Ein Streich vom Schwerte steigerte noch seine Wut, der Schlund schwoll
ihm auf, und weißer Schaum floß aus dem giftigen Rachen. Aufrechter als ein Baumstamm schoß der
Drache hinaus, dann rannte er mit der Brust wieder gegen die Waldbäume. Agenors Sohn wich dem
Anfalle aus, deckte sich mit der Löwenhaut und ließ die Drachenzähne an der Lanzenspitze sich
abmüden. Endlich fing das Blut an, denn Untier aus dem Halse zu fließen, und rötete die grünen
Kräuter umher; aber die Wunde war nur leicht, denn der Drache wich jedem Stoß und Stiche aus und
verstattete den Streichen nicht, fest zu sitzen. Zuletzt jedoch stieß ihm Kadmos das Schwert in die
Gurgel, so tief, daß es hinterwärts in einen Eichbaum fuhr und mit dem Nacken des Ungeheuers
zugleich der Stamm durchbohrt wurde. Der Baum wurde von dem Gewichte des Drachen
krummgebogen und seufzte, weil er seinen Stamm von der Spitze des Schweifes gepeitscht fühlte.
Nun war der Feind überwältigt.
Kadmos betrachtete den erlegten Drachen lange; als er sich wieder umsah, stand Pallas Athene, die
vom Himmel herniedergefahren war, zu seiner Seite und befahl ihm, sofort die Zähne des Drachens
als Nachwuchs künftigen Volkes in aufgelockertes Erdreich zu säen. Er gehorchte der Göttin, öffnete
mit dem Pflug eine breite Furche auf dem Boden und fing an, die Drachenzähne, wie ihm befohlen
war, die Öffnung entlang auszustreuen. Auf einmal begann die Scholle sich zu rühren, und aus den
Furchen hervor blickte zuerst nur die Spitze einer Lanze, dann kam ein Helm hervor, auf welchem ein
farbiger Busch sich schwenkte, bald ragten Schulter und Brust und bewaffnete Arme aus dem Boden,
und endlich stand ein gerüsteter Krieger da, vom Kopf bis zum Fuße der Erde entwachsen. Dies
geschah an vielen Orten zugleich, und eine ganze Saat bewaffneter Männer wuchs vor den Augen des
Phöniziers empor.
Agenors Sohn erschrak und war gefaßt darauf, einen neuen Feind bekämpfen zu müssen. Aber einer
von dem erdentsprossenen Volke rief ihm zu: »Nimm die Waffen nicht, menge dich nicht in innere
Kriege!« Sofort holte dieser auf einen der ihm zunächst aus der Furche hervorgekommenen Brüder
mit einem Schwertstreich aus; ihn selbst streckte zu gleicher Zeit ein Wurfspieß nieder, der aus der
Ferne geflogen kam. Auch der, welcher ihm den Tod gegeben, verhauchte unter einer Wunde den
kaum empfangenen Lebensatem bald wieder. Der ganze Männerschwarm tobte in fürchterlichem
Wechselkampfe; fast alle lagen mit zuckender Brust auf dem Boden, und die Mutter Erde trank das
Blut ihrer eben erst geborenen Söhne. Nur fünf waren übriggeblieben. Einer davon ‐ er ward später
Echion genannt ‐ warf zuerst auf Athenes Geheiß die Waffen zur Erde und erbot sich zum Frieden;
ihm folgten die anderen.
Mit dieser fünf erdentsprossenen Krieger Hilfe baute der phönizische Fremdling Kadmos die neue
Stadt, dem Orakel des Phöbos gehorsam, und nannte sie, wie ihm befohlen war, Theben.
Pentheus
Zu Theben ward Bakchos oder Dionysos, der Sohn des Zeus und der Semele, der Enkel des Kadmos,
wunderbar geboren, der Gott der Fruchtbarkeit, der Erfinder des Weinstocks. In Indien erzogen,
verließ er bald die Nymphen, seine Pflegerinnen, und durchreiste die Länder, um allenthalben die
Menschen zu bilden, den Bau des herzerfreuenden Weines zu lehren und die Verehrung seiner
Gottheit zu gründen. So gütig er gegen seine Freunde war, so hart bestrafte er diejenigen, die seinen
Gottesdienst nicht anerkennen wollten. Schon war sein Ruhm durch die Städte Griechenlands und bis
zur Stadt seiner Geburt, nach Theben, gedrungen. Dort aber herrschte Pentheus, welchem Kadmos
das Königreich übergeben hatte, der Sohn des erdentsprossenen Echion und der Agave, einer
Mutterschwester des Bakchos. Dieser war ein Verächter der Götter und zumeist seines Verwandten,
des Dionysos. Als nun der Gott mit seinem jauchzenden Gefolge von Bakchanten herannahte, um
sich dem Könige von Theben als Gott zu offenbaren, hörte dieser nicht auf die Warnung des blinden,
greisen Sehers Tiresias, und als ihm die Nachricht zu Ohren kam, daß auch aus Theben Männer,
Frauen und Jungfrauen zur Verehrung des neuen Gottes hinausströmten, fing er an ergrimmt zu
schelten: »Welch ein Wahnsinn hat euch betört, ihr drachenentsprossenen Thebaner, daß euch, die
kein Schlachtschwert, keine Trompete jemals geschreckt hat, jetzt ein weichlicher Zug von
berauschten Toren und Weibern besiegt? Und ihr Phönizier, die ihr weit über Meere hierher
gefahren seid und euren alten Göttern eine Stadt gegründet, habt ihr ganz vergessen, aus welchem
Heldengeschlecht ihr gezeugt seid? Wollt ihr es dulden, daß ein wehrloses Knäblein Theben erobere,
ein Weichling mit balsamtriefendem Haar, auf dem ein Kranz aus Weinlaub sitzt, in Purpur und Gold
anstatt in Stahl gekleidet, der kein Roß tummeln kann, dem keine Wehr, keine Fehde behagt? Wenn
nur ihr wieder zur Besinnung kommet, so will ich ihn bald nötigen, einzugestehen, daß er ein Mensch
ist, wie ich, sein Vetter, daß nicht Zeus sein Vater und alle diese prächtige Gottesverehrung erlogen
ist!« Dann wandte er sich zu seinen Dienern und befahl ihnen, den Anführer dieser neuen Raserei,
wo sie ihn anträfen, zu fassen und in Fesseln herzuschleppen.
Seine Freunde und Verwandte, die um den König waren, erschraken über diesen frechen Befehl; sein
Ahnherr Kadmos, der in hohem Greisenalter noch lebte, schüttelte das Haupt und mißbilligte das Tun
des Enkels; aber durch Ermahnungen wurde seine Wut nur gestachelt, sie schäumte über alle
Hindernisse hin, wie ein rasender Fluß über das Wehr.
Unterdessen kamen die Diener mit blutigen Köpfen zurück. »Wo habt ihr den Bakchos?« rief ihnen
Pentheus zornig entgegen. »Den Bakchos«, antworteten sie, »haben wir nirgends gesehen. Dafür
bringen wir hier einen Mann aus seinem Gefolge. Er scheint noch nicht lange bei ihm zu sein.«
Pentheus starrte den Gefangenen mit grimmigen Augen an und schrie dann: »Mann des Todes! denn
auf der Stelle mußt du, den andern zu einem warnenden Beispiele, sterben! Sag an, wie heißt dein
und deiner Eltern Name, wie dein Land, und, sag auch, warum verehrst du die neuen Gebräuche?«
Frei und ohne Furcht erwiderte jener: »Mein Name ist Akötes, meine Heimat Mäonien, meine Eltern
sind aus dem gemeinen Volke. Keine Fluren, keine Herden ließ mir der Vater zum Erbteil, er lehrte
mich nur die Kunst, mit der Angelrute zu fischen; denn diese Kunst war all sein Reichtum. Bald lernte
ich auch ein Schiff regieren, die leitenden Gestirne, die Winde, die wohlgelegenen Häfen kennen und
fing an, Schiffahrt zu treiben. Einst, auf einer Fahrt nach Delos, geriet ich an eine unbekannte Küste,
wo wir anlegten. Ein Sprung brachte mich auf den feuchten Sand,