Frater LYSIR

LIBER ABYSSOS


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nächsten zwei Teilsätze, die die Aufforderung enthalten, diese „Weisheit“ zu begreifen und dieses „Wissen“ zu verstehen, müssten dem versierten Hebräer mehr als nur ein schallendes Lachen entlocken. „Wissen“ und „Weisheit“, sind ein und dasselbe hebräische Wort, nämlich „Daath“, womit die Aussage des Sepher Jezirah dazu auffordert, die Weisheit (Daath) zu begreifen und das Wissen (Daath) zu verstehen.

      Hatten wir es durch den Begriff des „Nichts“ noch mit einer vorsichtigen Anspielung für die Eingeweihten zu tun, entbehrt die folgende Aussage jeglicher Subtilität und gipfelt in der Aufforderung Daath (Weisheit und Wissen) zu erforschen, zu erwägen und schließlich „in Klarheit zu fassen“, was lediglich die Aufforderung darstellt dem Ursprung entgegenzustreben, in seine Tiefen vorzudringen und so das Wissen um die Wahrheit der Existenz zu enthüllen.

      Warum der Kabbalist dies allerdings tun solle, sagt der letzte Teil des Verses, indem er dazu aufruft, dem „Schöpfer wieder zu seinem Thron“ zu folgen, er soll also dem Schöpfer entgegentreten, um an seinem Thron zu erkennen, was er vergessen hat, nämlich das geheime Wissen, um die Manifestation der zehn und die Nicht-Existenz, aber auch die Illusion der eigenen Wirklichkeit, die ihm durch die zehn vorgaukelt, dass alles voneinander getrennt ist.

      Die höchste Weisheit vor dem Thron des Schöpfers ist das Wissen um die wahre Natur der Zehn, die immer nur eine Eins war. Alles ist Eins, ist das große Geheimnis des Lebens, das sich in Daath gnadenlos enthüllt, denn alles ist das Nichts aus dem es hervorgegangen ist. Daath ist die Eins, die die Null ist, und nur diese Eins ist, denn nur sie kann vor der Urgewalt des Nicht-Seins als nicht-existente Manifestation aus sich selbst heraus bestehen, da sie, die Eins, alle anderen Neun gegeben und geformt hat, da sie selbst nur die Offenbarung des Nichts ist.

      Selbst Aleister Crowleys Aussage, dass Daath eine andere Dimension ist als die anderen Sephiroth, kann in diesem Kontext durchaus als richtig untermauert werden, denn wie wir gesehen haben ist Daath als aus sich selbst heraus geschaffen der Ursprung der Manifestation der Kräfte der Nicht-Existenz Kethers und somit der Schöpfer der anderen Sephiroth, die nicht unmittelbar, wie Daath aus den urgewaltigen Wogen der Quelle hervorgehen, sondern aus der ersten Manifestation der Abspaltung.

      In diesem Kontext erscheint es auch logisch, dass es auf dem Qlippoth keine Entsprechung für Daath gibt, da auch der Schatten des Lebensbaums aus der Schöpfungskraft Daaths hervorgegangen ist – zumindest auf der Ebene Beriah, da bereits in Aziluth eine Vereinigung zum Etz Chajim stattfand, sodass Sephiroth und Qlippoth nicht mehr als Antipoden fungieren, sondern als Einheit. Anders gesagt, man kann sogar so weit gehen zu sagen, wie es manche gnostische Kabbalisten annehmen, dass Daath der Übergang zwischen beiden Bäumen ist, bzw. das Tor, durch welches der kabbalistische Wanderer die Lebensbäume in den Welten Assiah, Jetzirah und Beriah erleben kann.

      In Bezug auf Aziluth wäre es jedoch faktisch falsch, da es keine zwei Bäume gibt. Sephiroth und Qlippoth sind ein und dasselbe, weil sie aus der Sphäre der ersten Manifestation heraus in die Dualität der Materie geschaffen wurden. Sephiroth ohne Qlippoth ist genauso wenig existent, wie Qlippoth ohne Sephiroth, denn nichts kann ohne einen Gegensatz, eine Spiegelung existieren, da es ohne ein Spiegelbild nicht-existent ist. Nur in der Spiegelung, nur in der Erkenntnis des Gegenpoles kann Existenz überhaupt sein, da sie sonst im lichtlosen Raum ihrer selbst unbewusst bleiben müsste. Doch letztendlich ist auch diese Aussage falsch, wenn man bedenkt, was über Daath gesagt wurde, denn eigentlich gibt es nicht nur nicht zwei Bäume, sondern es gibt überhaupt keinen Baum. Der Baum ist Illusion, so wie auch der Schatten, den er wirft, also ist es, einmal zu Daath gelangt, völlig egal, ob es nun einen, zwei oder fünf Millionen Bäume gibt, denn Bäume sind nicht existent, es gab sie nie und es wird sie niemals geben, weil es keine Existenz gibt.

      Der Pfad zur Nicht-Existenz

      Die in Daath erlangte Erkenntnis, dass es keine Existenz gibt, ist einer der Gründe, warum man Daath hinter vorgehaltener Hand die Qualität des „absoluten Bewusstseins“ zuspricht, die jedoch nur in der Überwindung der Illusion erlangt werden kann. Nur wenn die Täuschung der Manifestation, die Illusion der Zehn durchschaut wird, kann die Wahrheit erkannt werden. Jene Wahrheit, die besagt, dass Illusion die einzige Wahrheit ist, die der Adept jemals erfahren wird, da er nur in der Lüge der Existenz die Nicht-Existenz spüren kann. Daath enthüllt die Illusion und die Bedeutungslosigkeit der Existenz, die in den Sphären der Schöpfung nichts weiter als ein einziger großer kosmischer Scherz ist.

      Die Offenbarung der Sinn- und Bedeutungslosigkeit der eigenen Existenz, bzw. die Erkenntnis niemals gewesen zu sein, kann den ungeschulten, zu stark im Ego verhafteten menschlichen Geist sicherlich mehr als nur erschüttern. Ein unvorbereiteter Blick hinter den Schleier Daaths kann in Wahnsinn umschlagen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass ein solcher unbedarfter Geist überhaupt in die Sphäre jenseits des Abgrunds vordringen kann, denn vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt und auch auf der Reise zum Thron des Schöpfers verhält es sich nicht anders.

      Wer Daath erreichen will sieht sich schließlich kurz hinter Tiphereth den brennenden Fluten des Abyss gegenüber, die es erst einmal mit heilem Astralkörper zu überqueren gilt. Dies ist der entscheidende Wegpunkt auf der Reise, den es zu meistern gilt, denn hier manifestiert sich der Schleier der Existenz und fordert den Adepten heraus die Prüfung des Abgrunds zu bestehen, auf die in einem gesonderten Kapitel noch genauer eingegangen werden wird. Am Rand des Abyss entscheidet sich nun, ob der Adept bereit ist, die vom Schleier der Existenz verborgene Sephirah Daath zu betreten, um zur Weisheit um das Mysterium der Zehn vorzudringen.

      Diese Würdigkeitsprüfung ist der Grund für die Namensgebung als „verborgene“ Sephirah, denn nur dem, der die Prüfung des Abgrunds besteht wird sich Daath offenbaren, allen anderen bleibt nichts als der vage abstrakte Schemen hinter dem undurchschaubaren Schleier. Es sei hier nur kurz erwähnen, dass mit dem Begriff Schleier in keiner Weise auf den Schleier des Paroketh Bezug genommen wird, der auf der Reise durch den Lebensbaum schon viel früher zum Hindernis des Adepten wird, als der Schleier, hinter dem Daath für die meisten für immer verborgen bleibt.

      Der Schleier von dem hier gesprochen wird, ist der Schleier der Existenz, der nichts weiter als der allgegenwärtige Schleier der Täuschung ist. Der Schleier der Täuschung ist der Schleier der Existenz, er ist der letzte wehende Fetzen Illusion, der noch geblieben ist.

      Der Adept muss seinen Mut zusammennehmen, um ihn zu zerreißen, um die erste große Wahrheit zu erkennen, nämlich, dass der Schleier der Illusion nichts anderes als der Schleier unserer Realität ist. Es gibt den Schleier nicht, denn es gibt keine Existenz. Existenz selbst ist die große Täuschung die meisterhafte Lüge, die wir uns auferlegt haben, ohne die jedoch das Reich jenseits der Manifestation nicht erfahren werden kann.

      Somit bedeutet, den Schritt hinein in Daath zu wagen, zu sterben. Im Schritt über den Abgrund muss der Adept erkennen, dass alles was er ist Lüge ist, denn es gibt ihn nicht, er ist verfestigter Gedanke einer einzigen Energie, aus der sich willkürlich sprudelnd alles ergießt, jener Energie, die in vielen Kreisen die Quelle allen Seins genannt wird. Wir sind die Quelle, weil wir nicht sind und dadurch dass wir nicht sind können wir erst zur Manifestation gelangen, um uns, das All und das Chaos zu erfahren. Wir müssen den Schleier der Täuschung über die Quelle werfen, um die Illusion sehen zu können, damit wir nicht an der Wahrheit zerschellen. Das Nichts wird nur durch das Sein erfahren werden können und deshalb spricht man von der Sphäre der ersten Manifestation.

      Daath ist diese Quelle, aus der alles entspringt, Daath ist der Akt der Schöpfung aus dem heraus Ordnung in das Chaos gebracht wird. Daath steht jenseits der Dualität, weil es das Nichts ist in das alles eingeht in dem alles formlos und ungestalt zusammenfließt, ohne sich bewusst zu sein.

      Wenn man eingehend darüber nachdenkt, wie man den Namen „Daath“ in deutschen Worten umschreiben könnte, ungeachtet der Übersetzung aus dem hebräischen, würde Daath am treffendsten mit dem Begriff „Grausamkeit“ betitelt werden. Denn das ist es worauf sich die Qualität dieser Sephirah reduziert.

      Es soll hier allerdings bedacht werden, dass man sich in Daath befinden, einer Sphäre jenseits