George Eliot

Middlemarch


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ja ganz betroffen aus. Wissen Sie etwas von ihr?«

      »Ich weiß, daß sie mit meinem Vetter verheiratet ist,« erwiderte Will Ladislaw, indem er mit einem präokkupierten Gesicht dem Ausgang der Halle zuschlenderte, während sein deutscher Freund sich dicht neben ihm hielt und ihn scharf beobachtete.

      »Was, der Clergyman? der sieht ja mehr wie ein Onkel oder so eine brauchbare Art von Verwandten aus.«

      »Er ist nicht mein Onkel, ich sage Ihnen, er ist mein Großcousin,« sagte Ladislaw etwas gereizt.

      »Schön, schön, beißen Sie mich nur nicht. Sie sind doch nicht böse auf mich, weil ich die Frau Großcousine für die schönste junge Madonna halte, die ich je gesehen habe?«

      »Böse? Unsinn. Ich habe sie bisher nur einmal, auf einige Minuten gesehen. Es war kurz vor meiner Abreise von England, als mein Vetter sie mir vorstellte. Sie waren damals noch nicht verheiratet und ich wußte nicht, daß sie nach Rom kommen würden.«

      »Aber Sie werden sie doch jetzt aufsuchen – Sie werden ihre Adresse leicht herausbringen können, da Sie ja den Namen wissen. Wollen wir nach der Post gehen? Und dann könnten Sie über das Porträt reden.«

      »Hol' Sie der Henker, Naumann! Ich weiß noch gar nicht, was ich tun werde. Mir fehlt Ihre edle Dreistigkeit.«

      »Bah! Das kommt, weil Sie die Kunst dilettantisch treiben. Wenn Sie ein echter Künstler wären, würden Sie in der Frau Großcousine nur die antiken, von christlichem Gefühl beseelten Formen erblicken – eine Art christlicher Antigone – sinnliche durch Exaltation der Seele bezwungene Kraft.«

      »Jawohl, und begreifen, daß der Hauptzweck ihres Daseins der sei, von Ihnen gemalt zu werden – die Gottheit, die sich in ihrer Vollkommenheit selbst überbietet, bis sie Ihr Stückchen Leinwand bedeckt und damit so ziemlich ihre Bestimmung erfüllt hat. Nennen Sie mich meinetwegen dilettantisch, ich bin nicht der Ansicht, daß das ganze Universum nur auf die dunkle Bedeutung Ihrer Bilder hinarbeitet.«

      »Das tut es aber doch, mein Lieber! – sofern es durch mich, Adolf Naumann, arbeitet, das steht fest,« sagte der gutmütige Künstler, der sich durch die unerklärliche Anwandlung von übler Laune bei Ladislaw nicht im Mindesten irre machen ließ, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte. »Begreifen Sie nicht, daß meine Existenz die Existenz des ganzen Universums voraussetzt? Und mein Beruf ist zu malen, und als Maler habe ich eine durchaus schöpferische Auffassung von Ihrer Großtante oder Urgroßmutter, als einem Vorwurf für ein Bild; daher arbeitet das Universum durch die besondere Klaue, welche es in Gestalt meiner Person ausstreckt, auf dieses Bild hin – ist das nicht wahr?«

      »Aber wie, wenn eine andere Klaue in Gestalt meiner Person darauf hin arbeitete, es zu vereiteln? – die Sache wäre dann etwas weniger einfach.«

      »Durchaus nicht: das Ergebnis des Kampfes würde, gleichviel ob Bild oder Nichtbild, dialektisch doch immer dasselbe sein.«

      Diese unerschütterlich gute Laune wirkte unwiderstehlich auf Will, und durch die Wolke auf seiner Stirn brach lachender Sonnenschein.

      »Kommen Sie, lieber Freund, Sie helfen mir, nicht wahr?« sagte Naumann in einem hoffnungsvollen Ton.

      »Nein, nein, Unsinn, Naumann! Englische Damen sitzen nicht Jedem wie Modelle, und Sie wollen mit Ihrer Malerei zu viel ausdrücken, Sie würden doch nur ein mehr oder weniger gutes Porträt mit einem Hintergrunde machen, für oder gegen welchen sich jeder Kenner aus besondern Gründen aussprechen würde. Und was kann ein Porträt von einer Frau wiedergeben? Euer Malen und Bildhauen ist doch am Ende nur ein armseliges Tasten; es macht schöpferische Ideen nur unklar und stumpft ihre Wirkungen ab, anstatt sie zu verklären, – da ist die Sprache doch ein besseres Medium.«

      »Ja, für die, welche nicht malen können,« sagte Naumann. »Darin haben Sie vollkommen Recht. Ich habe Ihnen auch nicht geraten zu malen, lieber Freund.«

      Der liebenswürdige Künstler hatte gut getroffen, aber Ladislaw zog es vor zu tun, als ob er den Stich nicht gefühlt habe. Und fuhr fort, als ob er seinen Freund nicht verstanden habe.

      »Die Sprache vermag ein volleres Bild zu geben, das nur um so tiefer wirkt, je weniger feste Formen es hat. Das wahre Sehen geschieht doch schließlich mit dem geistigen Auge, und gemalte Bilder starren uns wie eine festgebannte Unvollkommenheit an. Das fühle ich namentlich bei Frauenbildern. Als ob ein Weib nichts wäre als eine bunte Oberfläche! Vergebens sucht man nach Bewegung und Ton. Und doch wechselt der Ausdruck der Frauen mit jedem Atemzuge. Diese Frau, zum Beispiel, die Sie eben gesehen haben – sagen Sie mir doch bitte, wie Sie ihre Stimme malen wollten. Ihre Stimme ist aber noch viel göttlicher als irgend etwas, was Sie an ihr gesehen haben.«

      »O, ich begreife, Sie sind eifersüchtig. Kein Mensch darf sich anmaßen, einem Andern sein Ideal zu Dank zu malen. Die Sache scheint ernsthaft, lieber Freund, Ihre Großtante, – ›der Neffe als Onkel‹, im tragischen Sinn, – das ist ungeheuer!«

      »Naumann, ich werde wirklich böse, wenn Sie diese Dame noch einmal meine Tante nennen.«

      »Wie soll ich sie denn nennen?«

      »Frau Casaubon.«

      »Gut, wie wäre es aber, wenn ich Ihnen zum Trotz ihre Bekanntschaft machte, und fände, daß sie lebhaft wünscht gemalt zu werden?«

      »Ja, wie wäre es,« murmelte Will Ladislaw geringschätzig und wollte damit den Gegenstand fallen lassen. Er war sich bewußt, sich durch lächerlich kleine Ursachen, welche er sich noch überdies großenteils einbildete, verstimmen zu lassen. Wie kam er dazu, so viel Aufhebens von Frau Casaubon zu machen? Und doch war ihm zu Mute, als ob sich für ihn mit Bezug auf sie etwas ereignet habe.

      Es gibt Charaktere, die sich fortwährend Kollisionen und Verwicklungen in Dramen schaffen, welche kein Mensch mit ihnen spielen will. Ihre Empfindlichkeit stößt sich beständig an Objekten, welche in ihrer Harmlosigkeit von dem Stoß ganz unberührt bleiben.

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