Stefanie Purle

Scarlett Taylor - Wendy


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von Elviras Equipment rausgeflogen, was nun auch unter dem Tisch der Büroküche vor sich hingammelt.

      Es kommt mir manchmal so vor, als hätten wir unsere Leben getauscht: Sie hält sich mit kleinen Halbtagsjobs über Wasser und kümmert sich den Rest der Zeit um Mama. Ich leite das Parapsychologen-Büro und vertreibe Geister und sonstige paranormale Geschöpfe, während für Freizeit meist kaum noch Zeit bleibt. Aber ich liebe mein neues Leben! Das Einzige was mich stört, ist die Abneigung, die meine Mutter gegen mich hegt. Bei diesem Gedanken wird mir immer ganz schwer ums Herz. Ich sitze hier unten, in diesem geheimen Büro, und meine Mutter ist ein paar Meter über mir in Elviras Appartement. Und doch bin ich meilenweit von ihr entfernt.

      Ich schüttle den Kopf und schlucke den Kloß im Hals herunter. Gib ihr einfach noch etwas Zeit, höre ich Elviras Worte in meinen Gedanken. Sie hat beinahe zehn Jahre verpasst, sie muss sich erst neu eingewöhnen. Irgendwann wird sie verstehen.

      „Ja, ja…“, stöhne ich und setze mich in den ledernen Bürostuhl, der unter meinem Gewicht knarzt. Die Anzeige auf dem Anrufbeantworter blinkt, es sind mehrere Nachrichten darauf, die sich das Wochenende über angesammelt haben. Ich drücke auf Play und hoffe, dass die verzweifelten Stimmen neuer Klienten mich auf andere Gedanken bringen werden.

      „Frau Taylor? Sind Sie die neue Parapsychologin?“, beinahe jede zweite Nachricht beginnt mit diesen oder ähnlichen Worten, obwohl Elvira den Ansagetext sehr klar formuliert hat. Ich lehne mich zurück und höre weiter zu. „Ich weiß nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was eine Parapsychologin eigentlich macht und außerdem habe ich mit solchen Dingen nicht wirklich viel am Hut.“ Komm zur Sache, denke ich leicht genervt und beginne auf dem Ende eines herumliegenden Kugelschreibers zu kauen, während ich das heutige Blatt im Kalender aufschlage. „Es geht um meine Tochter. Sie interessiert sich sehr für so dunkles Zeugs. Seit Monaten kleidet sie sich nur noch in schwarz, hat sich sogar die Haare schwarz gefärbt.“

      „Hier ist nicht das Jugendamt, gute Frau“, zische ich dem Apparat entgegen und meine Finger wandern bereits zur Taste, die zur nächsten Nachricht vorspult.

      „Sie ist erst sechzehn und ich habe Angst, dass sie mit den falschen Leuten zusammen ist. Überall malt sie diesen Stern hin und seit ein paar Wochen hat sie Probleme in der Schule.“

      Ich schüttle mit dem Kopf, mein Finger liegt nun auf der Vorspultaste.

      „Gestern kam sie erst am frühen Morgen wieder nach Hause, und als ich sie fragte, was sie gemacht hat und wo sie war, wollte sie erst nicht mit der Sprache rausrücken. Ich habe sie dann aber nicht in Ruhe gelassen, ich mache mir als Mutter ja schließlich Sorgen, wissen Sie?“

      Das ist der Moment, in dem ich endgültig die Taste herunterdrücke und zur nächsten Nachricht spule. Würde ich mir alle Nachrichten von besorgten Müttern anhören, deren pubertierende Kinder eine wilde Phase durchmachen und zum Grufti werden, hätte ich für nichts anderes mehr Zeit. Es ist meine Aufgabe, aus den ganzen Anrufen die wichtigen und echten Fälle herauszufiltern. Und ein schwieriger Teenager gehört nicht dazu!

      Die zweite Nachricht kommt von einer Hotelangestellten aus dem Süden. Sie erzählt, dass Gäste eines gewissen Zimmers immer wieder von polternden Geräuschen, Kratzen an den Wänden und kalten Luftzügen berichten, seitdem ein Gast sich vor ein paar Jahren dort drinnen erhängt hat. Bei ihren Erläuterungen denke ich sofort an Kitty, das ist ein Auftrag für sie. Ich notiere mir die Telefonnummer und Adresse und schreibe in ein paar Stichworten auf, worum es geht. Dann falte ich das Papier und schreibe oben Kittys Namen drauf.

      Der dritte Anrufer ist wieder einer der Sorte, die ich nicht sonderlich ernst nehmen kann und die mir zugleich fürchterlich auf die Nerven gehen. Ein junges Mädchen mit piepsiger Stimme versucht möglichst cool und lässig rüberzukommen, doch die Nervosität ist deutlich im Zittern ihres Soprans zu hören. „Hey, Scarlett, hier im Dorf erzählt man sich, dass du eine ganz Große in Sachen Hexenkunst bist, und ich wollte mal fragen, ob du mir und meiner Clique was beibringen kannst.“

      „Oh nein“, seufze ich und lege meinen Kopf auf das kühle Kalenderblatt vor mir. Seit ein paar Wochen kommen immer wieder Anfragen von Jugendlichen, die irgendwo meinen Namen aufgeschnappt haben und denken, ich wäre eine Wicca, oder gehöre sonst einer Naturreligion an, in die ich sie einweihen könnte. Die meisten von ihnen wollen einfach nur ihre Eltern schocken oder sich von den anderen in ihrer Klasse abheben. Ein ernstes Interesse an einer Religion oder der Natur, habe ich noch bei keinem Anrufer festgestellt. Zu Anfang traf ich mich noch mit einigen der Jugendlichen. Doch sobald sie ihren Kaugummi auf die Straße spuckten und mir in ihren wallenden schwarzen Mänteln entgegen kamen, mit dem lustigen Aufnäher „Just legalize it“ und ein paar gestickten Hanfblättern darunter, war mir klar, mit welcher Sorte Jugendlicher ich es zu tun hatte. In der Regel horchte ich sie dann nur etwas aus, und wenn sie mir so harmlos erschienen wie sie aussahen, verabschiedete ich mich und sah meine Pflicht als erledigt an. So lange sie keine Dämonen beschworen oder schwarze Messen abhielten, sollten sie meinetwegen tun und lassen was sie wollen.

      „Wir kennen die Basics und so, aber vielleicht willst du ja mal bei unserem Zirkel vorbeischauen und uns ein paar Spells zeigen, oder was auch immer.“

      Automatisch verdrehte ich die Augen. Sie kennen die Basics, sie haben einen Zirkel und wollen ein paar Spells lernen. Da hat wohl jemand mal wieder die Fernsehwelt mit der Realität verwechselt. Ohne ihrem Gebrabbel noch weiter zu lauschen, drücke ich die Vorspultaste und höre mir die Sorgen der nächsten Anrufer an. Eine ältere Frau fragt höflich nach unserer Schamanin Naomi, da sie mit ihrer verstorbenen Schwester Kontakt aufnehmen möchte. Seitdem unser Computergenie Jason uns eine Website eingerichtet hat, auf der all unsere „Dienstleistungen“ gelistet sind, hat Naomi immer mehr zu tun. Viele wollen mit Verstorbenen sprechen oder glauben, ein Fluch läge auf ihnen oder ihrem Haus. Naomi kommt dann und löst den Fluch, oder überbringt Botschaften der Toten in wundervollen und würdevollen Zeremonien. Es ist uns allen lieber, wenn die Kunden die Hilfe eines Schamanen in Anspruch nehmen, anstatt sich selbst an ein Ouija Board zu setzen oder Gläserrücken auszuprobieren. Denn solche Aktionen sind noch nie gut ausgegangen! Die wenigsten wissen, dass sie so ein Tor zur Unterwelt öffnen und Dämonen und andere dunkle Wesen dadurch zu ihnen sprechen und sich als geliebter Verstorbener ausgeben. Wenn wir so etwas vermeiden können, indem wir den Klienten unsere Schamanin Naomi vorbeischicken, dann haben wir schon eine Menge getan.

      Ich gehe noch die letzten Nachrichten durch, mache mir Notizen und verteile potenzielle Aufträge an meine Teammitglieder. Danach stecke ich die Zettel mit den Aufträgen in meine Tasche, lösche das Band des Anrufbeantworters und schalte ihn wieder ein, bevor ich mich auf dem Weg zum Booh, der Stammkneipe für Dienstleister der Parapsychologie, mache. Da dieser Ort für alle Teammitglieder wie ein zweites Zuhause ist, hinterlege ich dort die Zettel mit den Aufträgen in einem kleinen Körbchen auf der Ecke des Tresens. Jeder der kommt, wirft einen Blick hinein und schaut nach, ob ein spezieller Auftrag für ihn, oder ein freier Auftrag, den ich niemand speziellem zuordnen konnte, drin ist. Dieses System funktioniert recht gut, auch wenn Jason sein Möglichstes tut, dieses Zettelsystem zu digitalisieren. Doch so lange Jo, Berny und ein paar andere ältere Teammitglieder sich weigern, ein Smartphone zu nutzen, werden wir wohl bei dem Zettel-System bleiben.

      Als ich gerade auf dem Rückweg bin, klingelt mein Handy. Ich fahre mit dem sperrigen Bulli rechts ran und nehme ab.

      „Hey, Süße, ich bin´s. Störe ich gerade? Es dauert auch nicht lange“, beginnt die Stimme meiner besten Freundin Carmen zu plappern und ich kneife die Augen zusammen. Beinahe hätte ich vergessen, dass sie und ihr Freund, der gleichzeitig ihr Chef ist, heute Abend zu uns zum Essen eingeladen sind.

      „Bill verträgt keine Nüsse, er hat eine Nussallergie. Ich weiß ja nicht was du kochen willst, aber es darf nichts mit Nüssen sein, weißt du? Erdnüsse sind am Schlimmsten, davon schwillt sein Gesicht richtig an und wird knallrot. Ich hab´s einmal miterlebt und das will ich wirklich nicht nochmal sehen. Es war widerlich!“

      „Okay“, sage ich, doch sie redet schon weiter, über Walnüsse, Haselnüsse und Desserts mit Nusscreme.

      „Selbst Eis mit