durch meine Hände gleiten, doch als ich gerade entschlossen nach dem Brieföffner greife, öffnet sich meine Bürotür. Mrs Wincester schiebt sich schnaubend durch die Öffnung. »Passt es Ihnen jetzt, Mr Bennet?«
Seufzend lege ich das Kuvert auf den Stapel zurück und stehe lächelnd auf, um meine Klientin zu begrüßen.
Lilly
»Ein Chocolate Cappuccino mit Sahne, wie immer, bitte sehr.« Ich lächle die junge Bedienung in meinem Stammcafé dankbar an, als sie das heiße, dampfende Getränk vor mir abstellt. Es herrscht reger Betrieb in dem kleinen Coffeeshop, der meiner Meinung nach den besten Kaffee in ganz London serviert. Kein Vergleich mit den großen Ketten, die sich überall ausbreiten wie Pestbeulen. Hier wird handgerösteter Kaffee frisch gemahlen und mit Liebe aufgebrüht, und das riecht man nicht nur, das schmeckt man vor allem. Sogar die dunkle Schokolade, die meinem Getränk die nötige Zuckerdosis verleiht, ist handgeschöpft.
Mein Blick fällt auf das gläserne Bürogebäude gegenüber, in dem ich arbeite. A&J ist eine der größten Filmproduktionen Englands, und ich bin dort für die Verträge zuständig. Noch. Die Erinnerung an das Gespräch mit meinem Chef verursacht einen pochenden Knoten in meinem Magen. Mit beiden Händen umklammere ich die Tasse, bis sich die Hitze in meine Haut brennt.
»Entschuldigen Sie ... Ist hier noch frei?«
Verwirrt hebe ich den Kopf. Vor mir steht eine hoch gewachsene, sehr schlanke Blondine. Eine schöne Frau, gepflegt und geschminkt wie ein Model. Tatsächlich sind fast alle Tische im Café besetzt. Ich sitze am Fenster, und mir gegenüber befindet sich einer dieser runden Kaffeehausstühle, auf dem ich meine Handtasche geparkt habe. Ich erwidere das freundliche Lächeln nickend, während ich den Stuhl räume. »Sicher. Entschuldigen Sie bitte.«
»Kein Problem.« Die Frau lässt sich mit einem erleichterten Aufstöhnen fallen und streckt die Beine aus. Ihr Fuß streift meine Wade. Ich zucke zurück, aber sie scheint es nicht bemerkt zu haben. »Gott, ich bin seit vier Stunden in der Stadt unterwegs und spüre meine Beine kaum noch! Ich sollte mich definitiv häufiger bewegen.« Sie grinst mich an und schält sich etwas umständlich aus einem garantiert echten Burberry-Mantel. »Ist der Kaffee hier wenigstens gut?«
»Der Beste in London«, sage ich überzeugt und proste ihr mit meinem Becher zu, bevor ich an dem duftenden Getränk nippe.
»Das ist gut. Ist da Schokolade drin?« Nachdem ich die Frage bejaht habe, winkt sie der Bedienung und bestellt das Gleiche für sich. Ihre Fingernägel sind dunkelrot lackiert und ich stelle fest, dass die Farbe absolut nicht zu ihr passt. Warum auch immer mir das auffällt.
»Sind Sie öfter hier?« Irritiert sehe ich von ihren Händen auf in ihr Gesicht. Offenbar ist sie auf der Suche nach Kontakt, was ich ihr nicht verdenken kann. Ich fühle mich selbst einsam, seit ich Jonathan verlassen habe und gleichzeitig meine beste Freundin losgeworden bin, die hinter meinem Rücken ein Verhältnis mit meinem Mann hatte und nun ein Kind von ihm erwartet. Wenn Braden nicht wäre, würde ich an meiner Einsamkeit zugrunde gehen.
»Jeden Tag. Ich arbeite dort drüben.« Ich zeige mit dem Finger auf das Gebäude gegenüber.
»Bei A&J? Sind Sie Filmproduzentin?« Sie staunt mich an, und ich muss lachen.
»Leider nicht. Ich bin Juristin und bearbeite dort nur Verträge. Ziemlich langweilig also.«
»Ach, das sagen Sie so.« Sie zuckt mit den Achseln, bevor sie dankend ihren Kaffee entgegennimmt. »Welcher Job ist nicht langweilig, was? Nach ein paar Jahren wird doch alles zur Routine. Job, Beziehung, das ganze Leben ...«
Mein Magen zieht sich zusammen. »Das muss nicht so sein«, sage ich, wenig überzeugt. »Wenn man daran arbeitet ...«
»Das halte ich für ein Gerücht.« Sie lächelt und setzt den Kaffeebecher ab. »Ich komme gerade aus einer langen Beziehung, die an nichts als Gewohnheit gescheitert ist. Es ist schwer, sich die eigenen Fehler eingestehen zu müssen, aber ...« Sie schiebt ihre Unterlippe vor. Ihr Lippenstift hat dieselbe Farbe wie ihr Nagellack, und wie so häufig fällt mir in Gegenwart solcher Frauen auf, wie langweilig ich selbst aussehe. Vielleicht sollte ich ...
»Entschuldigen Sie, ich bin unhöflich. Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Melanie Johnson.«
Höflich nehme ich die angebotene Hand und drücke sie kurz. Sie hat dünne, sehr lange Finger, die kraftlos in meinen liegen. »Lilian Palmer.«
»Ich will Sie in Ihrer Pause wirklich nicht mit meinen Problemen belästigen«, fährt sie fort und nippt an ihrem Kaffee. Vorsichtig, um den Lippenstift nicht zu ruinieren.
»Ach, das macht mir nichts«, sage ich lächelnd. Das tut es wirklich nicht. Ich bin so ausgehungert nach sozialen Kontakten, dass ich sogar mit völlig fremden Menschen rede, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergibt.
»Manchmal möchte man an sich selbst verzweifeln. Und an den anderen«, fährt meine Tischnachbarin fort und streicht mit dem Zeigefinger über den Rand ihrer Kaffeetasse. »Wenn man plötzlich erfährt, dass man nur ein Lückenbüßer war.« Ihre Augen schimmern, und mein Herz verkrampft sich.
»Das tut mir sehr leid für Sie«, sage ich, nach der Kellnerin winkend. Himmel, sie tut mir wirklich leid, aber bin ich schon bereit dazu, mir das Liebesleid einer Fremden anzuhören? Wo ich im Moment eigentlich mit mir selbst genug zu tun haben sollte?
»Und das in meinem Alter«, fährt sie ungerührt fort. Sie sieht an mir vorbei zum Fenster, während sie spricht, was die Situation nicht angenehmer macht. Mit dem Handrücken wischt sie sich über die Augen und versucht zu lächeln. »Ich meine, als Frau ist man doch wirklich die Angepinselte, wenn man sich jahrelang auf einen Mann einlässt in der Hoffnung, mit ihm eines Tages eine Familie zu gründen, und dann mit Mitte Dreißig wegen einer anderen verlassen wird. Es ist doch kaum möglich, in so kurzer Zeit noch eine neue Beziehung aufzubauen und rechtzeitig, bevor die biologische Uhr ...« Sie schluckt und kneift die Lippen zusammen.
Ich zahle für meinen Kaffee und übernehme ihre Rechnung gleich mit, was sie nicht einmal bemerkt. »Es tut mir wirklich sehr leid. Aber ich muss leider wieder ...« Entschuldigend hebe ich die Schultern und deute hinter mich auf das graue Bürogebäude.
»Oh. Ja, sicher. Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht behelligen. Ich habe nur niemanden, mit dem ich reden kann und ich dachte, Sie ...«
Sofort nagt das schlechte Gewissen an mir, und noch bevor ich darüber nachdenken kann, sitze ich wieder. Und nehme ihre Hand. »Hören Sie ... hör mal, Melanie. Kein Mann der Welt ist es wert, dass du dich seinetwegen so grämst. Keiner. Du bist eine wahnsinnig attraktive Frau und wirst sehr schnell einen neuen Mann finden. Ganz sicher. Ich glaube nicht, dass du so etwas nötig hast.«
Sie hebt den Kopf und sieht mich an. Ihre Augen funkeln. Sie sind blaugrau und erinnern mich an eine Taube. »Das sagst du so leicht, Lilian. Du bist bestimmt frisch verliebt. Oder mit einem liebevollen Ehemann verheiratet, der dir jeden Wunsch von den Augen abliest.«
»So ungefähr«, antworte ich ausweichend. »Und für dich wird es das auch wieder geben. Irgendwann, ganz bestimmt. Ich weiß, wie du dich jetzt fühlst und wie verletzt und enttäuscht du bist. Aber wenn so etwas im Leben passiert, hat es doch meistens Gründe. Und manchmal ist eine verschlossene Tür nur der nötige Schubs hin zu etwas viel Besserem.«
Wärme durchströmt mich, weil ich an das denke, was mir zugestoßen ist – und an Braden. Es ist sicher nicht gut und vielleicht auch nicht richtig, mich schon jetzt auf eine neue Beziehung einzulassen, aber ich will es versuchen. Unbedingt. Auch wenn Braden meint, wir sollten uns Zeit lassen. Dabei habe ich schon so viel Zeit vertan ... fünf ganze Jahre, in denen ich vielleicht glücklich hätte sein können, wenn ich nicht ...
»Ich will dich nicht aufhalten.« Melanie lächelt unter Tränen. Du liebe Zeit, ich kann sie doch jetzt nicht so hier sitzen lassen? Sie wischt nicht einmal ihre Wangen ab; sitzt einfach da und heult leise vor sich hin. Vor Mitleid schnürt sich mir die Kehle zusammen. Ich drücke ihre Hand fester und schaue sie stumm