Tag waren in Deutschland bereits 3 808 COVID-Tote registrier26; inzwischen sind es mehr als 5. 000. Tendenz: weiter steigend. In Südkorea und im benachbarten Taiwan leben zusammengenommen fast ebenso viele Menschen wie hierzulande, dort sind aber nur 260 Pandemie-Tote zu beklagen, und der Trend ist gestoppt.27,28
Doch Minister Spahn behauptet unverdrossen, „im internationalen Vergleich schneidet Deutschland bei der Bewältigung der Krise gut ab“. Unser Gesundheitssystem sei „zu keiner Zeit überfordert“ gewesen.29Und was macht die Tagesschau daraus? Sie referiert Spahns Angeberei als Fakt, statt ihn zu fragen, ob er selbst noch ganz gesund sei.
Dabei wirkte der mit seiner Ergebnisbewertung „…das macht uns demütig, aber nicht übermütig“ (ebd.) so, als bettle er geradezu um Ohrfeigen. Die bekam er von den Qualitätsjournalisten natürlich nicht. Es bleibt ein Wunschtraum, dass sich ein echter Reporter den Mann vorknöpft:
„Ich rieche Propaganda zehn Kilometer gegen den Wind. Um das mal klarzustellen, Genosse: Wenn Du mich einmal verarschst, ist es deine Schuld, dann bist du der Böse. Wenn Du mich das zweite Mal verarschst, bin ich selbst ein Depp.“30
Kein Traum, sondern traurige Wirklichkeit: Für die Tagesschau-Leute war es leider nicht erst das zweite Mal. Sie lassen sich seit jeher mit Spahns Propagandakisten unterm Arm losschicken.
Bevor wir uns dieser Lichtgestalt, ihrem ebenso begnadeten Parteifreund und Wirtschaftsminister Peter Altmaier sowie dem total sozialdemokratischen Finanzminister Olaf Scholz etwas spezieller widmen, sei hier positiv vermerkt, dass die „Tagesthemen“ ganz ausnahmsweise doch einmal, nämlich am 8. April, richtigen Journalismus vorführten. WDR-Kommentator Detlef Flintz balbierte den Gesundheitsminister mit der rostigen Sense: „Pfleger und Ärztinnen werden die Situation ausbaden und zum Teil mit ihrem Leben bezahlen müssen“.31
Doch solche Kritik prallt am „demütigen, aber nicht übermütigen“ Spahn ab. Der Mann weiß, dass er sich grundsätzlich auf die sorgfältig durchformatierten Intendanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verlassen kann. Die garantieren regierungsgläubigen Staatsfunk. Neuerdings blenden ihre Sender sogar Durchhalteparolen im Bildschirmeck ein.
Fürs ARD-Gemeinschaftsprogramm: Zusammenhalten. Wir sind deins. NDR: Der Norden hält zusammen. BR: Daheim bleiben. WDR: #zuhause. SWR: Für euch da. mdr: Zuhause #miteinander stark. SR, HR: #zusammenhalten. Ihr guten Leute, euer föderalistisches Kunterbunt nervt! Gegenvorschlag: „Ein Volk, ein Reich, ein Kronkorken!“ Auf Flaschen passt das…
Alptraum Realität
Einen Tag vor Spahns „demütigem“ Auftritt in der Bundespressekonferenz hatte der MDR gemeldet, dass sich bereits mehr als 6.400 Ärzte und Pflegekräfte in den Krankenhäusern mit dem Virus infiziert hätten.32 Die Zahl ist inzwischen (Stand: 22. April) auf 7.862 Covid-Erkrankte gestiegen, 18 Ärzte bzw. Schwestern sind schon daran gestorben.33 Tendenz auch hier: weiter steigend. Man muss lange suchen, bis man diese Angaben im Bulletin des Robert-Koch-Instituts findet, weit hinten im Text versteckt, ohne eigene grafische Darstellung. Gut sichtbar ist hingegen die Ursache für das Leid dieser „Helden des Alltags“: Fehlende bzw. unzureichende Schutzkleidung. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt:
„Die Ausstattung von Ärzten, Praxismitarbeitern und Pflegepersonal mit Schutzausrüstung … ist unzureichend. Wie dramatisch sich die Lage vor Ort darstellt, haben wir dem Bundesminister für Gesundheit detailliert dargelegt.“ 34
Das medizinische Personal ist überall ausgepowert, Infektionen und Todesfälle lassen sich bei solchen Arbeitsbedingungen nicht ausschließen.35 Die Zustände in den rund 12.000 Pflegeeinrichtungen seien ein Skandal, moniert Eugen Brysch, der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz. Die Maßnahmen zum Schutz des Pflegepersonals seien „vollkommen unzureichend“.36
Deutschland erweist sich inmitten der Pandemie unfähig, Ärzte, Schwestern und Pfleger mit perfekter Schutzausrüstung auszustatten, von einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit dem Minimum erst recht nicht zu reden.
Die wünscht sich seit Wochen mit großer Mehrheit eine bundeseinheitliche Pflicht, in öffentlichen Gebäuden und Transportmitteln Mundschutz zu tragen.37 In den asiatischen Ländern hat sich schließlich erwiesen, dass die generelle Mundschutzpflicht ein entscheidender Faktor gegen die Tröpfchen-Infektion durch Atemluft war.
Der deutsche Durchschnittsbürger erwies sich also als lernfähig, das politische Funktionspersonal der Geldaristokratie hingegen nicht. Eine allgemeine Mundschutzpflicht scheiterte schon daran, dass monatelang Mangel an entsprechendem Material herrschte. Wo große Nachfrage auf zu knappes Angebot trifft, explodieren in der „sozialen Marktwirtschaft“ eben die Preise.38
Geld zu Geld
Krankenhäuser und Ärzte waren gezwungen, zu verfünffachten und noch höheren Kosten einzukaufen. Dem skandalösen Wucher sah die Bundesregierung tatenlos zu. Sie dachte gar nicht daran, eine Preiskontrolle für dieses überlebenswichtige Material zu verfügen.
Grandios: Mehr als drei Monate nach Ausbruch der Pandemie fiel endlich auch dem Wirtschaftsminister Altmaier auf, dass man Mundschutzmasken eigentlich in Deutschland selbst herstellen könnte, wegen des Bedarfs von bis zu 12 Milliarden Stück jährlich.39 Über so rasche Auffassungsgabe und große Entschlusskraft staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich.
Altmaier und Finanzminister Scholz hatten größere Posten und einflussreichere Wirtschaftskreise als das Gesundheitswesen auf dem Zettel, als sie ihr Staatshilfepaket zur Krisenbewältigung schnürten. „Der Umfang der haushaltswirksamen Maßnahmen beträgt insgesamt 353,3 Milliarden Euro und der Umfang der Garantien insgesamt 819,7 Milliarden Euro.“40
Der Staat – das sind wir alle – steht demnach für fast 1,2 Billionen Euro zusätzlich gerade41, weitere Bürgschaften sind noch in Planung. Das größte Stück vom Kuchen dürfte sich die Autoindustrie abschneiden. Sie ist traditionell der steuerlich meistgeförderte Wirtschaftszweig.42
Titel der Deutschen Wirtschaftsnachrichten: „Wie die Autobauer in der Coronakrise den Steuerzahler bluten lassen.“(ebd.) Tatsächlich, sie verlangen allen Ernstes, dass der Staat bei Kaufpreisen von mehr als 20.000 Euro komplett auf die Mehrwertsteuer verzichtet. Die Kundschaft der Yachtwerften, Juweliere und Goldschmiede freut sich schon…
Schauen wir kurz nach Baden-Württemberg. Daimler-Benz beantragte als einer der ersten Großkonzerne zu Beginn des Anti-Pandemie-Regimes Kurzarbeit für 140.000 Beschäftigte.43 Nahezu zeitgleich kündigte das Management – seine Mitglieder haben Jahreseinkommen von bis zu 12 Millionen Euro – den Aktionären an, bei der nächsten Hauptversammlung Dividenden von insgesamt 963 Millionen Euro auszuloben.44
Fast eine Milliarde Euro für Nichtstun außer Couponschneiden: Mit diesem Geld hätte der Betrieb seinen Beschäftigten in Deutschland wochenlang das volle Gehalt zahlen können, ohne die Öffentlichkeit mit der Finanzierung des Kurzarbeitergelds zu belasten und seinen Arbeitnehmern hohe Lohnausfälle zuzumuten.
Geschäftsleben und Moral passen nicht zusammen. Daimler-Benz ist kein Einzelfall. Es gibt DAX-Konzerne serienweise, die auch in der Pandemiekrise fette Gewinne machen und trotzdem die zusätzliche Staatsknete abgreifen.45 Anders als die dänische Regierung46 kam das Kabinett Merkel gar nicht auf die Idee, nur solchen Aktiengesellschaften staatliche Hilfen zu gewähren, die wenigstens keine Dividenden zahlen. Es wäre ein Leichtes gewesen, hier für mehr Anstand zu sorgen, wenn schon nicht für mehr Moral.
Kein Geld für Helden
An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass es für die lohnabhängigen „Helden des Alltags“ überhaupt keine strukturellen Verbesserungen gibt. Es herrscht sogar Dissens darüber, ob wenigstens eine Prämie für die Krisenzeit gezahlt werden sollte und von wem.47 Weder gibt es Überlegungen, eine angemessene Vergütungsordnung für das medizinische und das Pflegepersonal gesetzlich zu verordnen noch gar für alle sogenannten „Systemrelevanten“.
4000 Euro Mindestgehalt für die