Stefanie Purle

Scarlett Taylor - Wendy


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zu finden sind, man muss sich ja nur mal die Zutaten auf der Rückseite durchlesen. Meistens steht da nur was von Aroma, aber nicht von Erdbeeren!“

      „Ist Bill auch gegen Erdbeeren allergisch?“, hake ich ein wenig verwirrt nach und trommle mit den Fingern auf dem Lenkrad.

      „Nein, nein, nur gegen Nüsse. Aber Nüsse in jeglicher Art und Form, weißt du?! Bill bat mich, dir das zu sagen, nicht dass du nachher so viel Mühe mit dem Kochen hast, und er es gar nicht essen darf. Das wäre ja auch wirklich schade. Er lässt dich im Übrigen schön grüßen und freut sich schon, dich und Chris heute Abend kennenzulernen“, säuselt sie übertrieben aufgeregt.

      „Du hast ihm aber nichts von-“, beginne ich, doch sie antwortet bereits, bevor ich den Satz zu Ende sprechen kann.

      „Nein, nein, natürlich nicht. Das würde er sowieso nicht verstehen. Ich meine, wer versteht das schon?“ Sie kichert kurz hysterisch. „Ich verstehe diese ganze Hexen-Sache ja selbst nicht! Also nein, ich habe ihm nichts davon erzählt, das ist auch nichts für ihn. Also, ich meine dieses ganze Esoterische, das ist nichts für ihn.“

      Ich seufze. „Es hat nichts mit Esoterik zu tun, Carmen“, erkläre ich, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist. Aber ich mache ihr keinen Vorwurf. Wie soll sie die Tatsache, dass ich eine Druidenhexe und mein Freund ein Mannwolf ist, auch verstehen?

      „Das weiß ich doch, aber es bleibt unser Geheimnis, ja? Wir sagen Bill nichts von dieser Hexensache, okay?“

      „Nein, auf keinen Fall.“

      Ich höre sie erleichtert seufzen. „Dann ist ja gut. Also, Süße, keine Nüsse. Dann bis später, ich freu mich schon!“

      „Ich mich auch“, sage ich und versuche es auch so zu meinen. Dann legen wir auf. „Keine Nüsse und kein Hexenkram für Wilhelm“, sage ich zu mir selbst und spucke seinen wahren Namen förmlich aus. Er heißt Wilhelm, nennt sich aber Bill, weil das jugendlicher und frischer wirkt, sagt Carmen. Ich kenne ihn zwar nur aus Carmens Erzählungen, aber es fällt mir schwer, unvoreingenommen zu bleiben. Er betrügt seine Frau, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat, seit Jahren mit Carmen. Ihre Beziehung findet hauptsächlich bei der Arbeit statt, wo sie als seine Sekretärin fungiert. Dass sie sich mal außerhalb der Arbeit treffen, ist nur auf Geschäftsreisen möglich, oder wie jetzt, da seine Frau zur Kur ist. Aber Carmen liebt ihn und deswegen werde ich ihn heute Abend bei uns willkommen heißen, auch wenn ich eigentlich nur herausfinden will, was mit dem See hinter Chris´ Haus los ist.

      Kapitel 2

      Als ich wieder Zuhause ankomme, ist Chris schon unterwegs zu seinem Auftrag. Ich schleppe die Einkaufstüten mit den Zutaten für das Dinner heute Abend ins Haus, doch auf der Kücheninsel lasse ich sie uneingeräumt liegen und mache mich auf den Weg hinunter zum See.

      Flink und behände, wie man es von einer Frau mit meiner Statur kaum erwarten würde, sprinte ich durch den Wald. Sommerlich warme Luft streift meine Haut und weht mein Haar hinter meine Schultern. Ich springe über herumliegende Baumstämme, ducke mich unter herabhängende Äste hindurch und weiche gekonnt Büschen und Fuchsbauten aus, bis ich endlich das flache Gras am Ufer des Sees erreiche.

      Von Nahem sieht der See noch düsterer aus. Die Oberfläche ist still und pechschwarz, der blaue Sommerhimmel spiegelt sich nicht darin und es sind auch keine Libellen zu sehen oder Frösche zu hören. Alles, was ich gestern noch als normal und gegeben betrachtet habe, fehlt nun. Ich trete noch näher, bis meine Schuhspitzen das Schilf berühren, atme tief ein und rieche die stehende Luft um mich herum. Es riecht nach feuchter Erde, Gras und Moder. Kein Vogel zwitschert, keine Mücke summt um mich herum. Ich wittere Gefahr wie ein wildes Tier, dem sich etwas Böses nähert. Doch so sehr ich mich auch auf meine Sinne konzentriere, ich kann den Ursprung der Gefahr nicht lokalisieren.

      Trotz der aufsteigenden Mittagshitze fröstelt es mich. Ich reibe mir die Gänsehaut von den Armen und blicke mich um. Niemand außer mir ist hier, und doch spüre ich die lauernde Gefahr im Nacken, als würde mich jemand beobachten. Die Stille beunruhigt mich, auch wenn sie doch sonst immer so friedlich auf mich gewirkt hat. Dieses Mal ist es eine andere Stille, eine melancholische, unheilvolle Stille.

      Ich trete vom Schilf zurück und beginne am Ufer entlangzulaufen, wobei ich die schwarze Wasseroberfläche nicht aus den Augen lasse. Am hölzernen Bootssteg, dessen Latten verwittert und morsch sind, halte ich wieder an. Vorsichtig trete ich darauf und nähere mich Schritt für Schritt seinem Ende, das ungefähr fünf Meter aufs Wasser hinausragt. Das morsche Holz unter mir würde nachgeben, wäre ich nicht zur Hälfte Druidin. Ich kann fühlen, wie es die Fasern anspannt, beinahe wie Muskeln, um mich zu halten. Am Ende des Bootsteges lasse ich mich auf die Knie nieder und umfasse mit den Händen den allerletzten Balken. Glitschige Algenbeläge drücken kühl gegen meine Handflächen, als ich in das Dunkel des Wassers blicke. Wie durch einen Nebel hindurch sehe ich verschwommen mein eigenes Gesicht auf der Oberfläche. Die Narbe auf meiner Wange dominiert mein Spiegelbild und hebt sich schwarz-silber von meiner blassen Gesichtshaut ab. Einen kurzen Moment verirren sich meine Gedanken zu dem heutigen Abend. Wie wird Bill reagieren, wenn er diese Entstellung in meinem Gesicht sieht? Werde ich wieder die erfundene Geschichte von einem Autounfall erzählen müssen, oder hat Carmen das bereits für mich erledigt? Die betroffen dreinblickenden Gesichter derer, die mich nach dem Todesblitz meines Vaters ansahen, tauchen vor meinem inneren Auge auf. Mitleid, Schrecken und manchmal sogar Ekel war in ihren Mienen zu lesen. Und selbst jetzt, fast ein halbes Jahr später, begegne ich immer noch vielen fragenden oder ausweichenden Blicken. Das einzig Positive an dieser hässlichen Narbe ist die Tatsache, dass sie für Menschen einfach nur blassrosa aussieht, wie eine gewöhnliche Narbe. Nur magische Wesen sehen das Schwarz mit den silbernen Furchen darin.

      „Zu spät“, höre ich plötzlich eine tiefe, grummelnde Stimme unter mir und ich zucke zusammen. Das Wasser bewegt sich und lässt mein Spiegelbild in Fetzen über den schwarzen See gleiten. Ich drehe mich zu allen Seiten um.

      „Wer ist da?“, rufe ich und richte mich auf. „Hallo?“ Doch niemand antwortet. Stattdessen höre ich ein gurgelndes Lachen, das sich immer weiter über den See verzieht. „Hallo! Ist da jemand?“ Wieder keine Antwort, stattdessen legt sich wieder diese drückende Stille über den See.

      Ich springe auf, plötzlich von Panik ergriffen, und verlasse fluchtartig den Bootssteg. Ohne meine Konzentration gehen zwei morsche Latten entzwei und ich komme ins Straucheln. Taumelnd trete ich ins knietiefe Wasser und falle vornüber ans Ufer.

      Wieder ertönt dieses fiese Lachen. Es scheint, als käme es aus der Mitte des Sees, doch das kann nicht sein!

      So schnell ich kann, krabble ich über das Ufer, so weit weg vom Wasser wie eben möglich, bis endlich das Lachen wieder verstummt. Tropfnass, von den Oberschenkeln abwärts, hocke ich da und blicke mich verängstigt um, während ich im Geiste all die Wesen durchgehe, die im Wasser leben könnten. Da wären Nixen, Sirenen und Meerwesen, doch sie alle bevorzugen Salzwasser. Dann gibt es noch die Wasserelfen, kleine tropfenförmige Geistwesen, ähnlich der oberirdischen Elfen, doch sie sind stumm und können es demnach nicht gewesen sein. Mir fallen noch weitere Wesen ein, doch die meisten davon leben im Meer oder in Lagunen, keines davon ist in Waldseen beheimatet.

      Ratlos rapple ich mich wieder auf und versuche die Angst abzuschütteln. Sollte sich mir etwas Böses nähern, so habe ich immer noch meine Magie, um mich zu wehren. Außerdem habe ich schon wahrhaft Schlimmeres erlebt und gesehen als ein gruseliges Lachen, das über einen schwarzen See schwebt! Trotzdem läuft mir beim Gedanken an die Stimme, die nur zwei Worte sagte -„Zu spät“- wieder ein kalter Schauer über den Rücken.

      Ich beginne weiter den See zu umrunden, die Hand kampfbereit ausgestreckt, um notfalls einen Blitz abzufeuern, falls es nötig ist. Als ich am hinteren Ende des ovalen Sees angekommen bin, entdecke ich Wachsspuren im niedergetretenen Gras. Ich hocke mich hin und hebe eines der Wachstropfen auf. Es ist grau und riecht leicht nach Weihrauch. Sofort denke ich an das Mädchen, das mir auf den Anrufbeantworter gesprochen hat und von mir ein paar Spells wissen wollte. Ob sie hier eine Séance abgehalten hat? Oder waren es nur Angler, die des Nachts im Kerzenschein