartig von der Wand ab. Die Ketten klirrten leise, ihre Muskeln zitterten unkontrolliert. Sie bog ihren Oberkörper noch etwas weiter zurück und zog noch einmal mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte.

      Erschöpft hielt sie inne, setzte sich auf das Bett und begutachtete ihr Werk. Natürlich hatte sie die starke Gliederkette nicht aus der Wand reißen können. Doch an zwei der ineinander geflochtenen Stahl-Enden taten sich bereits kleine Lücken auf. Nur kleine, wirklich winzige Lücken, aber dennoch real vorhanden – der Lohn für ihre stundenlangen Mühen.

      Wer weiß, vielleicht gelingt es mir ja eines Tages, diese Kette zu sprengen, dachte sie voller Hoffnung. Irgendwann wurde auch das härteste Metall spröde und brüchig.

      Irgendwann würden sich die Glieder der Kette vielleicht verbiegen lassen. Dann war sie frei und würde nicht mehr wie ein Hofhund an der Leine liegen. Das war ihr großes Ziel, ihr Antrieb. Endlich ihre Fesseln abzustreifen und diesem Psychopathen die Stirn zu bieten.

      Ein letztes Mal für heute, dachte sie und erhob sich stöhnend von ihrem Bett. Ihre Muskeln schmerzten fürchterlich und ein feiner Schweißfilm bedeckte ihren nackten Körper. Sie atmete noch einmal tief durch, sammelte ihre Kraft und wiederholte diese Prozedur zum hundertsten Mal.

      Ein Krampf in ihrem Bein ließ sie laut aufstöhnen. Widerstrebend glitten ihre Hände von der Kette und sie humpelte zurück zu ihrem Bett. Ihr Atem ging stoßweise, ihr Herz hämmerte schmerzhaft gegen ihre Brust. Mechanisch tastete sie nach ihrem Bein und massierte ihre verkrampften Muskeln.

      Eine Woge der Erschöpfung breitete sich in ihr aus und bleierne Müdigkeit umspülte ihre Glieder. »Für heute habe ich genug getan«,