Stefanie Purle

Scarlett Taylor - Wendy


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wie jeden Morgen verneine ich dankend und nippe stattdessen lieber an meinem Latte mit einem extra Schuss Vanillesirup, während ich den nackten Rücken meines Gefährten beim Werkeln in der Küche betrachte.

      Doch an diesem Morgen schweift mein Blick immer wieder zur Fensterfront ab. Das Wasser des Sees wirkt noch immer dunkler als sonst, selbst jetzt, da die Sonne höher am Himmel steht. Bei seinem Anblick wird mir ein wenig flau im Magen, was nicht am Kaffee liegt.

      „Findest du nicht auch, dass der See heute dunkler ist?“

      Chris dreht sich zu mir um, während hinter ihm die Spiegeleier blubbernd braten. „Das war also keine Ausrede, nur um mich wecken zu können?“, fragt er und lächelt verschmitzt.

      Ich lache. „Nein, natürlich nicht. Seit wann brauche ich Ausreden, um dich zu wecken?“

      Er zuckt mit den Schultern und streicht sich das noch feuchte Haar aus der Stirn. „Brauchst du nicht“, gibt er grinsend zu und geht zum Fenster.

      „Siehst du das auch? Irgendetwas ist doch faul“, bemerke ich erneut und lehne mich zurück, um zwischen den dicken Baumstämmen hinunter auf die Wasserfläche zu schauen.

      Chris stemmt die Hände in die schmale Hüfte, stellt sich auf Zehenspitzen und reckt den Hals. „Ganz ehrlich, Scarlett, ich sehe da keinen Unterschied“, lässt er mich wissen, bevor er zurück zu seinen Spiegeleiern sprintet und die heiße Pfanne vom Herd nimmt. „Für mich sieht der See aus wie immer.“

      Seufzend stelle ich meine Tasse ab und schüttle leicht mit dem Kopf. „Ich weiß auch nicht, woran es liegt. Etwas Unheilvolles lieg in der Luft und es hat mit dem See zu tun. Ich glaube, ich gehe gleich mal runter und schaue nach dem Rechten.“

      Mit dem Teller Spiegeleier in der Hand setzt Chris sich mir gegenüber an den Tisch. „Musst du nicht ins Büro?“, fragt er, obwohl wir beide die Antwort bereits kennen.

      Ich löffle den Schaum von meinem Latte. Natürlich muss ich ins getarnte Reisebüro meiner Tante Elvira. Seitdem meine Mutter endlich aus dem Koma erwacht ist, hat Elvira ihren Job als Parapsychologin vollends hingeschmissen und widmet sich nun ganz der Pflege meiner Mutter. Ich bin ihr natürlich dankbar dafür, denn ohne sie müsste ich eine Pflegekraft beschäftigen, da Mama sich von mir erst recht nicht betreuen lässt. Sie kommt nicht damit klar, dass ich ein magisches Wesen bin. Ihre Vorurteile sind so tief verankert, dass sie um Hexen, Mannwölfe und allem Magischen, einen großen Bogen macht. Und mir, als erster und bislang einziger Druidenhexe, traut sie nicht über den Weg. Es tut weh, dass meine Mutter - nachdem ich alles dafür getan habe, sie von dem Fluch meines Vaters zu befreien - nun regelrecht Angst vor mir hat. Sie hat die erste Hälfte meines Lebens damit zugebracht, alles Magische von mir fernzuhalten. Magie ist für sie gleichbedeutend mit der Bosheit meines Vaters, dem ehemaligen schwarzen Hexenkönig.

      Sie ist zu Elvira gezogen, in die kleine Wohnung über dem Reisebüro. Elvira bringt sie regelmäßig zur Physiotherapie, kocht für sie, pflegt sie und holt mit ihr die vergangenen Jahre auf. Das Parapsychologenbüro hat sie seitdem nicht mehr betreten. Sie hat sogar schon den Text auf dem Anrufbeantworter neu besprochen: „Guten Tag, Sie sprechen mit dem Anschluss der Parapsychologin Scarlett Taylor. Elvira Taylor hat sich zur Ruhe gesetzt und ist nicht mehr zu erreichen. Für alle paranormalen Angelegenheiten ist nun ihre Nichte Scarlett zuständig. Bitte hinterlassen Sie Ihre Nachricht für Scarlett nach dem Piepton“. Und ihren eigenen Namen hat sie auch von der Schaufensterscheibe des getarnten Reisebüros gekratzt und mit einem wasserfesten Stift „Geschlossen“ darauf geschrieben. Doch viele frühere Kunden fragen noch immer nach ihr und können kaum glauben, dass sie nicht mehr als Parapsychologin arbeitet.

      „Dann gehe ich erst ins Büro und schaue mir den See danach an“, sage ich, leicht enttäuscht und nippe an meinem Kaffee.

      Es ist wie selbstverständlich zu meiner Aufgabe geworden, das geheime Parapsychologenbüro meiner Tante zu leiten, Aufträge auszusortieren und sie dann an die passenden Schamanen, Medien, Dämonologen und Parapsychologen weiterzuleiten oder selbst zu übernehmen. Zusammen mit Jason regle ich auch die Finanzen, schreibe Lohnabrechnungen und überweise Gehälter. Ich liebe diesen Job, das tue ich wirklich, und es ist genau das, was ich immer machen wollte. Nur lässt er mir keine Zeit zu erkunden, was ich nun eigentlich bin: Die erste Druidenhexe der Welt!

      Ich kann in keinem Buch nachlesen, wozu ich in der Lage bin und was mich ausmacht. Ich bin die erste meiner Art, ein Stück Evolutionsgeschichte in der Welt der magischen Wesen.

      Darius - der Druide und aktuelle Freund meiner Tante Roberta, der amtierenden weißen Hexenkönigin - hat mir zwar die Welt der Druiden erklärt, doch ich spürte gleich, dass das nicht meine Welt ist. Ich werde mir nicht in der Selbsttaufe ein brennendes Eisen in Form eines fünfzackigen Sternes auf den Kopf brennen (zumal ich nicht noch eine weitere Narbe gebrauchen kann, die meinen Kopf entstellt! Ich bin mit dem eingebrannten Todesblitz meines Vaters auf meiner Wange bestens bedient!) und ich werde auch nicht in einem Baumhaus im Wald wohnen oder Tierblut trinken und Opferlämmer schlachten. Nein, das bin ich nicht!

      Aber was bin ich dann?

      „Wenn dich der See so beschäftigt, könnte ich vielleicht erst zum Büro fahren und den Anrufbeantworter abhören. Dann kannst du runter zum See“, reißt Chris mich aus meinen Gedanken und schiebt sich das letzte Stück Spiegelei in den Mund.

      „Nein, schon gut“, lehne ich ab, da ich weiß, dass er zu einem Auftrag muss, zu dem ich ihn selbst eingeteilt habe: Ein paar Orte weiter hat sich ein Rudel Werwölfe in einer alten Scheune eingenistet und schon etliche Opfer gefordert. Chris ist zwar hauptberuflich Dämonologe, aber als Mannwolf möchte er sich selbst um die Werwölfe kümmern. Außerdem ist er der einzige aus meinem Team, der es kräftemäßig überhaupt mit ihnen aufnehmen kann. „Das kann warten. So schlimm wird es wohl nicht sein.“

      Doch mein Blick gleitet automatisch wieder zur Fensterfront, durch die dichten Bäume hindurch bis hinunter zur dunklen Oberfläche des Sees. Der blaue Himmel spiegelt sich nicht darin und auch die Sonne glitzert nicht auf seinen leisen Wellen.

      Was auch immer mit dem See los ist, es wird warten müssen.

      Wenig später schließe ich die Tür zum ehemaligen Büro meiner Tante Elvira auf und gehe hinein. Ich lasse das Licht im Verkaufsraum aus und schließe hinter mir ab. In den ersten Monaten nach der Erweckung meiner Mutter hatte ich ein paar Mal vergessen, das Licht auszuschalten. Es dauerte nicht lange und reisewillige Kunden kamen herein und wollten sich ein paar Reiseprospekte zur Durchsicht ausleihen, oder sie fragten, ob es eine Neueröffnung geben würde. Um das in der Zukunft zu vermeiden, lasse ich die Tür verschlossen und das Licht aus. Manchmal klopft zwar jemand, aber ich reagiere meistens nicht mehr darauf. Stattdessen verkrieche ich mich in den hintersten Teil des Ladens, wo das geheime Büro meiner Tante hinter einer Falttür verborgen liegt.

      Sobald ich die Tür zur Seite schiebe, empfängt mich der staubige Geruch von Lavendel, altem Leder, zitroniger Holzpolitur und dem kalten Nachklang längst verglühter Räucherstäbchen. Das Aroma hat sich für immer in den vertäfelten Wänden eingenistet. Schreibtisch, Stuhl und Sessel stehen noch genau wie zuvor, jedoch habe ich ein paar Dinge aussortiert und andere hinzugefügt. Elvira hatte seltsame Statuen von steinernen Gargoyles auf dem Tisch und Bündel getrockneter Kräuter, sowie einige Hexenbeutel und einen Sigillenstein. Für sie waren diese Dinge zum Schutz auch sinnvoll, aber für mich sind sie unnötig. Zumal ich weiß, dass ein einzelner Sigillenstein noch keinen Dämon fernhält und ein Hexenbeutel nur in der Hand einer Hexe wirklich sinnvoll ist. Die Gargoyles gefielen mir nicht, also sind sie zusammen mit anderen Dingen in einer Kiste unter dem Tisch in der Büroküche verschwunden. Elvira wollte sie nicht wiederhaben und ich wollte sie nicht in Chris´ Haus lagern.

      Stattdessen stehen jetzt ein paar Kristalle auf einer Ecke des Schreibtisches und ein opulenter Bilderrahmen mit einem Bild von mir und Chris im Schnee auf der anderen Ecke.

      Elviras Bulli ist es genau wie dem geheimen Büro ergangen. Nachdem mein Auto im Kampf gegen Cassandra, der wildgewordene Freundin meines Vaters, zerstört wurde, hat Elvira mir ihren Bulli überlassen. Sie hat sich stattdessen einen Kleinwagen geholt, mit